Umweltverbände bejubeln das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Klimaschutzgesetz zu kurz greift. Begrüßt wird es auch von Spitzenpolitikern.
Umweltverbände feiern das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, wonach das Bundes-Klimaschutzgesetz zu kurz greift. Der Chef von Greenpeace Deutschland, Martin Kaiser, sprach am Donnerstag von einem „sensationellen Urteil“. Maßnahmen dürften demnach nicht länger aufgeschoben werden, weil dies die Freiheitsrechte künftiger Generationen gefährde.
„Mit diesem Urteil ist klar, dass der Kohleausstieg in Deutschland deutlich vorgezogen werden muss, dass klimaschädliche Verbrennungsmotoren viel schneller von der Straße müssen und wir eine Landwirtschaft brauchen, die Klima und Natur nicht weiter schädigt sondern künftig schützt“, erklärte Kaiser. „Heute ist ein historischer Tag, ein Feiertag für all die vor allem jungen Menschen, die unermüdlich für besseren Klimaschutz auf die Straße gegangen sind.“
Nabu: Bloße Nachbesserung reicht nicht
Der Präsident des Naturschutzbunds Deutschland (Nabu), Jörg-Andreas Krüger, betonte: „Freiheit bedeutet jetzt gerichtlich verbrieft eine hohe Artenvielfalt und ein stabiles Klima.“ Das Urteil müsse dazu führen, dass die gesamte Politik auf die Begrenzung der Arten- und Klimakrise ausgerichtet werde. „Eine bloße Nachbesserung des vom Gericht bemängelten Klimaschutzgesetzes von 2019 wird nicht ausreichen.“ Das Kabinett müsse das Klimaschutzgesetz noch vor der Bundestagswahl reformieren und wirksamer machen, „mit einem Klimaziel von minus 70 Prozent bis 2030“.
Die Karlsruher Richter verpflichteten den Gesetzgeber, bis Ende kommenden Jahres die Reduktionsziele für Treibhausgasemissionen für die Zeit nach 2030 näher zu regeln. Verfassungsbeschwerden mehrerer Klimaschützer waren zum Teil erfolgreich (Az.: 1 BvR 2656/18 u.a.). Die zum Teil noch sehr jungen Beschwerdeführenden seien durch die Regelungen in dem Gesetz in ihren Freiheitsrechten verletzt, erklärten die Richter. „Die Vorschriften verschieben hohe Emissionsminderungslasten unumkehrbar auf Zeiträume nach 2030.“
Das Klimaschutzgesetz wurde im Rahmen des Klimapakets Ende 2019 von Bundestag und Bundesrat verabschiedet. Es legt für einzelne Bereiche wie Verkehr, Landwirtschaft oder Gebäude fest, wie viel Treibhausgase sie in welchem Jahr ausstoßen dürfen.
Schulze: Ausrufezeichen für Klimaschutz
Mehrere Spitzenpolitiker begrüßten das Urteil. «Für den Klimaschutz ist das erstmal ein Ausrufezeichen», sagte Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) kurz nach Bekanntwerden des Urteils.
Grünen-Chefin Annalena Baerbock bezeichnete die Entscheidung als historisch. «Klimaschutz schützt unsere Freiheit und die Freiheit unserer Kinder und Enkel», erklärte Baerbock am Donnerstag auf Twitter. «Deshalb konkreter Auftrag für das Hier und Heute: Klimaschutzgesetz jetzt überarbeiten. Die nächsten Jahre sind entscheidend für konsequentes Handeln.» Grünen-Bundesgeschäftsführer Michael Kellner nannte das Urteil ein «vernichtendes Zeugnis für den Klimaschutz der Groko».
Freude bei Fridays for Future
Ähnlich äußerten sich Anhängerinnen der Fridays-for-Future-Bewegung. «Das Bundesverfassungsgericht bestätigt mit der Klimaklage, was die Naturwissenschaft seit Jahren zeigt: Aufschieben und unzureichende Klimaziele gefährden nicht nur die Natur, sondern unser Recht auf Leben und das Recht auf Zukunft», erklärte Aktivistin Line Niedeggen.
FDP-Chef Christian Lindner betrachtet das Urteil als «Anlass für einen klimapolitischen Neustart in Deutschland». «Wir brauchen nach Auffassung der Karlsruher Richter mehr Verbindlichkeit bei den Reduktionszielen für Treibhausgase», sagte er der «Heilbronner Stimme». Zugleich müsse die Politik aber stärker «auf Ideenwettbewerb und einen Technologieschub» setzen.
Altmaier für mehr Tempo
Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) will nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts mehr Tempo beim Klimaschutz. Altmaier sagte am Donnerstag in Berlin, es sei in den vergangenen Jahren einiges angestoßen worden: «Manches kam spät, einiges vielleicht zu spät.» Der Blick müsse nun aber nach vorne gerichtet werden. Der Weg zur bis 2050 angestrebten Klimaneutralität müsse nun unumkehrbar gemacht werden.
Altmaier kündigte eigene Vorschläge an. Trotz der Bundestagswahl im Herbst dürften die Bemühungen für mehr Klimaschutz nicht verzögert werden. Es müssten nun die notwendigen Maßnahmen ergriffen sowie die finanziellen Mittel eingesetzt werden, damit auch die Transformation der Wirtschaft gelingen könne. Altmaier erinnerte an seine Vorschläge vom vergangenen September. Damals hatte er angeregt, dass Bundestag und Bundesrat eine Charta beschließen, die bis zur angestrebten Klimaneutralität 2050 jährliche Treibhausgas-Minderungsziele, also Budgets, festlegt.
Scholz kritisiert Altmaier
Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) hat Altmaier indes vorgeworfen, beim Klimaschutz an vielen Stellen auf der Bremse zu stehen. „Immer blinken für große Klimaziele, aber niemals real handeln, sondern immer ganz hart auf der Bremse stehen“ – dieses Politikprinzip sei nach dem Urteil des Verfassungsgerichts zum Klimaschutzgesetz nun gescheitert, sagte Scholz am Donnerstag in Berlin. „Jetzt muss wirklich gehandelt werden – und ich bin bereit das zu tun“, kündigte der Finanzminister an. Scholz und Umweltministerin Svenja Schulze (SPD) wollen noch im Sommer Eckpunkte für ein weiterentwickeltes Klimaschutzgesetz vorlegen.
Scholz betonte, das Urteil sei eine weitreichende Entscheidung für die Zukunft auch des Landes und des Planeten. Schulze habe bereits zuvor den Vorschlag gemacht, die Minderungsziele für das Jahr 2040 festzulegen. „Das ist am Widerstand auch aus dem Wirtschaftsministerium gescheitert“, sagte Scholz. Jetzt müssten alle einsehen, dass das der bessere Weg gewesen wäre. (dpa)