Der Morgan PlusFour ist kein Auto für den Alltag. Wer sich für ihn entscheidet, muss eine Menge Abstriche machen. Doch das kann auch Spaß machen.
Es dröhnen dumpfe Hammerschläge aus der flachen Backsteinhalle, der Boden ist übersäht mit Hobelspänen, statt Schweißrobotern und Fließbändern gibt es Drehbänke und Nähmaschinen; wo es sonst nach Öl und Benzin riecht, steigt einem hier der Geruch von Holzleim und Leder in die Nase: Wer zum ersten Mal Morgans heiligen Hallen in Malvern Link betritt, der mag nicht glauben, dass wir das Jahr 2020 schreiben und in der Pickersleigh Road Autos für das Hier und Heute gebaut werden.
Aber der Eindruck täuscht, und zwar gewaltig! Zwar sieht es bei Morgan aus wie in einem Freilichtmuseum des Automobilbaus, doch ist die Zeit nicht stehen geblieben. Tatsächlich hat sie in den letzten 24 Monaten sogar einen gewaltigen Sprung gemacht.
Start mit dem PlusSix
Zum ersten Mal seit vielen Dekaden haben die Briten wieder ein komplett neues Auto entwickelt – und das gleich im Doppelpack: Erst den PlusSix, der im letzten Jahr eingeführt wurde, und nun den PlusFour, der in diesem Herbst das bisherige Einstiegsmodell ersetzt und damit einen mobilen Methusalem in Rente schickt. Denn der bisherige Plus4 wurde rund siebzig Jahre lang nahezu unverändert gebaut und stempelt vermeintliche Dinosaurier wie den Land Rover Defender oder den Jeep Wrangler zu Youngtimern.
Auf den ersten Blick bleibt zwar auch diesmal wieder alles beim Alten. Denn genau wie sich der Name nur in der Schreibweise vom Vorgänger unterscheidet und jetzt mit Lettern statt mit Ziffern in die Kopfstützen genäht ist, so sieht auch der PlusFour des Jahres 2020 noch aus wie ein Oldtimer – Kotflügel, die sich im langen Schwung über gleich beide Räder ziehen, eine Motorhaube, die wie Schmetterlingsflügel aufklappt, Speichenfelgen, Steckscheiben und Stoffverdeck inklusive. Und selbst wenn der alte Stahlrahmen nach 70 Jahren einer Alu-Plattform weicht, werden die Bleche noch von Hand gedengelt und auf einen Rahmen aus Holz genagelt.
Einzug des Digitalen
Doch schon die erste Sitzprobe irritiert. Nicht nur, weil nun tatsächlich mal zwei Erwachsene nebeneinander passen, ohne sich auf den Schoß zu nehmen, und weil man auch Füße mit Größe 36 und darüber bequem in den Fußraum bekommt. Sondern weil hinter dem Lenkrad plötzlich ein digitales Display flimmert und in der Mittelkonsole ein paar erschreckend moderne Instrumente prangen.
Trotzdem ist auch der neue PlusFour natürlich kein modernes und erst recht kein alltagstaugliches Auto: Was an Gepäck nicht in die schmale Luke hinter den engen Sitzen oder aufs außen angeschlagene Reserverad passt, muss zu Hause bleiben.
Und gegen das Wetter helfen nur eine dicke Jacke und ein Schal. Mit offenem Verdeck stürmt es schon bei Schritttempo wie in den Highlands im Herbst und bis man das Dach mit seinen filigranen Gestängen geschlossen hat, reicht schon ein leichter Nieselregen und man ist nass bis auf die Knochen. Für Weicheier und Warmduscher ist so ein Auto nicht gemacht, selbst wenn es mittlerweile sogar eine Sitzheizung gibt. Einen Morgan kann man nicht nur besitzen, man muss ihn bezwingen.
Ein Vierzylinder von BMW
Aber spätestens, wenn man den Startknopf drückt, ist es vorbei mit der Sentimentalität und es katapultiert die ewig gestrigen ins Hier und Heute. Denn der Knopfdruck erweckt einen nagelneuen Vierzylinder von BMW zum Leben, der – Schreck lass’ nach – auf Wunsch auch noch mit der Münchner Automatik gekoppelt werden kann.
In dieser Paarung wird der Morgan vom charmanten Retro-Racer für Puristen zu einem modernen Cruiser, der nur noch mit dem Geist von gestern spielt. Denn auch wenn er aussieht wie ein Oldtimer, fährt er sich jetzt wie ein modernes Auto und ist auch ohne ein Heer von Assistenzsystemen halbwegs sicher auf Kurs zu halten. Die Federung vergleichsweise entspannt und die Gangwechsel lässig, so bummelt der Engländer ungekannt komfortabel über den Boulevard der Eitelkeiten und eifert mit anderen Exoten um Aufmerksamkeit. Dabei kommt er nicht nur sympathischer rüber als jeder Lamborghini oder Ferrari, sondern kostet natürlich auch noch viel weniger. Denn los geht’s mit 74.600 Euro und selbst mit allem Furz und Feuerstein wird man den Preis nicht sechsstellig bekommen.
Leistung von 258 PS
Aber der PlusFour kann freilich auch anders – und dafür muss man mit dem BMW-Motor nicht erst ins Sportprogramm wechseln und die Geräuschkulisse mit all dem Brabbeln und Bollern nah an die Grenze zur Peinlichkeit bringen. Denn wenn 258 PS und vor allem 350 Nm auf gerade mal 1.031 Kilo Trockengewicht treffen, man so tief sitzt, dass der Allerwerteste beinahe am Boden schleift, und man den Scheitelpunkt der Kurve durch den tiefen Türausschnitt fast mit Händen greifen kann, dann ist der Fahrspaß garantiert. Erst recht, wenn es außer einem ABS nichts und niemanden gibt, was dem Fahrer ins Handwerk pfuscht.
Mit einem nervösen Zittern im kurzen Heck beschleunigt er in 4,8 Sekunden von 0 auf 100 km/h und fliegt über die Nebenstraßen, dass es eine wahre Freude ist. Die Lenkung präzise, der Aufbau bocksteif, die Karosserie so schmal und sie Blickachse über die freistehenden Scheinwerfer so frei – so trifft man selbst auf dem schmalsten Sträßchen die Ideallinie. Dass auch bei Vollgas nur 240 km/h drin sind, stört dabei nicht im Geringsten. Denn erstens sind das schon 50 km/h mehr als bisher. Und zweitens fühlen sich 150 km/h in einem Morgan spektakulärer als 300 in einem McLaren.
Ja, der PlusFour ist modern geworden und längst nicht mehr von gestern. Aber wenn das Design und die Handwerkskunst der 1920er auf die Technik der 2020er treffen, lebt der alte Geist auch im neuen Modell weiter. Und selbst wenn James Bond nie in einem Morgan gefahren ist, liefert einer seiner Filme offenbar für den Modellwechsel das Motto: Der Morgan stirbt nie. (SP-X)