Morgan Plus Six: Der Tradition verpflichtet

Morgan Plus Six: Der Tradition verpflichtet
Der Morgan Plus Six. © Morgan

Morgan ist eine Sportwagenmarke, die man mit keinem der Konkurrenten vergleichen kann. Die Briten zeigen sich der Tradition verpflichtet.

Das merkt man, wenn man Steve Morris trifft. Er ist ein Auto-Boss, wie er in der PS-Branche selten geworden ist: Seit Jahrzehnten in der gleichen Firma, vom Praktikanten aufgestiegen bis zum Vorstandschef, die Tür zum Büro immer offen und nicht einmal eine Vorzimmer-Dame als Wellenbrecher. Und wenn er in der – nun ja – Cafeteria seiner Firmenzentrale über seine Pläne doziert, dann hat das mit dem üblichen Futurismus seiner Kollegen nicht viel zu tun.

Digitalisierung kommt ihm kaum über die Lippen, beim Stichwort Connectivity legt er die Stirn in Falten und Elektromobilität interessiert ihn allenfalls am Rande. Aber Morris steht auch keiner gewöhnlichen Firma vor. Der Mittfünfziger ist Chef von Morgan, der vielleicht schrulligsten Sportwagen-Marke der Welt.

Autos mit dem Plus im Namen

Denn dass die Briten mittlerweile seit 110 Jahren Autos bauen und sich von ein paar ausländischen Investoren abgesehen noch immer alleine über Wasser halten können, liegt vor allem daran, dass sich weder an ihren Autos noch an der Produktion seit der Gründung im Jahr 1909 viel geändert hat.

Sieht man einmal davon ab, dass Morgan seit den 1930ern tatsächlich ein viertes Rad an den Wagen schraubt und die Roadster seitdem ein „Plus“ im Namen tragen, kann man die aktuellen Autos kaum von jenen aus den Gründertagen unterscheiden und wer mit Morris durch die Backsteinhallen läuft, in denen pro Jahr höchstens 1.000 Autos gebaut werden, der wähnt sich in einem Freilichtmuseum der Automobilproduktion – nicht umsonst zählt die Fabrik in der Pickersleigh Road jedes Jahr 35.000 Besucher.
Deshalb hört man keine Pressen und nicht das Zischen hydraulischer Roboter. Es dröhnen dumpfe Hammerschläge aus der Werkstatt, der Boden ist übersäht mit Hobelspänen, statt Schweißrobotern und Fließbändern gibt es Drehbänke und Nähmaschinen. Wo es sonst nach Öl und Benzin riecht, steigt einem hier der Geruch von Holzleim und Leder in die Nase: Wer durch die Morgan-Manufaktur schlendert, der mag nicht glauben, dass wir das Jahr 2019 schreiben und hier Autos für das Hier und Heute gebaut werden.

Neue Plattform für den Roadster

Das Cockpit des Morgan Six Plus. Foto: Morgan

Dabei ist der Plus Six, den sie hier neben dem Threewheeler und dem PlusFour binnen vier Wochen zusammenbauen, sogar nagelneu. Denn zum ersten Mal seit über 30 Jahren haben die Briten tatsächlich auf einem weißen Blatt begonnen und noch einmal ganz von vorne angefangen: Eine neue Plattform, ein neuer Rahmen und vor allem ein neuer Antrieb sollen den Roadster, der in diesen Tagen zu Preisen ab 95.000 Euro zu den nur drei Morgan-Händlern in Deutschland kommt, fit machen für die Zukunft – oder zumindest das, was sie bei Morgan dafür halten. Ja, mit dem ersten Turbo der Firmengeschichte sinkt der Verbrauch auf sozialverträgliche 7,4 Liter und in einigen Ländern wird der Morgan mit einem CO2-Ausstoß von 170 g/km erstmals bezahlbar. Und ohne die Automatik – ebenfalls eine Premiere in 110 Jahren Morgan – hätte BMW den Sechszylinder schlicht nicht verkauft.

Aber mehr Elektronik als irgend nötig kommt den Briten natürlich trotzdem nicht ins Auto, Airbags und Assistenzsysteme sucht man auch weiterhin vergebens und zumindest der sonst allgegenwärtige Elektroantrieb ist nicht viel mehr als eine ferne Vision.

Plus Six sogar etwas für Erwachsene

Dass der Plus Six ein neues Auto ist, merkt man spätestens beim Einsteigen: Wo sich echte Kerle bislang klein machen mussten wie Knirpse, wenn sie über die aus den Kotflügeln fließenden Trittbretter und durch die winzigen Türen in den Sitz gleiten wollten, kann man jetzt wie ein erwachsener Mann einsteigen. Denn obwohl die Länge nahezu unverändert ist und der Radstand gerade mal um zwei, drei Zentimeter wächst, bietet der PlusSix innen stolze 20 Zentimeter mehr Platz. Vorne reicht’s deshalb für ein paar Zentimeter mehr Bein oder ein paar Kilo mehr Bauch, und hinter die Sitze passt jetzt mehr als nur der Kulturbeutel und die Kreditkarte.

