So sieht für Daimler das Auto die Zukunft aus: Es ist flach, es ist Silber und verfügt über einen digitalisierten Innenraum. Der Mercedes F 015 ist mehr als nur ein Transportmittel. Mitfahrt in einer Vision.
Von Frank Mertens
Noch steht der Mercedes F 015 auf der Alameda Naval Air Station unter einem Carport. Im Hintergrund sieht man die Skyline von San Francisco. Doch schon zückt Peter Lehmann sein Smartphone, tippt auf dem Display die Zahl der Passagiere ein und gibt dem F 015 den Befehl, vorzufahren. Nach dem Bruchteil einer Sekunde setzt sich das Forschungsfahrzeug der Schwaben langsam in Fahrt. Doch im F 015 sitzt kein Fahrer, es fährt vollständig autonom.
Dass Mercedes autonomes Fahren beherrscht, hat der Autobauer bereits im Jahr 2013 bewiesen. Damals, vor etwas mehr als anderthalb Jahren, haben die Schwaben den Mercedes S 500 Intelligent Drive eine Strecke von mehr als 100 Kilometer autonom von Mannheim nach Pforzheim zurücklegen lassen.
Idee entstand 2011auf Workshop in Tokio
Doch mit dem F 015 will Mercedes mehr. Man will zeigen, wie man sich im Jahr 2030 die Mobilität der Zukunft vorstellt. Dafür hat man dieses Forschungsfahrzeug entwickelt, dessen Idee bei einem Workshop 2011 in Tokio entstand. „Damals ging es darum, wie die Mobilität der Zukunft ausschaut. Darum, wie sich der Luxus der Zukunft definiert“, erzählt Daimler-Zukunftsforscher Alexander Mankowsky.
Dass der F 015 ein mutiges, weil revolutionäres Auto ist, haben die Schwaben bereits im Januar auf der Consumer Electronic Show (CES) in Las Vergas gezeigt. Während das Publikum mit großem Interesse auf dieses Forschungsfahrzeug reagierte, zeigte man sich bei der Konkurrenz doch leicht verwundert angesichts so vieler Visionen.
Zwar räumte Audi-Entwicklungsvorstand Ulrich Hackenberg im Interview mit der Autogazette ein, dass der der F 015 eine interessante Vision sei. Doch in Ingolstadt sei man realitätsnah unterwegs. Er, so sagte Hackenberg, würde nur das zeigen, was er auch innerhalb der nächsten Generation eines Fahrzeuges umsetzen könne.
Ungeklärte Gesetzeslage
Auf den F 015 trifft dies nicht zu, allein schon wegen der nach wie vor ungeklärten Gesetzeslage, in der autonomes Fahren nur in engen Grenzen möglich ist. Aber Mercedes geht es zumindest mit Blick auf den F 015 auch nicht um eine schnelle Serienreife. Man will zeigen, was vorstellbar, was möglich ist – und das nicht nur unter den aktuellen gesetzlichen Möglichkeiten.
Deshalb dürfe man beim autonomen Fahren nicht nur an die Technik denken. Wer das tut, der habe noch nicht erkannt, „wie es unsere Gesellschaft verändern wird. Das Auto wächst über seine Rolle als Transportmittel hinaus und wird endgültig zum mobilen Lebensraum“, sagt Daimler-Chef Dieter Zetsche.
Ginge es nach Recht und Gesetz, könnte ein Fahrzeug wie der F 015 auch nicht fahrerlos im öffentlichen Straßenverkehr unterwegs sein, noch nicht einmal in den USA.. Deshalb fand die Testfahrt auch auf einem abgesperrten Flugfeld und nicht in der Innenstadt von San Francisco statt. Doch das war nicht minder beeindruckend. Fast geräuschlos kommt der von Projektleiter Peter Lehmann gerufene F 015 vorgefahren, öffnet automatisch seine Doppel-Türen und bringt die vier Loungesessel gleich schon einmal so in Position, dass man bequem einsteigen kann. Die beiden vorderen Sitze lassen sich um 180 Grad drehen, entsprechend kann man während der Fahrt auch entgegen der Fahrtrichtung Platz nehmen.
Fahrerlos in silberner Flunder
Dann fährt das Lenkrad ebenso ein wie Gas- und Bremspedal. Stattdessen gibt der Fahrer über einen Touchscreen in den Seitentüren den Befehl, wie schnell der F015 nun fahren soll. Theoretisch, so sagt Lehmann, könne der F 015 auch über 200 km/h schnell sein, aber darauf verzichtet er heute. Nicht aus Sicherheitsgründen, vielmehr weil die 26 Zoll (!) großen Reifen ebenso geschont werden sollen wie der Lack durch kleine heraufwirbelnde Teilchen. Somit geht es nicht schneller als mit 60 km/h über den abgespeckten und vorprogrammierten Kurs.
