Eine seriennahe Mercedes S-Klasse hat autonom eine Strecke von 100 Kilometern zurückgelegt. Dabei wurde nicht irgendwo auf einem abgesperrten Areal gefahren, sondern im Überland- und Stadtverkehr. Der Autobauer bezeichnete den Versuch als Meilenstein.
Der Fahrer lümmelt bequem auf seinem Sitz und liest die neusten Mails auf dem Display seines Infotainmentsystems oder seinem iPad. Doch diese Szene spielt sich nicht irgendwo auf einem Parkplatz ab, sondern beim Fahren. Was sich noch wie Zukunftsmusik anhört, rückt in immer greifbarere Nähe. Dass autonomes Fahrern möglich ist, haben bereits Hersteller wie Audi gezeigt, doch bislang noch nicht in der Form, wie es nun der Autobauer Daimler getan hat.
Seriennahe S-Klasse unterwegs
Mit dem Forschungsfahrzeug S500 Intelligent Drive legten die Schwaben im Vormonat eine Distanz von 100 Kilometer im Überland- und Stadtverkehr autonom zurück – und rücken damit die Zukunft ein Stück näher. Für diese vollautomatisierte Fahrt wurde dann auch nicht irgendeine Strecke ausgesucht, sondern die Route von Mannheim nach Pforzheim. Auf diesem Abschnitt fand vor 125 Jahren die erste Fernfahrt von Bertha Benz statt. Wer meint, dass die Mercedes S-Klasse dabei diese Strecke nur durch den Einsatz von teurer Spezialtechnik absolviert wurde, der irrt.
Nach Angaben des Herstellers sei eine mit seriennaher Technik ausgestatte S-Klasse unterwegs gewesen. Die dort verwendete Technologie komme auch in der neuen Mercedes E-Klasse zum Einsatz. Dabei meisterte das autonom fahrende Forschungsfahrzeug ohne Probleme mühelos die Alltagssituationen, denen sich sonst der Fahrer gegenüber sieht: Sie hielt korrekt an Ampeln, wich Radfahrern und Fußgängern aus, reagierte auf stehende Straßenbahnen und fuhr mühelos im fließenden Verkehr mit. Für Mercedes ist dieser Test ein „Meilenstein“ auf dem Weg zum autonomen Fahren.
Serienfunkton in dieser Dekade
Für dieses Projekt war das Forschungsfahrzeug mit seriennaher Sensorik ausgestattet, die sich in abgespeckter Form bereits heute in der neuen S-Klasse findet. Die Mercedes-Entwickler haben das Forschungsfahrzeug so konzipiert, das es weiß, wo er ist, was er sieht und wie er selbstständig reagieren auf das Verkehrsgeschehen reagieren muss. Dadurch findet das der S500 Intelligent Drive mit seinem automatiserten Strecken-Pilot den Weg durch dichten Stadt- und Überlandverkehr.
„Mit den erfolgreichen Versuchsfahrten auf den Spuren von Bertha Benz haben wir den Beweis erbracht, dass hochautomatisiertes Fahren auch jenseits von abgesperrten Strecken oder vergleichsweise übersichtlichen Situationen möglich ist“, sagte Daimler-Entwicklungsvorstand Thomas Weber. „Wir haben – und das war für uns das Ziel des Projekts – wesentliche Erkenntnisse gewonnen, in welche Richtung wir unsere heutigen Systeme weiterentwickeln müssen, um auch abseits der Autobahn autonom fahren zu können.“ Wie Weber sagte, sei man selbst erstaunt, wie weit „wir mit unserer heutigen Sensortechnik schon kommen, aber wir wissen jetzt auch, wie viel Zeit und Mühe es kostet, dem Fahrzeug das richtige Verhalten in einer Vielzahl von Verkehrssituationen beizubringen – denn jede Fahrt auf der Strecke war anders“.
Bereits heute im Stau autonom unterwegs
Die nun gesammelten Erfahrungen werden Eingang in die Planung künftiger Fahrzeuggenerationen finden. „Wir sind mit der neuen S-Klasse die ersten, die im Stau autonom fahren können. Wir wollen auch die ersten mit weiteren autonomen Fahrfunktionen in Serie sein. Und gehen Sie davon aus, dass wir das noch innerhalb dieser Dekade schaffen werden.“ Für Daimler-Chef Dieter Zetsche stellen autonome Fahrzeuge einen wichtigen Schritt auf dem Weg zum unfallfreien Fahren dar. „Sie werden den Komfort und die Sicherheit für alle Verkehrsteilnehmer weiter erhöhen. Denn autonome Fahrzeuge reagieren auch dann, wenn der Fahrer unaufmerksam ist oder etwas übersieht und nehmen ihm unangenehme oder schwierige Fahraufgaben ab.“
In der Industrie wird derzeit mit Blick auf das autonome Fahren von drei Stufen gesprochen: dem teilautomatisierten Fahren (hier überwacht der Fahrer die automatischen Funktionen und darf keiner fahrfremden Tätigkeit nachgehen), dem hochautomatisierten Fahren (hier muss der Fahrer das System nicht ständig überwachen, erhält die Fahraufgabe aber rechtzeitig zurück) und dem vollautomatisierten Fahren (hier kann das System alle Situationen autonom bewältigen und ermöglicht ein fahrerloses Fahren).
Die erste Option ist in Serienfahrzeugen der verschiedenen Hersteller bereits heute möglich. So können Fahrer der S- und E-Klasse mit der so genannten Distronic Plus mit Lenk-Assistent und Stop & Go-Pilot das Fahrzeug weitgehend automatisch durch den Stau lenken lassen. (AG/FM)