Mercedes wird Mitte des Jahres den Vito als elektrische Variante auf den Markt bringen. Im Interview mit der Autogazette spricht der Leiter der Van-Sparte, Volker Mornhinweg, über die Elektromobilität, die Konkurrenz von Streetscooter und die Logistik der Zukunft.
Die Van-Sparte von Mercedes hat gerade zum vierten Mal in Folge ein Rekordjahr erzielt. Mitte des Jahres werden die Schwaben nun auch mit dem eVito eine elektrische Variante auf den Markt bringen. Die Konkurrenz von Streetscooter hat entsprechende Angebote an elektrischen Transportern bereits im Angebot. Hat Mercedes-Vans das Thema Elektromobilität verschlafen? Das kann Van-Chef Mornhinweg nicht erkennen. «Das stimmt so nicht», sagte Mornhinweg im Interview mit der Autogazette.
Vielmehr verweist er auf die umfangreichen Erfahrungen, die die Van-Sparte im Bereich der Elektromobilität habe. «Unser erster elektrischer Serien-Transporter Vito E-CELL war bereits 2010 auf dem Markt. Nur die Nachfrage der Kunden war damals nicht so nachhaltig, wie wir uns das gewünscht hätten», so Mornhinweg.
«Wir wussten, dass wir starke Produkte haben»
Autogazette: Herr Mornhinweg: Sie konnten 2017 zum vierten Mal in Folge einen Absatzrekord aufstellen. Mit 401.000 Einheiten gab es ein Plus von rund 12 Prozent. Ist das Jahr damit genauso gelaufen, wie Sie das geplant haben?
Volker Mornhinweg: Ja.
Autogazette: Sie sind wirklich mit einem zweistelligen Wachstumsziel ins Jahr gegangen?
Mornhinweg: Absolut. Wenn wir „nur“ 390.000 Einheiten erreicht hätten, wäre der Erfolg für das Team nicht so schön gewesen wie jetzt mit über 401.000 Einheiten. Wir wussten ja im Vorfeld, dass wir starke Produkte wie die V-Klasse und den Vito haben. Wir hatten beispielsweise das erste volle Verkaufsjahr der V-Klasse in China. Und auch mit dem Sprinter im letzten vollen Jahr seines Lebenszyklus haben wir noch einmal ein hervorragendes Jahr hingelegt.
Autogazette: Der Sprinter hat im Jahr vor dem Modellwechsel mit über 200.000 Einheiten ein neues Allzeithoch erreicht. Wieviel Geld mussten Sie in die Hand nehmen, um diesen Absatz zu erreichen?
Mornhinweg: (lacht) Keines.
Autogazette: Wie erklärt sich der Erfolg des Sprinters? Eigentlich geht der Absatz bei einem Auslauf zurück.
Mornhinweg: Das Fahrzeug hat nach wie vor eine enorm starke Produktsubstanz. Die aktuelle Generation, die wir 2013 eingeführt haben, hat sich am Markt absolut bewährt. 2017 haben wir vom Sprinter erstmals über 200.000 Einheiten abgesetzt. Wir haben hier unter anderem auch von der Nachfrage in Südamerika, genauer gesagt in Argentinien, profitiert.
«Bin überzeugt, dass Sprinter wichtigstes Modell bleibt »
Autogazette: Zu den Wachstumsträgern bei den Modellen gehören insbesondere der Vito mit einem Plus von 21 Prozent und die V-Klasse mit einem Zuwachs von 22 Prozent. Ist das Midsize-Segment damit auf dem Weg, zum wichtigsten Wachstumstreiber von Mercedes-Benz Vans zu werden?
Mornhinweg: Mit unseren neuen Fahrzeugen im Mid-Size Segment haben wir inzwischen Fahrzeuge im Portfolio, die wie der Sprinter weltweit erfolgreich sind. Gleichzeitig erreichen wir mit unserem neuen Sprinter zukünftig ganz neue Segmente: Durch die zusätzliche Variante mit Vorderradantrieb erschließen wir uns unter anderem im Wohnmobil-Bereich neues Absatzpotenzial. Daneben haben wir auch in Interieur und Fahrwerk investiert, um den Sprinter als Shuttlefahrzeug noch attraktiver zu machen. Ich bin überzeugt, dass der Sprinter unser wichtigstes Modell bleiben wird, auch wenn das Midsize-Segment aufschließen wird.