Doch auch bei niedrigerem Tempo ist es ein faszinierendes Gefühl, fahrerlos in dieser silbernen Flunder unterwegs zu sein. Erst hat man noch ein komisches Gefühl in der Magengegend, wie es sein wird, einem Roboter zu vertrauen. Doch dieses Gefühl legt sich nach den ersten Testkilometern. Während man zunächst noch durch die abgedunkelten Scheiben nach draußen schaut, entspannt man zunehmend – halt so, wie man es in einem selbstfahrenden Auto erwartet. „Die Passagiere sollen das tun, wozu sie Lust haben. Ein Buch lesen, einen Film schauen oder sich einfach nur entspannen“, sagt Zukunftsforscher Mankowsky. Das Auto wird mit seinem Innenraum zu einem Rückzugsort, wie Hartmut Sinkwitz sagt, der bei Daimler das Interieur Design verantwortet.
Fahrende Spielekonsole
Für ausreichend Ablenkung ist im F 015 auf jeden Fall gesorgt. Dieses Auto ist eine einzige Spielekonsole im positivsten Sinn. Das Cockpit, die Türen, die Rückwand zwischen den Sitzen im Fond – überall befinden sich integrierte Bildschirme. Die Generation iPhone wird’s freuen. Bedienen lassen sie sich entweder über Berührung oder Blick- und Gestensteuerung.
Was Zetsche damit meint, wenn er davon spricht, dass das Auto zu mehr wird als einem bloßen Transportmittel, erkennt man im F 015 ziemlich schnell. Ja, man kann hier auch arbeiten, wenn man denn sein Büro unbedingt ins Auto verlagern möchte. Aber vor allem kann man entspannen, die stressige Außenwelt vergessen. Dafür kann man sich beispielsweise seine Lieblingsmotive ins Auto einblenden lassen: sei es nun der letzte Urlaub in den Bergen oder die letzte Reise an die See. Statt voller Straßen sieht man dann beispielsweise ein wunderschönes Bergpanorama. Das ist Balsam für die gestresste Autofahrerseele. Im F 015 wird die Innenwelt zur Außenwelt.
Natürlich kann man auch ganz einfach seine Lieblingsmusik über die Seitentüren aufrufen oder eine Videokonferenz mit einem seiner Freunde führen oder sich ganz profan mit den anderen Mitreisenden unterhalten. Ganz wie es beliebt.
Auto kommuniziert mit Lichttechnik
Wer meint, gänzlich abgeschottet zu sein, irrt. Natürlich nimmt man auch im F 015 Kontakt zur Außenwelt auf – denn das Forschungsfahrzeug kommuniziert mit den anderen Verkehrsteilnehmern. Dazu nutzt der F 015 Ton und Licht, das bei autonomer Fahrt übrigens von Weiß auf Blau wechselt. Erkennt das Forschungsfahrzeug beispielsweise einen Fußgänger, der die Straßenseite wechseln will, projiziert er ihm einen digitalen Zebrastreifen auf die Fahrbahn und signalisiert, dass er gehen kann. Natürlich wird auch der von hinten kommende Verkehr gewarnt, dass gerade ein Fußgänger die Straßenseite wechselt. Im farbigen Display an Front und Heck lassen sich dafür entsprechend Wörter wie beispielsweise „Stopp“ einblenden.
So wie der F 015 dem Fahrer nicht nur das Luxusgut Zeit zurückgibt, sorgt er auch für eine bislang nicht gekannte Kommunikation zwischen Auto und Mensch und Auto und Auto. „Im Stadtverkehr von morgen werden alle Verkehrsteilnehmer mehr und häufiger miteinander kommunizieren“, ist Zukunftsforscher Mankowsky überzeugt.
Aber nicht nur das: Auch die Innenstädte werden sich verändern. Dort, wo heute noch Autos das Stadtbild dominieren, können wieder die Menschen mehr Platz für sich in Anspruch nehmen. Die Forscher sprechen von „Shared Space“ (geteiltem Raum). Dafür, so sagt Zukunftsforscher Mankowsky, seien noch nicht einmal hohe Investitionen in die Infrastruktur notwendig. Dafür reichen bereits kleine Radarreflektoren aus, die man wie Pylonen mal schnell auf die Straße stellt.
Ein Auto wie der F 015 erkennt sie und kurvt entsprechend um sie herum. Noch eine Vision. Ja, aber eine, die Realität werden wird. Nicht heute, nicht morgen, aber in 20 oder 30 Jahren. Halt so, wie das autonome Fahren. Denn dass es kommen wird, darüber besteht in der Branche kein Zweifel. Daimler jedenfalls ist überzeugt, dass man beim autonomen Fahren in der Führungsrolle ist – nicht zuletzt auch wegen eines visionären Fahrzeuges wie dem F 015. Als die Mitfahrt mit dem F 015 auf dem Flugfeld in Almeda zu Ende ist und die Türen sich wieder geräuschlos öffnen, kommt die Erkenntnis, dass Daimler mit dieser Annahme vielleicht doch nicht so falsch liegt. Und bei Google und Apple, vor dessen Haustür die Mitfahrten mit dem F 015 stattfanden, dürfte man diese mit einigem Interesse verfolgt habe. Die alte Autowelt sollte man doch nicht so schnell abschreiben - bei aller Innovationskraft der beiden Firmen aus dem Silicon Valley.