«Daimler hat ein bauartbedingtes Problem»

Tim Vink, Director Regulatory Affairs bei Honeywell

«Daimler hat ein bauartbedingtes Problem»
Tim Vink ist Director Regulatory Affairs bei Honeywell. © Honeywell

Im Streit um das Kältemittel R1234yf zweifelt Honeywell das Testverfahren von Daimler an. Im Interview mit der Autogazette spricht Tim Vink, Director Regulatory Affairs beim US-Konzern, über Sicherheit, Umweltbelastungen und darüber, weshalb CO2 doch nicht die beste Alternative ist.

Der US-Konzern Honeywell als Hersteller des neuen Kältemittels R1234yf zweifelt das Testverfahren des Autobauers Daimler an. «Der Daimler-Test ist ein idealisierter Test, der nirgends anerkannt ist und von vielen nicht nachvollzogen werden kann», sagte Tim Vink, Director Regulatory Affairs bei Honeywell, im Interview mit der Autogazette.

Daimler hatte im vergangenen Jahr bei Crashtests unter so genannten Real-Life-Bedingungen mit verschiedenen Fahrzeugarchitekturen eine erhöhte Entflammbarkeit des neuen Kältemittels festgestellt und setzt deshalb aus Sicherheitsgründen weiter die alte Chemikalie R134a in seinen Fahrzeugen ein. Dass der Autobauer auf den Einsatz von R1234yf in seinen Fahrzeugen verzichtet, liegt für Vink daran, dass «Daimler ein bauartbedingtes Problem bei der Verwendung des neuen Kältemittels hat. Das wird meines Erachtens auch im Geschäftsbericht 2012 bestätigt.»

Vertragsverletzungsverfahren möglich

Vink rechnet damit, dass die EU es nicht zulassen werde, «dass ein einzelner Hersteller gegen geltendes EU-Recht verstößt und damit auch die Verbindlichkeit jeder Umweltgesetzgebung in Frage stellen würde». Die EU erlaubt ab dem 1. Januar dieses Jahres keine Verwendung von R134a für Fahrzeuge mit einer Typzulassung nach dem 1. Januar 2011. «Die EU hat klar gesagt, dass die Mitgliedsstaaten die Zulassung von Fahrzeugen verweigern müssen, die nicht der Richtlinie für den Einsatz des neuen Kältemittels entsprechen. Ich gehe davon aus, dass die EU hier ein Vertragsverletzungs-Verfahren gegen Deutschland einleiten würde, sollte es zu keiner Lösung kommen», sagte der Honeywell-Manager.

«Honeywell ist ein verantwortungsvolles Unternehmen»

Befüllung des Kältemittels R134a bei einem Auto
Befüllung einer Klimaanlage, hier mit R134a Honeywell

Autogazette: Herr Vink, eine Vielzahl von Tests belegen die Gefährlichkeit des neuen Kältemittels R1234yf. Aufgrund einer möglichen Brandgefahr setzt Daimler das Mittel in seinen Fahrzeugen nicht ein. Warum nehmen Sie als verantwortungsbewusstes Unternehmen das Mittel nicht schnellstmöglich vom Markt?

Tim Vink: Honeywell ist ein verantwortungsvolles Unternehmen. Entsprechend haben wir bereits beim Marktstart des neuen Kältemittels R1234yf darauf hingewiesen, dass das Mittel unter bestimmten Voraussetzungen - und hierauf liegt die Betonung - entzündlich sein kann. Wir haben immer gesagt, dass es ein entzündliches Mittel ist. Doch dies trifft ebenso auf R134a zu.

Autogazette: Warum zweifeln Sie vor diesem Hintergrund die Testergebnisse von Daimler an?

Vink: Weil das Risiko von R1234yf ebenso beherrschbar ist wie bei anderen brennbaren Stoffen in einem Auto auch. Um die Problematik besser zu verstehen, muss man sich die Historie zur Einführung des neuen Kältemittels anschauen: Es war die Automobilindustrie, die sagte, dass sie eine Alternative zu R134a benötigen würde. Sie wollte ein Produkt, das ohne große Umstellung der Fahrzeugarchitektur nutzbar sein sollte. Und dieses Mittel war damals R1234yf. Da es entzündlich war, hatte die Autoindustrie dazu das Cooperative Research Project (CRP) beim Weltverband der Automobilingenieure (SAE) geschaffen. Dort wurden alle Mittel bewertet: neben R1234yf auch R134a und CO2.

Autogazette: ...das Ergebnis fiel klar für R1234yf aus...

Vink: ...ja, in allen Bereichen wie der Umweltbelastung und natürlich den Risiken schnitt das Mittel am besten ab. Wenn etwas als entzündlich klassifiziert ist, dann heißt das ja nicht, dass es nicht auch zum Einsatz kommen kann.

«Die SAE ist ja keine ominöse Organisation»

Einfüllung des Kältemittels in eine Klimaanlage.
Pürfung der Befüllung der Klimaanlage Honeywell

Autogazette: Sie beziehen sich darauf, dass man für die Entzündung von R1234yf 5000 Mal so viel Energie benötigt wie bei Benzin und Sie das Risiko eines Brandes als rein theoretisch ansehen?

Vink: Bei der Risikobewertung kommt es darauf an, ob bestehende Risiken beherrschbar sind. Das CRP kam zum Ergebnis, dass R1234yf für die Umweltbelastung besser ist als andere Mittel und es in bestehende Fahrzeuge eingesetzt werden kann. Es wurde jedoch darauf hingewiesen, dass die Systemkomponenten im Fahrzeug gegebenenfalls für den Einsatz von R1234yf modifiziert werden müssten. Ich weise an dieser Stelle gern darauf hin, dass auch Daimler Mitglied dieses Konsortium war. Die SAE ist ja keine ominöse Organisation, sondern dort sind Hersteller mit ihren eigenen Experten vertreten.