Autogazette: Dabei profitieren Sie beispielsweise von der hohen Nachfrage in China.
Mornhinweg: Auch, aber nicht nur. Die V-Klasse hat die Kunden weltweit mit ihrer Wertigkeit begeistert, in China sind wir sogar auf ein Wachstum von über 70 Prozent gekommen. Hier war die V-Klasse 2017 erstmals voll verfügbar, so dass wir uns auch für die nächsten Jahre noch einiges von der V-Klasse versprechen.
Autogazette: Vor allem der Sprinter soll den Grundgedanken Ihrer Zukunftsinitiative adVANce verkörpern. Welches Versprechen in die Zukunft geben Sie Ihren Kunden?
Mornhinweg: Wir sehen uns nicht mehr nur als Hersteller eines Transporters, sondern als Anbieter ganzheitlicher Transport- und Mobilitätslösungen – und das passgenau für die verschiedenen Branchen. Wir wollen unseren Kunden die beste Lösung für ihre Wertschöpfungskette anbieten – und das natürlich zum bestmöglichen Preis.
Autogazette: Was zeichnet den neuen Sprinter aus?
Mornhinweg: Wir bieten den Kunden mit dem Sprinter modernste Konnektivitäts-Hardware und digitale Dienste, die unter anderem ein einfacheres Flottenmanagement ermöglichen. Der Flottenmanager hat jederzeit den Überblick über den Fahrzeugstatus oder das digitale Fahrtenbuch – der Disponent in der Zentrale ist jederzeit in der Lage, den Fahrer je nach Auftragslage auch zu einem anderen Kunden zu leiten. Das komplette Laderaummanagement ist vernetzt, der neue Sprinter wird Teil des Internets der Dinge. Zu den weiteren Bausteinen gehören Miet- und Sharingmodelle sowie die Elektromobilität. Auch den Sprinter werden wir ab kommendem Jahr mit einer E-Variante anbieten.
«Wir haben also alles richtig gemacht »
Autogazette: In der zweiten Jahreshälfte bringen Sie den Vito als erste elektrische Variante, im kommenden Jahr folgt der eSprinter. Warum haben Sie den Trend zur Elektromobilität derart verschlafen?
Mornhinweg: Das stimmt so nicht. Wir haben umfangreiche Erfahrungen im Bereich der Elektromobilität. Unser erster elektrischer Serien-Transporter Vito E-CELL war bereits 2010 auf dem Markt. Nur die Nachfrage der Kunden war damals nicht so nachhaltig, wie wir uns das gewünscht hätten. Wir haben immer gesagt: Wenn die Nachfrage nach E-Transportern anzieht, gehen wir mit einem neuen Modell direkt wieder an den Start. Das ist heute der Fall. Davon abgesehen: Wir haben gerade zum vierten Mal in Folge Rekordzahlen geschrieben. Wir haben also alles richtig gemacht.
Autogazette: Nur eben nicht bei der Elektromobilität!
Mornhinweg: Als Wirtschaftsunternehmen müssen Sie sich die Frage stellen, wann die Zeit für diese Technologie reif ist. Für uns ist das nun der Fall und deshalb bringen wir jetzt sehr rasch den eVito und dann den eSprinter. Ich kenne keinen Wettbewerber, der weiter ist als wir.
Autogazette: Und was ist mit Streetscooter? Geben die nicht gerade den Takt bei der E-Mobilität bei den Nutzfahrzeugen vor?
Mornhinweg: Wir nehmen das Thema Streetscooter sehr gelassen zur Kenntnis.
Autogazette: Sind Sie nicht neidisch auf Streetscooter? Schließlich ist Ihr Konkurrent dabei, den Markt in diesen Bereich zu bestimmen.
Mornhinweg: Das sehen wir anders.
Autogazette: Hat Streetscooter sich keine Wettbewerbsvorteile durch den frühen Start erarbeitet?
Mornhinweg: Wir haben der Deutschen Post elektrische Fahrzeuge angeboten. Wenn ein Kunde sich für einen anderen Weg entscheidet, und selbst unter die Fahrzeughersteller geht, dann akzeptieren wir das. Nichtsdestotrotz haben wir weiterhin sehr gute Geschäftsbeziehungen zur DHL.
