Mazda R360: Kuscheln statt cruisen

Mazda R360: Kuscheln statt cruisen
Ein Drittel der Länge des Mazda R360 entfällt auf den Vorbau. © Wolfgang Groeger-Meier/SP-X

Der Mazda R360 weckt beim Betrachter einen Beschützerinstinkt. Denn von einem ausgewachsenem Auto ist das Sportcoupé so weit entfernt wie die Japaner vom Mainstream.

Gerade einmal 2,98 Meter misst der Viersitzer und je ein Drittel davon entfallen auch noch auf den Vorbau und das von zwei winzigen Flossen flankierte Heck, in dem der Motor steckt. Mit 1,29 Metern Höhe ragt er einem normalwüchsigen Westeuropäer kaum über den Bauchnabel, und der Radstand misst gerade einmal 1,76 Meter. So ein Vehikel gehört auf den Spielplatz und nicht auf die Straße. Zumindest heute.

Doch der kleine Charmeur ist ja nicht von heute und nicht von gestern, sondern von vorgestern. Wir schreiben das Jahr 1960, Autos sind in Japan noch Luxus. Deshalb hat die Regierung schon nach dem Krieg die Idee vom Kei-Car geboren. In Länge und Hubraum limitiert und von der Steuer begünstigt, sollen Autos plötzlich so erschwinglich werden, dass sich mehr Menschen individuelle Mobilität leisten können.

1960 Einstieg in den Autobau

Etwas später als der Rest der japanischen Industrie findet an dieser Idee auch das Mazda-Management gefallen. Nachdem die Firma aus Hiroshima erst in Kork gemacht und dann Lastendreiräder gebaut hat, denken die hohen Herren nach 40 Jahren über ihr erstes Vierrad nach, steigen 1960 in die Automobilproduktion ein – und haben auf Anhieb einen Lauf. Denn mit bisweilen 4.000 Verkäufen im Monat und einem Marktanteil von über 60 Prozent wird der R 360 für heute umgerechnet 2500 Euro zum größten Erfolg unter den Bonsai-Autos und ist in Japan bald so präsent wie bei uns seinerzeit die Isetta, das Goggomobil oder der Fiat 500.

Kein Wunder also, dass ihm auch in der an Kuriositäten nun wirklich nicht raren und weltweit ziemlich einzigartigen Mazda-Sammlung der Familie Frey in Augsburg ein Ehrenplatz gebührt.

Raus auf die Straße

Der Mazda R360 hat gerade mal einen 360 Kubik großen V2-Motor unter der Haube. Foto: Wolfgang Groeger-Meier/SP-X

Den muss er heute allerdings räumen. Denn, nachdem Vater Frey und seine beiden Söhne den vermutlich einzigen R360 in Deutschland zum Jubiläum wieder flottgemacht haben, darf die rote Rarität heute mal raus auf die Straße – und ich habe das zweifelhafte Vergnügen am Steuer. Klar ist das eine Ehre, aber es ist auch eine Aufgabe, die schon vor dem Einsteigen beginnt.

Denn bevor ich mich im menschlichen Origami üben und hinter das Lenkrad mit dem winzigen Tacho unter der Frontscheibe falten kann, muss ich erst einmal den Sitz einstellen, ihn dafür aus der Verankerung heben und in die hintersten der drei Löcher stecken. Wie dann allerdings noch jemand auf die Rückbank passen soll, ist mir ein Rätsel. Genauso übrigens wie die Antwort auf die Frage, wo der Beifahrer eigentlich hin soll. In meinen Schoß jedenfalls nicht, da habe ich schließlich schon das Lenkrad. Aber neben mir wird er in dieser Keksdose auf Rädern wohl kaum sitzen können. Also fahre ich wohl alleine.

Dabei wäre ein bisschen Begleitung nicht schlecht. Auch wenn es nicht viel zu bedienen gibt in dem minimalistischen Mazda, kann man mit der eigenwilligen zweistufigen Automatik mit dem Druckknopf zum Gangwechsel so einiges falsch machen und ist deshalb für eine Einweisung dankbar. Während ich mich in dem Rechtslenker damit abmühe, die Richtung zu halten, könnte ruhig jemand den Dunst von der Scheibe wischen, schließlich war das Gebläse damals offenbar ein verzichtbarer Luxus.

