Maserati Ghibli: Treffen unter Geschwistern

Maserati Ghibli: Treffen unter Geschwistern
Während das neue Modell ab 151.428 Euro zu haben ist, weisen Internetbörsen für den Ur-Ghibli zwischen 200.000 Euro 600.000 Euro für perfekte Exemplare aus. © SP-X/Broich

Vor 60 Jahren brachte Maserati den Ghibli auf den Markt. Damals gab es wie auch heute unter der Haube einen Achtzylinder. Ein Treffen.

Ghibli ist die Bezeichnung für einen heißen Wüstensturm und heiß sind definitiv beide hier zum Gegenstand gemachten Maserati Ghibli-Modelle – das historische Coupé und die aktuelle Limousine. Grund genug, gleich mit der Tür ins Haus zu fallen: Unter der zierlichen Haube inmitten des ellenlangen Ghibli-Vorderwagens steckt ein 4,7 großer Aluminium-Achtzylinder mit zweifacher Doppelnocke und damals sagenhaften 309 PS.

Aber auch das Drumherum ist appetitlich. Aus heutiger Perspektive sogar fast noch attraktiver als die reine Motorleistung, denn ein Klassiker muss sich weder auf der Straße noch auf dem Track beweisen.

Harmonisch gestaltetes Heck

Erst einmal bitte sattsehen an Giugiaros Traumkreation, deren Heck mit fast liegender Scheibe harmonisch-fließend ausläuft und von den Rückleuchten der profanen Alfa Romeo Giulia abgeschlossen wird. Der Kniff im Bereich der Front: Die Funktion der Stoßstange übernimmt eine ästhetisch geformte Chromumrandung des Kühlergrills, in deren Zentrum der Dreizack prangt.

Überhaupt, diese Proportion! Nur 1,16 Meter hoch ist das mit 4,59 Metern Länge für damalige Verhältnisse recht üppig bemessene Coupé. In der Breite notieren wir 1,80 Metern, die man ihm jedoch kaum abnimmt, denn er wirkt viel satter. Und außerdem ziemlich gestreckt wegen seiner nicht enden wollenden Motorhaube. Deren markante Lufteinlässe sowie seitliche Kiemen verliehen dem Athleten übrigens auch formal das Sportabzeichen.

Alt sticht neu

Sportabzeichen ist ein gutes Stichwort. An dieser Stelle kommt der neue Ghibli ins Spiel, dem es optisch zwar nicht gelingt, seinem Vorbild die Schau zu stehlen. Aber die Attraktivität eines Maserati ist schließlich mehrdimensional und nicht nur allein auf den äußeren Auftritt zurückzuführen. Das Beste kommt zum Schluss, heißt es so schön, und genau das gilt auch für den Ghibli Tipo M157.

Denn obwohl die Limousine bereits im Jahr 2013 eingeführt wurde, gibt es die Linie „Trofeo“ mit rassigem Achtzylinder unter dem Blech erst seit dem Herbst 2020, erkennbar an den feuerrot umrandeten Kiemen in den Kotflügeln vorn. Vorher bot Maserati hier nur Diesel und Benziner mit sechs Töpfen an. Die Zeit ist also reif für eine Begegnung mit dem historischen Namensgeber.

Achtzylinder nur noch bis 2024

Wer den modernen Ghibli-Achtzylinder kaufen möchte, muss sich beeilen. Anfang 2024 soll in Turin die letzte Limousine mit dem klangvollen Doppelturbo vom Band rollen. Ein heiseres Wruuumm ertönt vor allem beim akustisch intensiveren Kaltstart, da läuft der 3,8-Liter-V8 nun. Er röhrt unten herum bassig und schreit oben kehlig, aber nicht zu prollig.
Er bleibt dezent, aber doch eindringlich. Da mischt sich glatt ein Schuss Ferrari in die noble Maserati-Kulisse. Hier wird aus dem F154-Triebwerk, das selbst im legendären 488 Pista Dienst tut, ein braver, nicht ganz so hochdrehender Geselle, der sich seine Schmierung aus dem nassen Ölsumpf besorgt. Aber so richtig dreckiges Bollern haben die Applikationsingenieure dem Zweitonner abtrainiert. Es passt einfach nicht zum zurückhaltenden Habitus.