Das ändert aber nichts am intimen und intensiven Fahrerlebnis im Morgan: Mit dem Allerwertesten fast auf dem Asphalt und die Nase steil im Wind, bekommt man vom Untergrund und der Umwelt mehr mit als in jedem anderen Roadster diesseits eines Caterhams oder einer Lotus Elise. Allenfalls ein Mazda MX-5 ist in seiner Direktheit und Agilität noch halbwegs vergleichbar, selbst wenn der neben dem Morgan wirkt wie Science-Fiction. Autos wie der BMW Z4 dagegen, mit dem sich der PlusSix nun Antrieb und Getriebe teilt, fahren in einer anderen Welt und wirken vergleichsweise kalt und gefühllos und der Fahrer ist seinem Auto längst entrückt.

Nun auch mit Automatik

Ja, mit dem neuen Motor macht der Morgan eine neue Musik und dass jetzt eine Automatik die Handarbeit am Getriebe ersetzt, ist tatsächlich etwas gewöhnungsbedürftig. Aber während der Z4 elektronische Sperenzchen wie einen Hinterachsdifferential oder ausgefeilte Fahrprofile braucht, um an den Nerven zu kitzeln, setzt der Morgan einfach auf die unschlagbare Kombination aus geringem Gewicht und hoher Leistung und auf ein möglichst unverfälschtes Fahrerlebnis: Das Fahrwerk ist kompromisslos und freut jeden Orthopäden, lässt dafür aber keine Zweifel an der Fahrbahnbeschaffenheit aufkommen und sorgt für eine unerschütterliche Bodenhaftung.

Und die Lenkung ohne adaptive Servounterstützung mag modernen Zeitgenossen kraftzehrend und nervös vorkommen. Aber dafür hat man den PlusSix damit perfekt in der Hand und kann über den langen Bug zielgenau den Scheitelpunkt jeder Kurve anpeilen. Und mangels elektronischer Regelsysteme kann man beim Herausbeschleunigen mit ein wenig Nachdruck im Gasfuß auch die Fahrtrichtung beeinflussen.

Klar wird ein Auto mit 340 PS und 500 Nm dann gerne mal ein bisschen unruhig, erst recht, wenn es gerade mal 1.075 Kilo wiegt. Aber das gehört zum Nervenkitzel dazu, und emotionslose Autos gibt es auch unter den Sportwagen schon genug. Apropos Emotionen: Die sind auch beim Kickdown garantiert: Von 0 auf 100 beschleunigt der Roadster in 4,2 Sekunden und die 267 km/h Höchstgeschwindigkeit fühlen sich in einem derart rustikalen Auto fast nach Schallgeschwindigkeit an. Daran ändern auch der drei Liter große Turbo und die Automatik nichts.

Ein Gefühl wie im Oldtimer

Das Heck des Morgan Plus Six. Foto: Morgan

Und spätestens, wenn es zu regnen beginnt, ist es gar vollends vorbei mit der Moderne und der Morgan fühlt sich wieder komplett nach Oldtimer an. Unten rum, weil es keinerlei Elektronik gibt, die dem Fahrer beim reißerischen Spiel mit den Reibwerten unterstützt. Und obenrum, weil man sich gegen das Wetter mit Steckscheiben wappnet, die man von Hand festschraubt und mit einem Faltdach, gegen das ein Zehnmann-Zelt leicht aufgebaut ist. Da braucht man entweder ein verdammt gutes Regenradar, oder man kann es ganz bleiben lassen. Denn wer erst mit dem ersten Tröpfeln anfängt, der ist nass bis auf die Knochen, noch bevor die Plane aufgezogen ist. Aber auch das gehört bei einem Morgan irgendwie dazu. Und zum Glück gibt’s mittlerweile ja sogar eine Sitzheizung.

Ein moderner Motor in einem neuen Auto, das aussieht wie vor bald 100 Jahren, Holz und Leder wie in einer Kutsche und eine Fahrdynamik wie in einem Supersportwagen, Handwerkskunst hier und Hightech da – je länger man sich mit dem PlusSix beschäftigt, desto mehr kommt man auf dem persönlichen Zeitstrahl durcheinander. Firmenchef Steve Morris in seinem Büro mit den ausgetretenen Holzdielen und den trüb gewordenen Fenstern macht es sich da leicht und lebt einfach in seiner eigenen Zeit: Auf die Frage nach gestern oder heute hat er deshalb nur eine Antwort: Morgan! (SP-X)

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