Augmented Reality heißt das Zauberwort, das den Autofahrer in Zukunft trotz aller Fahrassistenzsysteme noch besser unterstützen soll. Die neue S-Klasse von Mercedes zeigt, dass das Vorhaben kein „Science Fiction“ ist.
Von Thomas Flehmer
"Im Kreisverkehr dritte Abfahrt nehmen", sagt die zärtliche Stimme aus dem Navigationssystem. Zählt nun der Feldweg mit oder nicht, fragt sich der Autofahrer, der, nachdem er die falsche Ausfahrt anschließend gewählt hat und von eben dieser Stimme schnell wieder eingefangen wird: "Wenn möglich bitte wenden." Damit das Aggressionspotenzial des Fahrers in diesen Momenten niedrig gehalten wird, kümmern sich die Techniker der Autohersteller darum, welche hilfreiche Unterstützung im Auto dem Fahrer zukommen soll.
Komfortabler Nachtsichtassistent in der Mercedes S-Klasse
Sicher gibt es bereits zahlreiche Fahrassistenzen im Auto – und je mehr dazukommen, umso größer wird auch die Diskussion, welche dieser Assistenzen wirklich helfen, oder dem Fahrer eher verwirren, ablenken oder gar nur nerven. Unter dem Stichpunkt "Augmented Reality" – übersetzt "angereicherte Wirklichkeit" - sollen diese Systeme in der Zukunft wirklich unterstützend wirken. "Augmented Reality ist eine neue intuitive Möglichkeit, um Dinge darzustellen, die wir heute schon darstellen", sagt Ralf Lamberti, Leiter der Innovationswerkstatt von Mercedes-Benz.
Wie das aussehen kann, ist keine absolute Zukunftsvision, sondern passiert auch schon in der aktuellen Mercedes S-Klasse, die gerade neu eingeführt wurde. Hier erkennt zum Beispiel der Nachtsichtassistent nicht nur Kennzeichen in der Dunkelheit und leuchtet das Fernlicht so aus, dass der Gegenverkehr nicht geblendet wird, sondern diverse Kameras erkennen Menschen und Tiere bereits sehr viel früher, als Fahrer und Beifahrer diese in der Finsternis erkennen können.
Richtungspfeile zeigen den Weg
"Die Nah-Infrarot-Kamera fusioniert mit der Wärmebild-Kamera und entwickelt immer sich besser zusammensetzende Bilder in bis zu 14 Stufen, ehe das menschliche Auge sich diese Bilder zusammenstellen kann", sagt Joachim Glaser von der so genannten Innovationswerkstatt von Mercedes-Benz, deren Mitarbeiter nicht nur die Zukunft bei Sicherheit und Komfort für die neuen Modelle vorbereiten.
Während der Nachtsichtassistent bereits in die Serienversion des neuen Flaggschiffs verbaut wird, basteln die Ingenieure an neuen Möglichkeiten für die nächste Generation, die in rund sieben Jahren erwartet wird. Um die Verwirrung der Navis nicht nur im Kreisverkehr aufzulösen, haben die Techniker das Navi nicht nur als Echtbild umgesetzt, sondern legen auf das Fahrbahnbild auch noch Richtungspfeile. So braucht der Fahrer nicht auf die Stimme warten, sondern fährt den Pfeilen auf dem sehr klaren Bild hinterher.
Sinnvoller Lageplan
"Der Fahrbahnteppich wird kommen", sagt Entwickler Christian Grünler, "es kommt aber auf die Qualität an, ob er in der nächsten S-Klasse bereits seinen Einsatz erhält." Natürlich gehen die Ingenieure, die seit gut drei Jahren an dem Projekt arbeiten, davon aus, dass der Teppich dann die Serienreife erlangt hat. "Besonders hilfreich ist der Teppich in der Stadt", so Grünler weiter, wo enge Straßengassen zum Teil zu unübersichtlichen Situationen führen.
Eine weitere Hilfestellung erhalten die Insassen im Auto über die so genannten "Points of Interests" (POI), die im Versuchsfahrzeug weiter ausgebaut wurden. Mercedes geht einen Schritt weiter und in die Sehenswürdigkeiten, Einkaufszentren oder ähnliches quasi hinein. Die Fahrzeuginsassen bekommen über den Monitor einen Plan über den Aufbau des Einkaufszentrums oder Sehenswürdigkeit auf den Monitor gelegt, sodass sie wissen, wo sie am besten halten können, um sich lange Wege zu ersparen.
Sicher einparken
"Gerade bei den großen Shopping-Malls in Amerika sind diese Hinweise sinnvoll, um kilometerlange Fußgänge zu verhindern. Dann kann der Fahrer direkt vor dem Laden halten, in dem er einkaufen möchte", so Jochen Hermann, Leiter Fahrassistenzsysteme bei Mercedes. Um dann auch noch richtig einparken zu können, gibt es die 360 Grad-Kamera mit aufgemalten Hilfslinien. Diese befindet sich bereits in der aktuellen S-Klasse und ist eine sinnvolle Weiterentwicklung bisheriger Einparksysteme und Rückfahrkameras.
Damit im Vornherein zwischen sinnvollen Hilfen und Überforderung des Fahrers ausgesiebt werden kann, finden in der Innovationswerkstatt bis zu 80 Workshops im Jahr statt – nicht nur zur Förderung der Augmented Reality. Dort werden Ideen zusammengetragen, die dann in die Serienproduktion einfließen könnten. Die meisten dieser Ideen nach dem Brainstorming werden verworfen, doch die Weitsicht schärft im Verlauf den Weg. "70 Prozent der Ideen gehen sofort in die Tonne", sagt Erik Schneider, einer von fünf Moderatoren, die diese Workshops leiten. "Wenn von den letzten zehn eine Idee den Weg in das Auto schafft, ist das okay."
Vom Anfang bis zur Serie
Welche Idee aus der mittlerweile seit zehn Jahren bestehenden Innovationswerkstatt den Weg geschafft hat, kann Schneider nicht sagen. "Wir sind immer sieben Jahre voraus." Und "nur" der Anfang der Entwicklung, "zwischen Idee und Serienproduktion". Doch das zum Teil banale Überlegen, was ist sinnvoll und was nicht, trägt Früchte. "Mein Erfolgserlebnis ist es, wenn der Auftraggeber wiederkommt und hier den Anfang nimmt", so Schneider. Und am Ende wird dann der Teppich auf dem Monitor ausgelegt, um das Ziel sicher zu erreichen - und das eventuell auch schon autonom - also ohne Einfluss des Fahrers.