«Unser Erfolg kommt ja nicht von ungefähr»
Autogazette: Warum gelingt es einem Start-Up wie Streetscoooter, einem etablierten Autobauer wie Mercedes das Tempo bei der Elektromobililtät im Nutzfahrzeugbereich vorzugeben?
Mornhinweg: Ich weiß nicht, wie Sie darauf kommen, dass Streetscooter das Tempo bestimmt. Unsere Fahrzeuge stehen für eine hohe Qualität, einen hohen Komfort. Unsere Kunden verlangen von uns ein Spitzenprodukt — und das für die unterschiedlichsten Einsatzzwecke in verschiedensten Branchen. Ein Vito oder ein Sprinter ist für den Kunden ein Arbeitsplatz – und an den stellt er hohe Anforderungen, auch bei der Ergonomie. Unser Erfolg kommt ja nicht von ungefähr. Und den Erfolg, den wir bei den Verbrennern haben, werden wir auch mit unsere E-Varianten haben. Viele unserer Kunden kaufen unsere Produkte auch aus Gründen der Reputation. Ihnen ist es wichtig, mit dem Stern vorzufahren.
Autogazette: Gibt es nichts, was Sie von Streetscooter lernen können?
Mornhinweg: Wir haben mit unserer Initiative adVANce die richtige Strategie zur richtigen Zeit auf den Weg gebracht. Bereits vor ein paar Jahren haben wir begonnen, für die verschiedenen Branchen gezielt ganzheitliche Konzepte anzubieten, die über das Fahrzeug hinaus gehen. Wir beraten die Kunden, analysieren ihre Wertschöpfungsketten und bieten Möglichkeiten zur Optimierung. Wir setzen auf Customer Co-Creation, das heißt, wir holen unsere Kunden früh an Bord und stimmen uns in der Entwicklung eng mit ihnen ab. Das gilt auch für die E-Mobilität.
«Vielleicht waren wir damit zu früh»
Autogazette: Wenn die Zeit für Sie für den Einstieg in die Elektromobilität vor zwei, drei Jahren noch nicht da war, warum ist sie heute da?
Mornhinweg: Wir waren 2010 die ersten, die elektrische Transporter in Serie angeboten haben. Vielleicht waren wir damit zu früh. Denn die Infrastruktur war kaum vorhanden, die Ängste bezüglich Reichweite bei den Kunden ausgeprägter als heute. Entsprechend gab es nur eine begrenzte Nachfrage. Heute stellt sich das anders dar, auch weil das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung gewonnen hat.
Autogazette: Stimmt Sie der Blick auf die geringe Nachfrage nach elektrischen Pkw nachdenklich? So blieb trotz Kaufprämie ein Run aus. Wird das bei den Nutzfahrzeugen anders sein?
Mornhinweg: Die Gespräche, die wir mit unseren Kunden führen, stimmen uns sehr zuversichtlich. Einen Run sehe ich zwar nicht, aber eine gute Nachfrage, insbesondere bei Logistikern. Die Kunden fragen sich, wie bekomme ich den Strom, wie das Ladenetz? Wir liefern ihnen nicht nur die Antworten auf all diese Fragen, sondern auch eine Lösung in Form eines Ökosystems. Wir sind überzeugt, dass der Elektromotor für die letzte Meile in der Stadt der optimale Ansatz ist.
«Setzen auf Gesamtsystemlösungen»
Autogazette: Sehen Sie es als Ihren großen Vorteil an, dass Sie dem Kunden im Gegensatz zur Konkurrenz ein Gesamtsystem aus Fahrzeuge, Infrastruktur und Vernetzung anbieten können?
Mornhinweg: Absolut, wir setzen auf maßgeschneiderte Gesamtsystemlösungen, die auf Basis einer fachkundigen Beratung entstehen. Wir schauen nicht nur aufs Fahrzeug, sondern bieten das komplette Ökosystem an. Dazu gehört neben Ladeinfrastruktur und Trainings für die Fahrer der Elektroflotte auch, dass der Kunde bei uns Fahrzeuge mieten kann, um beispielsweise zur Weihnachtszeit Spitzen abfangen zu können.
Autogazette: Sie versprechen Ihren Kunden eine Reichweite von 150 Kilometern, die realistisch bei 100 Kilometern liegen soll. Ist das realistisch?
Mornhinweg: Der eVito hat gerade in Schweden den Härtetest der Wintererprobung bestanden. Unser Fazit: Selbst bei ungünstigen Rahmenbedingungen steht den Kunden eine Reichweite von 100 km zur Verfügung.
