Bislang war die Moto Guzzi Norge GT kein Verkaufshit. Doch das soll nun anders werden. Der italienische Motorradhersteller hat den Sporttourer einer radikalen Überarbeitung unterzogen. Das Ergebnis lässt sich sehen.
Von Thilo Kozik
Moto Guzzi ist ein wohlklingender Namen, der für eine glorreiche Geschichte, aber auch Probleme in der jüngeren Vergangenheit steht. Jetzt startet der Traditionshersteller aus Mandello del Lario am Comer See im neunzigsten Jahr der Firmengeschichte den vielleicht letzten Versuch, wieder auf die Beine zu kommen: Mit einer richtigen Modelloffensive möchte man die Fehler der Vergangenheit ausmerzen, als man sich zu stark an der Tradition und zu wenig an aktuellen Bedürfnissen orientierte.
Moto Guzzi Norge kein Verkaufsschlager
Hervorragendes Beispiel für dieses Umdenken ist der Tourendampfer Norge, seit seiner ersten Vorstellung vor fünf Jahren alles andere als ein Verkaufshit. Um dies zu ändern, haben Entwickler und Produktplaner den Sporttourer komplett umgekrempelt. Mit der Norge GT gibt es nur noch ein Modell, und das mit einer Vollausstattung: Vom serienmäßigen Koffersystem über das elektrische Windschild und Heizgriffe bis zum ABS ist alles an Bord, was von einem Touring-Flaggschiff erwartet wird.
Doch eine Guzzi wäre keine Guzzi ohne das seit Jahrzehnten charakteristische Triebwerk: Die Italiener verbauen als einziger Motorradhersteller weltweit einen längsliegenden 90-Grad-V-Motor mit Luft-/Ölkühlung, der seine beiden Zylinder markant rechts und links in den Fahrtwind streckt. Für die 2011er Norge wurde die eherne Konstruktion jedoch einer grundlegenden Innenrevision unterzogen.
So steuern die unten liegenden Nockenwellen mit neuen Profilen über Stoßstangen nun vier statt zwei Ventile; moderne Zutaten wie Doppelzündung, eine elektronische Einspritzung und je eine Lambdasonde für jeden Zylinder optimieren Leistungsentfaltung sowie die Abgasentwicklung. Ein neues Auspuffsystem sorgt dabei für mehr Druck. Unterm Strich stehen dem Norge-Treiber nun 75 kW/102 PS bei 7 000 U/min und ein maximales Drehmoment von 104 Nm bei 5 500 U/min zur Verfügung.
V2 sorgt für ordentlichen Vortrieb
Dieses setzt der Sporttourer sehr harmonisch um. Schon ab 3 000 Touren produziert der charakterstarke V2 ordentlichen Vortrieb, untermalt vom satten, erstaunlich voll tönenden Guzzi-Sound. Vor allem beim Gasaufreißen im mittleren Drehzahlbereich nimmt die Geräuschkulisse imposante Ausmaße an, der Druck aus dem Kessel hält damit jedoch nicht mit, der große Motor leidet unter einer etwas langen Übersetzung. Dafür entfaltet er seine Kraft deutlich harmonischer und kräftiger als der Vorgänger, ohne dass ihm oben herum die Puste ausgeht. Ausgesprochen gut lässt sich das Sechsganggetriebe schalten, auch wenn der erste Gang nicht immer sofort flutscht. Und die Handkraft für die Kupplung fällt angenehm niedrig aus. Lästige Lastwechselreaktionen eliminiert die gelungene Momentabstützung der patentierten Schwinge.
Um den mächtigen Motor schraubten die Entwickler einen stabilen Stahlrohrrahmen, der einem modernistischen, stark zerklüfteten Kunststoffkleid Halt gibt. Die im Windkanal aerodynamisch optimierte Verkleidung sorgt zusammen mit dem elektrisch verstellbaren Windschild in der Tat für guten Wind- und Wetterschutz. Unglücklich ist indes die Verteilung der Bedienelemente auf die linke und rechte Lenkerarmatur, so dass man zum Herunterfahren des Schilds mit dem an der rechten Lenkerhälfte angebrachten Knopf die Hand vom Gasgriff nehmen oder mit links herüber greifen muss. Hinterm gut zur Hand liegenden Lenker genießt die Besatzung auf der breiten, leider nicht höhenverstellbaren Sitzbank ein tourensportlich orientiertes Ambiente, das den Fahrer bestens mit dem Motorrad koppelt. Nur die Rasten sind eine Spur zu hoch angebracht.
Überzeugendes Fahrwerk
Die gute Fahrerintegration ist das eine, das überarbeitete Fahrwerk das andere: Dank Gewichtseinsparungen ergibt sich eine ausbalancierte Schwerpunktlage, die zusammen mit der neuen progressiven Abstimmung von 45-Millimeter-Telegabel und Zentralfederbein auf verwinkelten Straßen für einen Fahrgenuss sorgt. Die Norge biegt, trotz ihres nicht gerade geringen Trockengewichts von 257 Kilogramm, leichtfüßig um die Ecken, benimmt sich dabei aber ausgesprochen neutral.
Das dürfte nicht zuletzt ein Verdient der neuen Pirelli Angel ST-Bereifung sein, die zur Norge passt wie Guzzi zu Mandello. Die nach wie vor komfortabel ausgerichtete Abstimmung beschert einen tadellosen Fahrkomfort. Erst starkes Gasgeben weckt den Wunsch nach einer strafferen Dämpfung. Notfalls hilft das serienmäßige ABS aus - verlässlich, vorn etwas viel Handkraft verlangend, arbeitet es unauffällig, aber effektiv.
Für den nach wie vor stolzen Preis von 15 500 Euro bietet die neue Norge GT weit mehr als das traditionelle Flair Moto Guzzis, der voll ausgestattete Sporttourer erfreut mit einem ungewohnten Maß an Fahraktivität, Ausgewogenheit und Alltagstauglichkeit. (mid)