Kawasaki W800: Erinnerungen an die Roaring Sixties

Kawasaki W800: Erinnerungen an die Roaring Sixties
Kawasakis W800 setzt auf klassische Optik. © RKM/SP-X

Die Kawasaki W800 erinnert an die klassischen englischen Bikes der 60er Jahre. Der Parallel-Twin leistet dabei 48 PS.

Klassisch gestylte Motorräder sind en vogue. Dabei kommt es allerdings nicht nur auf den optischen Reiz an, sie sollen auch den schnörkellosen Fahrspaß bieten, den ein Motorrad in den Sechziger und Siebziger Jahren bot. Natürlich mit einem traditionellen Twin versehen, der auf der nostalgisch anmutenden Drehmomentwelle die Zeit vergessen lässt.

Dieses Anspruchsprofil erfüllt kaum ein Motorrad so wie Kawasakis W800, die in der neuen Standard-Version auch als sehr gut erhaltener Klassiker durchgeht.

Natürlich mit Speichenrädern unterwegs

Mit ihren beiden flach geführten Peashooter-Schalldämpfern erinnert die W an die englischen Klassiker der Roaring Sixties, dazu passend rollt sie auf Speichenrädern, die Telegabel erfreut sich Faltenbälgen und am Heck führt eine Stahlschwinge mit Stereo-Federbeinen das Rad. Die Linie stimmt, angefangen beim Rundscheinwerfer und dem moderat gekröpften Lenker, dem bauchigen Tank und der durchgehenden Sitzbank. Das Ambiente bietet dem Piloten eine im besten Sinne klassische Haltung, mit relaxten Kniewinkeln, aufrechtem Oberkörper und locker auf den Lenkerenden ruhenden Händen. In 79 Zentimetern Höhe sitzt es sich auf dem schlanken Polster erdverbunden genug für beste Kontrolle.

Zwei traditionelle, gut ablesbare Analog-Runduhren bilden das Cockpit der Kawasaki W800. Foto: RKM/SP-X

Die größte Reminiszenz an die Vergangenheit prangt jedoch im Mittelpunkt des Blickfelds: Beim aktuellen Triebwerk handelt es sich nämlich um einen echten, langhubig ausgelegten Parallel-Twin, in dem beide Kolben zugleich auf und ab marschieren sowie abwechselnd alle 360 Grad die Zündung erfolgt. Als Alleinstellungsmerkmal dient der Antrieb der oben liegenden Nockenwelle via Königswelle – diese bei alten Rennmaschinen häufig eingesetzte Steuerung ist fertigungstechnisch aufwändig und daher teuer. Damit zitiert Kawasaki die eigene Historie zwischen 1966 und 1975, als die W1- bis W3-Modelle mit ähnlicher Motorenkonstruktion vom Band liefen.

48 PS und ein sattes Drehmoment

Während damals gut 50 PS anstanden, holt die heutige W aus 773 ccm Hubraum A2-taugliche 48 PS und ein sattes Drehmoment von fast 63 Newtonmeter heraus, die fahrfreundlich schon bei 4.800 Touren zur Verfügung stehen. Zusammen mit der langhubigen Auslegung beschert das dem W-Twin seinen bulligen Charakter, der ihn gerne in unteren Drehzahlregionen fahren lässt. Hier erfreut die Kawasaki mit müheloser, stets gut beherrschbarer Performance und ruckfreiem Ansprechverhalten. Über 5.000 U/min drehen macht ohnehin wenig Sinn, das exakt rastende Fünfganggetriebe ist prima abgestuft, so dass sich die letzte Fahrstufe als Universal-Gang eignet.

So ist die W800 mehr Gleiter als Sprinter, doch alles andere als ein weichgespülter Kollege: Dank Gummilagerung des Motors und Ausgleichswelle fallen unmittelbar nach dem Starten abgesonderten Lebensäußerungen unters Kapitel „Good vibrations“, auch der dumpf-sonore Klang aus den Schalldämpfern hat etwas Beruhigendes.

Vorne großes 19 Zoll-Rad

Da mag das Fahrwerk nicht zurückstehen, das von einem klassischen Doppelschleifenrahmen und konventionellen Federelementen gebildet wird. Vorne rollt ein unüblich großes 19-Zoll-Rad, das dem Retromodell zu gelassener Stabilität verhilft, ohne unhandlich zu wirken. Neutral und präzise setzt die W800 Lenkbefehle in Richtungsänderungen um, der gut zur Hand liegende Lenker fördert das Gefühl fürs Motorrad.

Allzu sportlich möchte man es auf der Kawa nicht treiben, denn die früh mit dem Asphalt in Kontakt kommenden tief montierten Fußrasten setzen der schrägen Fahrt einigermaßen enge Grenzen. Dazu ist sie vorne nur mit einer Solobremsscheibe versehen, deren Verzögerung zwar durchaus genügt, bei harten Bremsmanövern neigt die Telegabel indes zu leichtem Verwringen.

Spitze von 166 km/h

Die Kawasaki W800 bietet guten Fahrkomfort. Foto: Kawasaki

Bei moderater Gangart erfreut das Chassis mit gutem Fahrkomfort der soft abgestimmten Federelemente. Selbst über wenig gutem Untergrund kutschiert die Kawa ihre Besatzung anstandslos. Auch bei zügigen Autobahnfahrten – angesichts 166 km/h Höchstgeschwindigkeit durchaus möglich, wenngleich auf Dauer anstrengend – gibt sie sich keine Blöße und rennt zielsicher geradeaus.

Zwei traditionelle, gut ablesbare Analog-Runduhren bilden das Cockpit. Im Tacho gibt ein LCD zusätzliche Informationen über Gesamtfahrstrecke, Tageskilometer und Uhrzeit, während sämtliche Warnleuchten im Drehzahlmesser untergebracht sind. Löblicherweise sind sowohl Brems- wie Kupplungshebel weiteneinstellbar. Als gelungene Verbindung von einst und jetzt zeigt der Rundscheinwerfer ein modernes LED-Licht, leider in schnödem Plastikgehäuse. Authentisch sind die Seitendeckel dagegen aus Metall gefertigt wie auch die chromblitzenden Schutzbleche.

Zugegeben: 9.743 Euro sind kein Pappenstiel für den Neo-Klassiker. Aber wer auf eine gediegene Retro-Tour mit originalgetreuem Flair steht, kommt um die klanglich wie optisch authentische Kawasaki kaum herum. (SP-X)

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