580 PS auf der Hinterachse

Kann es gutgehen, wenn 580 PS auf die Hinterachse boosten? Aus dem Stand mit voller Last zu beschleunigen, bringt die Traktionskontrolle jedenfalls ganz schön ans Arbeiten. Erst mit zunehmendem Tempo wird das Heck bei durchgedrücktem rechten Pedal ruhiger. Und dann schiebt das pochende, übermächtige Herz den Italiener irrwitzigen 326 Stundenkilometern entgegen, was ihn zu einer der schnellsten auf dem Markt erhältlichen Limousine macht.

Gaudi hat man mit dem feinen Trofeo aber auch weit unterhalb dieser eher theoretischen Marke. Dampf in allen Lebenslagen ist angesagt, aber meist auf die sanfte Art. Vor allem unterstreicht sein wohlerzogener Achtgang-Wandlerautomat den komfortablen Einschlag dieses exotischen Tourers mittels kaum spürbarer Übersetzungswechsel. Oder der Ghibli schaltet einfach gar nicht herunter und surft souverän im großen Gang auf der Drehmomentwelle von 730 Newtonmetern.

Bis zu 600.000 Euro für Ur-Ghibli

Dass man mit dem neuzeitlichen Ghibli aus der Masse hervorsticht und mit dem Trofeo erst recht – geschenkt. Doch die erste Generation ist noch ein ganz anders Kaliber, von der gerade einmal eine knapp vierstellige Anzahl an Exemplaren entstanden ist und nicht 100.000 Stück (wie vom Tipo M157). Allerdings auch preislich. Während das neue Modell ab exakt 151.428 Euro zu haben ist, weisen die einschlägigen Internetbörsen für den Ur-Ghibli zwischen 200.000 Euro für mäßige und knapp 600.000 Euro für perfekte Exemplare aus.

Dafür gibt es dann aber schon eines der raren Spyder-Modelle. Der historische Ghibli würde auch ohne besonderen Antrieb Aufsehen erregen, und zwar allein mit seinem skulpturalen Sportwagendasein.

Mit Wucht über den Asphalt

Der Maserati Ghibli 4700 ist 1,16 Meter hoch, der Maserati Ghibli Trofeo überragt ihn um 30 Zentimeter. Foto: SP-X/Broich

Darf man es überhaupt wagen, die fragile italienische Diva mit Wucht über den Asphalt zu jagen? Bei dem zur Verfügung stehenden Exemplar muss man sich keine Sorgen machen. Der Ghibli wird wohl behütet von Leo Peschl, einem der renommiertesten Maserati-Spezialisten. Und sein Besitzer hat weder Kosten noch Mühen gescheut, um aus dem edlen Stück Kulturgut einen neuwertigen Daily Driver zu machen. Die Karosserie wurde komplett neu aufgebaut, und auch das Innenleben ist taufrisch von den Achsen über den Motor samt Getriebe bis hin zu den Kabelbäumen. Kostenpunkt: rund 300.000 Euro.

Dezent fauchend nimmt der Achtender Drehzahl auf, klingt viel weniger krawallig als gedacht. Classic Analytics merkt an, dass selbst Fans der Marke Ferrari den Ghibli als den besseren Gran Turismo angesehen haben, weil man mit ihm längere Strecken schnell und entspannt zurücklegen konnte. Vorausgesetzt: Man hat ordentlich Muckis. Denn am keinesfalls servounterstützten Lenkrad will ganz schön gezerrt werden. Aber sonst ist das Bewegen des innen viel sperriger wirkenden Sportlers kein Problem. Alt oder neu? Die Frage stellt sich nicht wirklich. Das Original hat seinen Klassikerstatus jedenfalls schon. Der neue muss da hinter anstehen. (SP-X)

Keine Beiträge vorhanden