Dummies: Gegen die Wand mit Brief und Siegel

Crashtests für die Sicherheit

Dummies: Gegen die Wand mit Brief und Siegel
Um die 30 Dummies verschiedener Größen sitzen aufgereiht in der Magna-Halle im unterfränkischen Sailauf. © Magna

Dummies halten für unsere Sicherheit nicht nur den Kopf hin. Beim Technologiekonzern Magna werden sie für den Crash sogar zertifiziert.

Im Reich von Thomas Heckmann fühlt man sich ein bisschen wie in einer Puppenklinik. Hier ein Kopf, da ein Torso, in der Ecke Kisten mit Armen und Beinen. Nur bei den Gesichtern hapert es – und bei den Kostümen sowieso.

Das Einzige, was all die künstlichen Gestalten tragen, sind ein paar Markierungen und Fummel, die ein wenig an Gefängniskleidung erinnern. Allerdings sind die Puppen auch nicht zum Spielen gedacht, sondern dafür, schwerste Verletzungen zu erleiden. Oft sogar den Tod. Wieder und wieder. Schließlich sind Crashtest-Dummies gewissermaßen unsterblich.

30 Exemplare verschiedener Größen

Mit einem genau definierten Metallzylinder wird beim Brustkorb-Test gearbeitet. Foto: Magna

Um die 30 Exemplare verschiedener Größen sitzen aufgereiht und frisch geprüft in einer Halle im unterfränkischen Sailauf. Dort betreibt das kanadisch-österreichische Unternehmen Magna unter anderem sein Zertifizierungszentrum. Der viertgrößte Automobilzulieferer der Welt sorgt dafür, dass die Hightech-Körper auch beim nächsten Unfall wieder verlässliche Daten liefern – egal, welch verheerendes Szenario sich die Kundschaft ausgedacht haben mag.

Das Dummy-Labor ist einer der eher unscheinbaren Bereiche des Konzerns mit seinen 180.000 Beschäftigen in 28 Ländern und weltweit allein fast 100 Entwicklungszentren. Elektroantriebe, Allradsysteme, Fahrzeugsicherheit, Zelltechnik und Software sind die deutlich bekannteren und längst nicht alle. Dabei wird bei Magna keineswegs nur getüftelt. Manche Hersteller lassen im Auftrag sogar ganze Autos fertigen.

Biomechanik wie beim Menschen

In den Anfängen der Fahrzeugsicherheit wurde bei Crashtests noch mit Leichen experimentiert. Technisch wie ethisch war das nicht unproblematisch, pietätlos obendrein – und so haben sich seit den 1970er-Jahren Dummies etabliert. Die biomechanischen Eigenschaften dieser Puppen stimmen mit denen des menschlichen Körpers weitgehend überein – bis hin zu den Massen der einzelnen Körperteile sowie der Steifheit der verschiedenen Gelenke.

Der aktuell gebräuchlichste Dummy heißt, ganz unmenschlich, Hybrid III – auch bei Magna. Er repräsentiert den „50-Prozent-Mann“, der 78 Kilo wiegt und 1,75 Meter groß wäre, wenn er aufrecht stehen könnte. Über ihm rangiert sein großer Bruder, der mit 101 Kilo und 1,88 Metern größer und schwerer ist als 95 Prozent der angenommenen männlichen Autofahrer. Blickt man auf die Ernährungsgewohnheiten weltweit, könnte sich dieser Wert womöglich bald ändern. Die kleine Schwester gibt es selbstverständlich auch – eine zierliche Person mit 54 Kilo und 1,54 Metern. Nur fünf Prozent der Autofahrerinnen sind kleiner. Sogar an Kinder von drei, sechs und zehn Jahren haben die Dummy-Entwickler gedacht – nach der durchschnittlichen Frau indes sucht man auch im Jahr 2024 noch weitgehend vergebens.

Ausgestattet mit 50 Sensoren

Vor jedem Freigabeversuch muss der rund 800.000 Euro teure Dummy aufwändig zertifiziert werden. Foto: Magna

Je nach Art der Simulation tragen die Dummies 50 Sensoren und mehr in Kopf, Nacken, Brust, Wirbelsäule, Becken und Beinen. Sie zeichnen Beschleunigungen auf und Kräfte, die beim Crash auf den Körper einwirken. Über Farbabschürfungen registrieren sie sogar Verletzungen der Haut. Doch die Zeiten, in denen kinderarmdicke Kabelstränge nach draußen führten, gehen dem Ende entgegen. Moderne Dummies speichern die Ergebnisse sozusagen innerlich und lassen sie später auslesen. Parallel dazu laufen aus Hochgeschwindigkeitskameras, die aus verschiedensten Perspektiven pro Sekunde Tausende von Bildern schießen.

Als er vor knapp 25 Jahren anfing, fürchtete Thomas Heckmann, sein Job würde vielleicht schon bald von einem Computer erledigt. Die Sorge hat sich nicht bewahrheitet. Mit KI dürfte das ähnlich sein. Ersatz nein, Unterstützung ja, glaubt er. Weil eben so verdammt viel zu berechnen sei. Zum Beispiel in welcher Millisekunde ein Airbag zünden müsse, um beim Aufprall die beste Wirkung zu entfalten. „Bei jedem Test gibt es das Fahrzeug, die Geschwindigkeit und den Dummy – alles dazwischen ist nur mathematisch oder statistisch zu ermitteln.“

Aufwändiger Versuchsaufbau vor dem Crash

Vor jedem Crash wird kontrolliert und kalibriert. Zu teuer wäre es, würde der aufwändige Versuchsaufbau hinterher unvollständige oder gar keine Daten liefern. Dazu knallt der Dummy-Kopf aus 40 Zentimetern Höhe auf den Boden, das Genick wird per Vollbremsung gemartert – und zuletzt gibt es für den Brustkorb-Test einen schwingenden Metallzylinder vor den Latz. Alle Werte müssen innerhalb eines engen Korridors liegen. Am Ende der Prozedur steht ein Zertifikat durch Magna. Unerlässlich unter anderem für Freigabeversuche durch Prüfstellen wie den TÜV.

Tägliche Wartung ist bei Dummies selbstverständlich. Nach und nach werden beschädigte Teile ersetzt. Foto: Magna

Die ganze Prozedur dient dazu, Messergebnisse vergleichbar zu machen und in der Folge Gesetze oder Verbraucherschutzvorschriften erfüllen zu können. Das hat seinen Preis. Um die 180.000 Euro kosten einfache Dummies, für die gängigen Hybrid-Modelle werden ab 800.000 Euro aufgerufen – plus um die 400.000 Euro für die Messtechnik. Da schlucken sie natürlich bei den Autobauern, wenn Testverfahren wie etwa EuroNCAP einen zusätzlichen Insassen vorschreiben.

Kein Wunder, dass die teuren Stücke bei Magna beinahe liebevoll gepflegt werden. Mit Erfolg: Der älteste Dummy in Sailauf stammt noch aus den 1970er-Jahren, dient aber heute nur noch als Ballast-Puppe. Auch die übrigen Dummies sind nicht neu, weil sie aber täglich gewartet werden, sind – ähnlich wie bei einem Flugzeug – nahezu alle Teile irgendwann ausgetauscht. So gesehen ist Heckmann einer der wirklich Alten in der Abteilung.

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