Der Autobauer MG ist mittlerweile chinesisch. Mit einer Vielzahl von elektrischen Modellen will die einstige Kultmarke in Europa durchstarten.
Im letzten Viertel seiner knapp 100-jährigen Geschichte war die Marke MG meist ein Wander-Pokal der traurigen Art: British Leyland, Rover, BMW und schließlich die chinesische Nanjing Automobile Group – wechselnde Besitzer haben zwei- bis dreistellige Millionensumme in die Kultmarke investiert.
Außer viel Stress für Gläubiger und Arbeitsbeschaffung für Insolvenzverwalter blieb nicht viel davon übrig. Mitte der 2000er Jahre war von MG eigentlich kaum mehr vorhanden als das Markenlogo auf manchen Sondermodellen der Schwestermarke Rover.
Mit E-Modellen Kunden gewinnen
Doch Matt Lei ist sich sicher, dass sein Arbeitgeber diese Talfahrt pünktlich zum 100-jährigen Jubiläum von MG beendet haben wird – und MG wieder unter den ernstzunehmenden Herstellern mitspielen kann: „Wir haben diese Marke gekauft, weil sie gerade in Europa immer noch sehr bekannt ist; das ist eine gute Ausgangsbasis“, sagt der Europachef des siebtgrößten Autoherstellers SAIC aus China. In diesem Jahr will der Shanghaier die ersten Pflöcke in Kerneuropa einschlagen.
Der Schlüssel für das Sesam-öffne-dich des Marktes sind elektrifizierte Modelle: Reine Verbrenner liefert MG nur noch in Großbritannien, wo die Marke nie ganz aus den Showrooms verschwunden war. In der EU sollen allein Plug-In-Hybride und vollelektrische Fahrzeuge den Kunden begeistern. Vor allem mit zwei Argumenten: Deutlich niedrigere Preise als die Konkurrenz – und hochwertige Verarbeitung. Da hat SAIC augenscheinlich vor allem beim Partner Volkswagen und Audi gelernt. Mit denen stellen die Chinesen im Heimatmarkt schon länger gemeinsam Autos auf die Räder.
Bisher zwei Modelle am Markt
In Deutschland sind die Chinesen seit wenigen Monaten mit zwei Modellen am Markt: dem vollelektrischen ZS EV im B-Segment (ab 30.420 Euro) und dem Plug-in-Hybrid EHS in der Kompaktklasse (ab 32.312 Euro). Vor allem der EHS zeigt dabei etwa im Innenraum durchaus Premium-Niveau, und MG verweist auch gern auf die zahlreichen Materialen aus deutscher oder italienischer Fertigung. Aber Lei betont: „Wir wollen nicht mit den Premium-Marken konkurrieren.“ Erst einmal gehe es darum, mit gutem Absatz ausreichend Marktanteil zu gewinnen. In Großbritannien haben die Chinesen immerhin schon so viele Neukunden wie Nissan – mehr als ein Prozent des Marktes.
Damit das auch in Deutschland gelingt, soll die Elektro-Offensive in den kommenden Wochen noch deutlich an Fahrt aufnehmen: Im Oktober werden die ersten Fahrzeuge des 4,70 Meter langen SUV Marvel R im Handel stehen. Allradantrieb mit drei Motoren, Maximalleistung von 288 PS, mehr als 400 Kilometer Reichweite, Spitzentempo 200 und ein Cockpit-Design irgendwo zwischen Tesla und Audi sind eine starke Ansage. Vor allem bei einem Startpreis ab 40.000 Euro.
Preisvorteile gegenüber Wettbewerb
VW- oder Hyundai-Wettbewerber sind mehr als 10.000 Euro teurer. Dafür sind die aber oft auch beim Händler um die Ecke Probe zu fahren. Das weiß auch Matt Lei. Deswegen soll MG bis Ende des Jahres an mehr als 100 Verkaufsstellen in Deutschland zu haben sein – die Hälfte davon sind schon geschafft. Die Präsenz ist gerade auch für das vierte Produkt wichtig, mit dem MG hierzulande punkten will: dem Kombi MG 5. Auch der ist vollelektrisch angetrieben „und damit haben wir eine Alleinstellung im Markt“, so Lei. Der klassische Familienkombi habe in der SUV-Flut immer noch seine Anhänger; und für die zählen vor allem Fakten.
Vor allem Platz: Bei noch relativ kompakten 4,54 Meter Außenlänge liegt das Kofferraumvolumen bei 578 bis maximal 1.456 Litern. Die Lithium-Ionen-Batterie liegt zwischen der Vorder- und Hinterachse und nimmt so keine Variabilität, wichtig etwa auch für Handwerker. Eine Reichweite von mehr als 400 Kilometern (WLTP), 184 PS und 280 Nm Drehmoment, Schnellladen von 30 Minuten bis zu 80 Prozent und 500 Kilo Anhängelast machen den E-Kombi zum Familienfreund.
SUV One vorerst nicht in Deutschland
Das allerneueste Modell von MG wird es auf absehbare Zeit in Deutschland allerdings nicht zu fahren geben: das 4,57 Meter lange SUV One wird nur im chinesischen Heimatmarkt zu haben sein. Denn der kompakte Wagen mit coupehaftem Heck wird ausschließlich von einem 181 PS starkem Turbo-Benziner angeboten – und passt deshalb nicht in die Strategie Leis, MG in der EU als reine E-Marke zu positionieren. Aufgeschoben ist allerdings nicht aufgehoben: Die neue Sigma-Bodengruppe des One bietet auch Platz für eine Batterie. In den kommenden Jahren könnte darum ein elektrischer One den ZS EV ersetzen.
Wesentlich sicherer dürfte allerdings eine weitere Neuerscheinung sein, die für die Fans der „Morris-Garages” eigentlich ein Must-have ist: der klassische Roadster. Mit dem hat die Marke schließlich aus britischer Produktion Mitte vergangenen Jahrhunderts seine goldenen Zeiten erlebt. „Ich war überrascht, wie viele Menschen noch einen MG-Roadster in der Garage haben”, sagt auch Lei.
Da dürfen sie sich auf 2024 freuen: Dann wird MG sein Concept-Car Cyberster in der endgültigen Version in den Markt bringen. Lange Motorhaube, spitze Nase, kurzes Heck und schlanke Taille: Das sind die typischen Zutaten, die kompakte MG-Roadster so beliebt gemacht haben. Virtuelle Anzeigen, Fingerabdruck-Scanner für den Zugang und natürlich der elektrische Allradantrieb sind dagegen ganz nach chinesischem Anspruch. Von 800 Kilometer Reichweite und drei Sekunden von null auf 100 ist auch die Rede. Da könnte es wohl diesmal was werden mit der Wiedergeburt von MG. Matt Lei zumindest verspricht: „Wir haben einen langen Atem.” (SP-X)