65.000 Exemplare produziert

Und zu guter Letzt würde mich brennend interessieren, wie die Freys den 360er ausgerechnet bei einem Australienurlaub aufgetrieben, ihn als wohl ersten und einzigen der bis 1969 rund 65.000 produzierten Exemplare nach Deutschland geholt und ihn dann auch noch in so einen Zustand versetzt haben.

Aber weder ist meine Neugier groß genug noch haben die Freys so ein Mitteilungsbedürfnis, dass sich jemand mit zu mir ins Auto quetscht. Wie auch bei 1,29 Metern Breite? Also mache ich meine Jungfernfahrt eben alleine und meine schon ein dankbares Seufzen aus dem Heck zu hören. Schließlich hat der gerade mal 360 Kubik große V2-Motor mit mir schon genug zu schaffen. Denn mehr als 16 PS sind dem Viertakter nicht zu entlocken und jeder Scheibenwischer-Motor hat heute mehr Leistung, gibt Frey Junior vor der Testfahrt nur halb im Scherz zu bedenken.

Bei gerade mal 22 Nm Drehmoment dauert es deshalb bis Tempo 65 laut Datenblatt 18 Sekunden und die Höchstgeschwindigkeit von 85 km/h erscheint wie eine Mutprobe, die ich weder mir noch dem Mazda zumuten möchte. Schön langsam schwimmen wir deshalb im Verkehr mit, wobei das mit dem Schwimmen so eine Sache ist: Wenn man selbst einem Porsche kaum bis zur Fensterbrüstung reicht und unter jedem Lastwagen durchschaut wähnt man sich wie im U-Boot zwischen lauter Ozeanriesen. Nur dass man nicht einfach abtauchen kann.

Konsequenter Leichtbau

Dass es der Mazda trotz meiner zwei Zentner überhaupt schafft, irgendwie voran zu kommen, liegt an der ingenieusen Phantasie der Japaner, die offenbar schon vor 60 Jahren seltene Blüten getrieben hat. So, wie Mazda bis heute in Treue fest zum Wankelmotor hält oder wider alle Unkenrufe den selbstzündenden Benziner entwickelt hat, so haben sie damals schon eigene Wege gesucht und dabei das leichteste Auto gebaut, das je auf Japans Straßen kam: Motorhaube, Heckklappe und die Sitzrahmen bestehen aus Leichtmetall, die Scheibe nicht aus Glas, sondern aus Acryl.

Der gesamte Fahrzeugaufbau ist darüber hinaus in einer rahmenlosen Monocoque-Struktur entworfen, die zusätzlich Gewicht spart. Und viele Teile des Motors sind aus Magnesium. So stehen am Ende gerade mal 380 Kilo auf der Waage und lassen dem Zweizylinder eine Chance.

Das Drehemoment des Mazda R360 liegt bei 22 Nm. Foto: Wolfgang Groeger-Meier/SP-X

Die nutzt er weidlich und kurvt bei einem seiner raren Ausflüge ins echte Leben auf seinen winzigen Reifchen rund um Augsburg wie ein großer. An Steigungen braucht man zwar etwas Geduld, selbst wenn’s nur über eine Bahntrasse geht statt über einen Bergpass, und enge Kurven nimmt man besser gemütlich. Aber das ist ohnehin die Gangart, die dem R360 am besten liegt. Und wenn er erst einmal warm gefahren ist, dann kennt der Kleine keine Grenzen mehr und trumpft groß auf – zumindest bis irgendwann der Tank leer ist und sich plötzlich wieder die eingangs aufgeworfene Frage nach der Milch oder dem Benzin stellt. Die beantwortet sich an der Tankstelle von selbst. Der Motor gönnt sich das hochoktanige Super, doch für die schmerzenden Knochen und die brennenden Muskeln des Fahrers kommt ein bisschen Calcium jetzt gerade recht. (SP-X)

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