Autogazette: Welche Reichweite braucht der Kunde, der in der Stadt unterwegs ist?
Mornhinweg: Zwischen 70 und 80 Kilometer, eher weniger.
Autogazette: Sie wollen ja auch eine stärkere Batterie anbieten. Warum, wenn die Reichweite reicht?
Mornhinweg: Zum einen aus psychologischen Gründen, zum anderen für die Kunden, die nicht nur in der Stadt unterwegs sind. Auch ihnen müssen wir ein Angebot machen.
«Bin überzeugt, dass Sprinter wichtigstes Modell bleibt »
Autogazette: Ihre Kollegen im Pkw-Bereich erwarten bis 2025 einen Absatz von 15 bis 25 Prozent an Elektroautos am Gesamtabsatz. Sie auch?
Mornhinweg: Wenn ich mir allein die Last-Mile-Branche anschaue, dann kommen wir hier unter bestimmten Voraussetzungen auf ein Absatzpotential von mehr als 25 Prozent. Für diese Branche ist der elektrische Antrieb ideal, denn hier kann der Kunde seine Routen und Reichweiten zuverlässig planen. Doch die Logistikbranche macht nur rund zehn Prozent unseres Gesamtabsatzes aus, das Gros unserer Kunden sind Handwerker. Deshalb halten wir bis 2025 einen Absatzanteil an Elektrofahrzeugen von ca. zehn Prozent für möglich.
Autogazette: Welches Angebot machen Sie Ihren Kunden abseits der E-Mobilität für die letzte Meile?
Mornhinweg: Da ist neben der Elektromobilität die Konnektivität des Gesamtsystems. Darüber hinaus erarbeiten wir mit unseren Kunden Lösungen für eine effizientere Lieferung aus ihren Verteilungs-Hubs. Wir beschränken uns nicht nur aufs Fahrzeug, sondern beginnen unsere Überlegungen bereits im Lager.
«Erproben neue Liefermethoden»
Autogazette: Denken Sie auch daran, außer einem Fahrzeug wie dem Vito oder Sprinter andere Mobilitätslösungen anzubieten….
Mornhinweg: …natürlich. Wir haben uns beispielsweise an Starship beteiligt – und erproben neue Liefermethoden mit autonomen Robotern. Unser Sprinter fungiert dabei als Belade- und Transportstation für acht Roboter. Diese Roboter sorgen auf der letzten Meile für eine neue Effizienz in der Zustellung. Derzeit befinden wir uns hier noch in der Erprobung.
Autogazette: Sie arbeiten in Zürich auch mit Drohnen. Wie geht es da weiter?
Mornhinweg: Hier bringen Drohnen die Waren zu einem unserer Transporter, der dann die Ware zum Kunden liefert. Wir sind hier in der Versuchsphase, die sehr erfolgreich läuft.
«Es gilt, multimodale Ansätze zu entwickeln»
Autogazette: Muss sich der Kunde perspektivisch davon verabschieden, sein Paket bis nach Hause geliefert zu bekommen?
Mornhinweg: Es wird am Ende nicht nur die eine Lösung sein. Sicher wird es weiter die Paketzustellung bis nach Hause geben, aber auch die Paketstation, an der man sich sein Paket abholt. Die Logistikbranche kämpft massiv mit den Kosten, entsprechend geht es auch hier um die Steigerung der Effizienz. Der Endkunde wird sich darauf einstellen müssen, dass er für den Service, ein Paket innerhalb einiger Stunden nach Hause geliefert zu bekommen, auch mehr zahlen muss. Hier gilt es, multimodale Ansätze zu entwickeln.
Autogazette: Sie haben eine Kooperation mit dem Versandhändler Hermes geschlossen, der von Ihnen bis 2020 1500 Elektro-Transporter beziehen wird. Beschränkt sich diese Zusammenarbeit nur auf die Lieferung der Transporter?
Mornhinweg: Es geht neben der Lieferung von Transportern auch darum, die Herausforderungen unseres Kunden anzunehmen und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. So entwickeln wir zum Beispiel gemeinsam ein Konzept für eine effiziente Ladeinfrastruktur und IT-Dienste zur optimalen Steuerung der Elektroflotte.
Das Interview mit Volker Mornhinweg führte Frank Mertens