Der Anspruch ist immer gleich: Der Abstand zum Segment-Bestseller BMW R 1250 GS soll verkürzt werden. Das ist auch das Ziel der KTM 1290 Super Adventure S.
Blickt man auf die deutsche Zulassungsstatistik im Segment der Edel-Reiseenduros, zeigt sich nach vier Monaten des Jahres 2021 das gewohnte Bild: Die BMW R 1250 GS führt mit deutlichem Vorsprung (4565 Stück), gefolgt von der KTM 1290 Super Adventure (544 Stück).
Auf der Straße ist der Abstand zwischen der GS und der Verfolgerin aus Österreich freilich wesentlich geringer als es die Zahlen suggerieren. Nie in den fast 20 Jahren, in denen KTM in diesem Segment aktiv ist, war man dem weltweiten Marktführer, so dicht auf den Fersen wie zurzeit.
Gewicht von 246 Kilogramm
Die Handhabung der KTM fällt insgesamt leicht. Dass sie – ohne die gut nutzbaren Koffer – 246 Kilogramm wiegt, ist nur beim Rangieren zu spüren; da erscheint sie lästig groß und schwer, wobei sie sich übrigens ausgezeichnet auf den Hauptständer hieven lässt. In Fahrt verliert der Koloss seinen anfänglichen Schrecken rapide.
Die KTM lenkt in Kurven leicht ein, gehorcht dem kleinsten Druck an der ideal breiten und bestens geformten Lenkstange und durcheilt Kurven ohne jegliches Aufheben. Der in der Höhe um zwei Zentimeter verstellbare Fahrersitz ist bequem gepolstert, sodass sich zusammen mit den gut platzierten Fußrasten auch lange Strecken entspannt absolvieren lassen.
Die semiaktiv arbeitenden Radaufhängungen – vorne federt und dämpft eine Upside-down-Telegabel, hinten ein Zentralfederbein mit Vorspannungs-Einstellautomatik – gewährleisten in allen Situationen guten Fahrkomfort und sicheres Fahrverhalten. Bei starkem Verzögern taucht die Front aber trotz Anti-Dive-System relativ stark ein. Die drei Scheibenbremsen samt dem von Bosch bezogenen Kurven-ABS sind über jeden Zweifel erhaben. Selbst mit montierten Seitenkoffern flitzt die KTM dank eines schwingungsentkoppelten Trägersystems pfeilgerade über die Autobahn, egal ob mit 130 oder 180 km/h oder noch mehr, wenn’s denn unbedingt sein muss. Sehr wirksam ist der stufenlos in der Höhe einstellbare Windschild; der Verstellmechanismus überzeugt genauso wie die feine Aerodynamik.
Leistung von 160 PS
Bedeutsamer als die ohnehin das rational fassbare Maß übersteigende Motorleistung von 160 PS – Kraft steht ab gut 3.000 Touren jederzeit im Überfluss zur Verfügung – ist in diesem Segment mittlerweile die Elektronik-Ausstattung. Bei den Fahrsicherheits- und Fahrassistenzsystemen fährt KTM in der ersten Reihe mit. Zusammen mit der Ducati Multistrada V4 ist sie die erste Reiseenduro, die mit einem adaptiven Tempomat (ACC) ausgestattet ist. Das System funktioniert nach einiger Eingewöhnung auch auf dicht befahrenen Landstraßen bestens; Abstände und Regelungsintensität können nach eigenem Gusto vorgewählt werden.
Dank Sechsachsensensor und enorm schneller Steuerungselektronik gibt es eine breite Auswahl an Fahr-, Federungs-, ABS- und Motorsteuerungsprogrammen. Die Bedienung des sehr umfangreich bestückten Bordcomputers über eine Sechstasten-Einheit links am Lenker ist insgesamt logisch, aber aufgrund der Vielfalt der Einstellmöglichkeiten und der Vielzahl der Knöpfe gewöhnungsbedürftig. Ein Segen sind die zwei Tasten rechts am Lenker für die individuelle Belegung, so dass ein Direktzugriff auf die hinterlegten Funktionen – z.B. die Fahrmodus-Auswahl – möglich ist.
Basispreis von rund 18.500 Euro
Billig kann ein solch leistungsstarker Technologie-Bomber wie die KTM nicht sein: Ein paar Zusatzausstattungspositionen ließen den Basispreis des Testbikes von 18.495 Euro um rund 4.000 Euro klettern. Der größte Brocken – 1.267 Euro für den sehr ansehnlichen und auch angenehm tönenden Akrapovic-Auspuff – ist freilich nicht zwingend erforderlich; das Abstands-Radar ist übrigens serienmäßig.
Sehr gut gefallen haben die hinterleuchteten Lenkerschalter und das füllige LED-Licht; das serienmäßige Kurvenlicht ist bei Dunkelheit eine Hilfe. Die Erwartungen übertroffen haben Benzinverbrauch und Reichweite: Den WMTC-Normverbrauch von 5,7 l/100 km unterschritten wir ein wenig; allerdings war unser Autobahnanteil gering. Mit durchschnittlich 5,5 l/100 km waren angesichts des 23 Liter-Tanks tatsächlich 400 Landstraßenkilometer ohne Nachtanken möglich.
Trotz einer wahrnehmbaren Domestizierung gibt sich das federleicht hochdrehende V2-Triebwerk nach wie vor als Raubein, niedrige Drehzahlen sind nicht sein Ding. Auch der pflegeintensive Kettenantrieb ist für ein Fernreisemotorrad nicht ideal, wohingegen die Serviceintervalle von 15.000 Kilometern gefallen. Unterm Strich: Die KTM 1290 Super Adventure S legt einen kessen, zugleich aber soliden Auftritt hin. Sie täuscht keine Fertigkeiten vor, die sie nicht auch besitzt. Ein Platz in Reihe eins ist ihr damit sicher. (SP-X)