Mercedes S-Klasse: Raus aus der Krise

Mercedes S-Klasse: Raus aus der Krise
Die neue Mercedes S-Klasse steht in den Startlöchern. Noch ist sie getarnt unterwegs. © Daimler

Die Mercedes S-Klasse ist das Flaggschiff des kriselnden Autobauers. In vier Wochen kommt nun die neue Generation auf den Markt. Die Erwartungen sind hoch.

Das weiß auch Jürgen Weissinger, der in diesen Wochen ziemlich was um die Ohren hat. Denn er ist Chefingenieur der S-Klasse und vier Wochen vor der Weltpremiere des neun Flaggschiffs steht er ständig unter Strom: Schließlich ist die intern W 223 genannte Baureihe nicht nur das technologische Aushängeschild von Mercedes und deshalb besonders komplex.

Als Bestseller in der Luxusklasse und Rendite-König muss der Luxusliner den derzeit arg gebeutelten Konzern aus der Krise zu führen. Kein Wunder also, dass Weissinger so oft wie möglich hinter dem Steuer eines Prototypen sitzt, und tief in die Limousine hinein horcht, damit beim Start zum Jahresende auch ja nichts schief geht.

Das beste Auto noch besser machen

Das Briefing für diesen vielleicht wichtigsten Job bei Daimler war dabei denkbar einfach, die Umsetzung dagegen umso schwerer: Denn Weissinger musste nicht mehr und nicht weniger tun, als das nach eigener Einschätzung beste Auto der Welt wieder ein bisschen besser zu machen. Am besten natürlich ein großes bisschen. Bei dem Niveau, das schon die aktuelle S-Klasse erreicht hat, war das freilich kein Kindespiel.

Die Mercedes S-Klasse wird mit unterschiedlichen Radständen angeboten. Foto: Daimler

Doch wer den Chefingenieur auf einer seiner Fahrten begleitet, merkt sofort, dass er noch ein paar Schrauben gefunden hat, an denen er drehen konnte. Weil der Platz hinter dem Lenkrad noch tabu ist, beginnt diese Erkenntnis im Fond, wo man jetzt auch in der kurzen S-Klasse beinahe die Beine übereinander schlagen kann: Ein paar Zentimeter mehr Radstand und vor allem sehr viel schlankere Sitze ermöglichen einen deutlich spürbaren Platzgewinn und vermitteln eine Größe, die eine Langversion beinahe überflüssig macht.

Und trotzdem gibt’s neben der Standard-S-Klasse von nun 5,15 Metern natürlich wieder eine Version mit langem Radstand, die dann auf rund 5,25 Meter kommt und vor allem für Amerikaner und Chinesen ein Muss ist. Und etwas später kommt selbstredend auch der Maybach in XXL.

Wolkenweiche Leichtigkeit

Aber Komfort ist in der S-Klasse nicht nur eine Frage des Platzangebots. Es ist vor allem jene wolkenweiche Leichtigkeit, die einen die Größe des Autos genauso vergessen lässt wie die Entfernung, die man darin zurücklegt. An Bord ist es deshalb noch leiser als bisher, man sitzt auf den neuen Sesseln, die nun auch im Fond massieren können, noch bequemer, und das Fahrwerk lässt die Welt da draußen ganz weit weg erscheinen. Schon in der Standardversion gibt es eine Luftfederung und gegen Aufpreis die weiter verfeinerte Active Body Control aus dem GLE, die mit ihren 48 Volt-Stellern die Federung jedes einzelnen Rades bis zu 1.000-mal pro Sekunde der aktuellen Fahrsituation anpasst.

Und ganz nebenbei erfüllt sie nun auch noch eine Sicherheitsfunktion: Bei einem drohenden Seitencrash bockt sie den Wagen binnen Sekundenbruchteilen um acht Zentimeter auf und leitet die Aufprallenergie so in den besonders stabilen Unterboden. Zusammen mit bis zu 16 Airbags und jeder Menge neuer oder verfeinerter Assistenzsysteme soll die S-Klasse so auch ihren Ruf als sicherste Limousine der Welt halten.

Handlichkeit als einer Zielvorgaben

Trotz des üppigen Formats will die S-Klasse allerdings handlicher denn je sein – und bekommt dafür endlich auch eine Hinterachslenkung. Und weil Mercedes damit eine Generation hinter der Konkurrenz fährt, macht Weissinger keine halben Sachen und verdreifacht mal eben den Einschlag: Statt zwei bis drei Grad kann die S-Klasse die Hinterräder um bis zu zehn Gad einschlagen und gewinnt so rund zwei Meter Wendekreis.

Selbst die Langversion schafft eine Kehre deshalb in weniger als elf Metern und fährt um die Konkurrenz Kreise und wenn man Weissinger bei der Fahrt durchs Parkhaus ins Gesicht schaut, dann macht die S-Klasse hier jetzt fast so viel Spaß wie ein Mini: So schnell jedenfalls ist vorher noch keiner mit so einem stattlichen Auto durch die engen Auffahrten gekachelt.

Sprung bei der Aerodynamik

Zwar durfte Weissinger bei der S-Klasse offenbar aus dem vollem schöpfen. Doch zumindest in einer Disziplin musste der Chefingenieur auch sparen: beim Verbrauch. Obwohl das Auto größer geworden ist und mehr Technik drinsteckt, hat die S-Klasse deshalb wieder ein wenig abgespeckt und auch beim cw-Wert noch einmal einen Sprung gemacht. Außerdem gibt es für die Sechs- und die Achtzylinder-Motoren immer Mildhybrid-Technik und wer den Sechszylinder-Plug-In-Hybrid bestellt, kann mit bis zu 100 Kilometern elektrischer Reichweite kalkulieren, verspricht der Chefingenieur.

Nur eine rein elektrische Variante wird es nicht geben, weil parallel ja gerade der EQS entwickelt wird, der ein halbes Jahr nach der S-Klasse Tesla & Co in die Schranken weisen will. Dafür hat Weissinger noch ein bisschen was für leistungshungrige und statusbewusste Kunden in petto: Natürlich wird es auch wieder einen S63 von AMG geben und auch der bereits totgesagte Zwölfzylinder lebt im S 600 weiter.

S-Klasse als schwierigster Projekt

Jürgen Weissinger ist Chefingenieur der Mercedes S-Klasse. Foto: Daimler

Obwohl Weissinger vom ersten Maybach bis zum SLR schon ein paar dicke Bretter gebohrt hat in seiner Mercedes-Karriere, ist die S-Klasse sein schwierigstes Projekt. „Kein anderes Auto ist so komplex und es müssen nirgendwo so viele Systeme miteinander harmonieren.“

Doch bei aller Anspannung sind die Testfahrten mit den Prototypen für ihn die reine Erholung und egal, wie sehr ihm der Kopf schwirrt, geht es ihm nach jedem Kilometer im neuen Luxusliner besser. Nicht umsonst gibt’s jetzt wie bislang nur im Fond auch für die erste Reihe vor der eigentlichen Kopfstütze noch beheizte Kuschelkissen, in die der gestresste Manager seinen Kopf sinken lassen und die Welt für ein paar Momente vergessen kann. Und was später mal bei den Wichtigen dieser Welt funktionieren soll, klappt beim Chefingenieur schon ganz gut. (SP-X)

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