Mercedes tourt mit der S-Klasse autonom durch die Welt. Derzeit sind die Schwaben mit ihrem Flaggschiff in Shanghai unterwegs – und stellen sich der Herausforderung des urbanen Verkehrs.
Autofahrer kennen es aus der Fahrschule: Der dichte Stadtverkehr ist für Fahranfänger am Schwierigsten zu meistern. Aufgrund der hochkomplexen Situationen ist der urbane Verkehr auch für autonome Autos eine der größten Herausforderungen. Anders als ein Fahranfänger muss sich das Roboterauto jedoch überall auf der Welt in der Rushhour sofort zurechtfinden. Die autonome S-Klasse von Mercedes trainiert deshalb unter anderem in der Königsdisziplin, dem stressigen Stadtverkehr der Millionenmetropole Shanghai. Es ist die zweite Station auf der autonomen Testfahrt „Intelligent World Drive“ rund um die Welt.
Die hohe Dichte von Autos, Zwei- und Dreirädern sowie Fußgängern und das Verkehrschaos in chinesischen Städten stellen laut Mercedes andere Anforderungen an automatisierte Fahrfunktionen als in Europa oder den USA. Hinzu kommen Schilder mit chinesischen Schriftzeichen und Spurmarkierungen, die in China eine andere oder gar mehrfache Bedeutung haben können: So sind beispielsweise kurze weiße Linien, die weltweit als Zebrastreifen bekannt sind, auch auf Autobahnen zu finden, dort markieren sie den Mindestabstand zwischen den Fahrzeugen.
Nach China folgt Australien
Dies muss die Sensorik erkennen und richtig interpretieren, ebenso wie Tempolimits, die sich von Fahrspur zu Fahrspur unterscheiden können. Eine weitere Herausforderung: Parkplätze haben die unterschiedlichsten Formen und sind oft voller Hindernisse, die für Sensoren schwer zu erkennen sind. Wie gut das klappt und was es noch zu verbessern gibt, „erfahren“ die Ingenieure auf ihrer Tour um die Welt wortwörtlich.
Während der Fokus der Testfahrten in Shanghai auf dem Fahrverhalten im extrem dichten Verkehrsfluss mit unterschiedlichen Teilnehmern sowie auf infrastrukturellen Besonderheiten liegt, hat die S-Klasse zuvor in Deutschland auf der Autobahn und im Stau trainiert. Auf die Erprobung in China folgen Testfahrten in Australien: Auf der Fahrt von Sydney nach Melbourne liegt der Fokus insbesondere auf der Validierung des aktuellen, digitalen Kartenmaterials von Here. Auf der nächsten Etappe im Dezember in Südafrika soll die Fußgängererkennung in vielen ungewohnten Situationen eine große Rolle spielen. Nach fünf Monaten Erprobungsfahrt ist Endstation des Intelligent World Drive die Elektronik-Messe CES in Las Vegas im Januar. Im Großraum Los Angeles testen die Entwickler zuvor das Fahrverhalten der S-Klasse unter anderem bei rechts überholendem Verkehr auf Highways.
5100 Testfahrten weltweit
Die landesspezifischen Besonderheiten zeigen, wie wichtig es ist, auf dem Weg zum autonomen Fahren weltweit Erkenntnisse im realen Verkehrsgeschehen zu sammeln und automatisierte Fahrfunktionen an die jeweiligen Verkehrsgewohnheiten und -bedingungen anzupassen. Das ist bereits zur Absicherung von Fahrerassistenzsystemen geschehen: Bei Mercedes haben in den vergangenen sieben Jahren 175 Erprobungsträger rund 5.100 Testfahrten weltweit durchgeführt. Auf rund 9,5 Millionen Kilometern in Europa, den USA, China, Australien und Südafrika wurden dabei die Leistungsfähigkeit der Fahrassistenzsysteme im Realverkehr bewertet.
Da Licht auf dem Weg zur autonomen Mobilität eine zentrale Rolle spielt, testet Mercedes beim „Intelligent World Drive“ auch einen Scheinwerfer-Prototypen. Das blendfreie Dauerfernlicht in HD-Qualität verfügt über Chips mit mehr als einer Million Mikrospiegeln und damit Pixel pro Scheinwerfer. So kann das „Digital Light“ unter anderem Lichtspuren auf die Straße projizieren, um mit der Umgebung zu kommunizieren. Das Lichtsystem hatte Daimler Anfang 2015 im Forschungsfahrzeug F015 Luxury in Motion als Zukunftsvision vorgestellt. (dpa)