Autogazette: Die deutschen Premiumhersteller sind aus der Expertenkommission der SAE gerade ausgetreten, nachdem dort erneut die Unbedenklichkeit des Mittels bescheinigt wurde. Die dortigen Untersuchungen werden als unzureichend angesehen.

Vink: Das Testverfahren der SAE hat sich über die verschiedenen Jahre hinweg bewährt. Aber es gibt auch Tests von anderen unabhängigen Instituten, die zum gleichen Ergebnis kommen. Zuletzt hat Opel zusammen mit dem TÜV Rheinland festgestellt, das R1234yf gefahrlos verwendet werden kann. Warum sollte das Testverfahren der SAE mit seiner Fehlerbaumanalyse auf einmal nicht mehr valide sein?

«Daimler-Test ist ein idealisierter Test»

Der Opel Mokka beim Crashtest.
Crashtest mit dem Opel Mokka verlief ohne Probleme Opel

Autogazette: Weil es bei Daimler ein Worst-Case-Crash gab...

Vink: ...es war kein Worst-Case-Crash, es war ein stationärer Test, kein Real-Test-Crash. Die Tests von Opel basieren auf standardisierten und anerkannten Testverfahren. Der Daimler-Test ist ein idealisierter Test, der nirgends anerkannt ist und von vielen nicht nachvollzogen werden kann.

Autogazette: Welche Gründe sollte ein Unternehmen wie Daimler denn außer dem Sicherheitsargument haben, auf den Einsatz des umweltfreundlichen R1234yf zu verzichten und stattdessen weiter auf das umweltschädlichere R134a zu setzen?

Vink: Weil Daimler ein bauartbedingtes Problem bei der Verwendung des neuen Kältemittels hat. Das wird meines Erachtens auch im Geschäftsbericht 2012 bestätigt. Dort steht auf Seite 129 mit Blick auf die Verwendung von R1234yf, ich zitiere: «Bei so genannten Real-Life-Tests Mitte 2012 hat Daimler eine höhere Entflammbarkeit festgestellt, als bisher angenommen. Aus diesem Grund ist Daimler mit Behörden auf deutscher und europäischer Ebene in konstruktiven Gesprächen, um gemeinsam mit Herstellern und Zulieferern mögliche Lösungsalternativen zu erarbeiten. Sollte uns dies nicht rechtzeitig gelingen, könnten sich negative Auswirkungen auf die Herstellungskosten der betroffenen Fahrzeuge infolge der Vornahme technischer Anpassungen sowie auf die Absatzentwicklung ergeben.»

Autogazette: Machen Sie es sich mit Ihrer Argumentation nicht zu einfach? Bereits die Deutsche Umwelthilfe wies vor Jahren mit Blick auf einen Test bei der Bundesanstalt für Materialforschung (BAM) auf die Gefahren von R1234yf hin. Das gleiche tat das Umweltbundesamt in einer Studie im Jahr 2010.

Vink: Wir müssen hier schon genau sein: Hier steht ein Test, nämlich der von Daimler, gegen mehrere Tests, nicht nur der SAE. Der BAM-Test hat eben nicht Stellung bezogen zur Gefährlichkeit des Kältemittels R1234yf. Das hat die BAM auch öffentlich in ihrer Pressemitteilung vom 20. Oktober 2009 bestätigt. Ich verweise darauf, dass andere Hersteller wie beispielsweise PSA, Fiat und Ford gesagt haben, dass sie in ihren Fahrzeugen kein Problem mit R1234yf haben.

Autogazette: Man könnte auch sagen, dass andere Hersteller ihre Fahrzeuge schlicht vor dem 1. Januar 2011 haben zertifizieren lassen, sodass sie erst ab 2017 auf das neue Kältemittel umsteigen müssen...

Vink: ...dann hätten diese Hersteller dennoch sagen können, dass Sie die Einschätzung von Daimler teilen. Doch das ist nicht geschehen. Bisher haben alle anderen Hersteller keine Probleme mit dem Einsatz von yf in ihren Fahrzeugen festgestellt.

«CO2 keineswegs die beste Lösung»

Autogazette: Ganz so scheint es nicht zu sein. Noch auf der Automesse im März in Genf haben Daimler und VW gesagt, dass Sie gemeinsam an CO2-Klimaanlagen arbeiten werden.

Vink: Das eine hat doch nichts mit dem anderen zu tun. Volkswagen sagt zwar, dass man perspektivisch auf CO2 setzen wird, aber man kein Sicherheitsproblem mit R1234yf habe.

Autogazette: Umweltverbände sprechen sich für CO2 als umweltfreundlichstes Kältemittel aus. Sie sagen, dass CO2 bei genauer Betrachtung unter Umweltgesichtspunkten keineswegs das geeignetste Mittel ist. Haben die Experten dort keine Ahnung?

Vink: Es kommt auf die klimatischen Bedingungen an, in denen das Kältemittel eingesetzt wird. In der weltweiten Betrachtung schneidet R1234yf aber am besten ab – das hat der Japanische Automobilherstellerverband JAMA in einer vergleichenden Gesamtbewertung der Klimaauswirkungen nachgewiesen. Also ist CO2 keineswegs die beste Lösung.

Autogazette: Sie argumentieren auch, dass für den Einsatz von CO2 ein Umbau des Fahrzeuges notwendig ist...

Vink: ...es wurde sehr, sehr lange an CO2 geforscht, bis man im Jahr 2009 sagte, dass man die damit einhergehenden Probleme nicht in den Griff bekommt. So muss es nicht nur zu Umbauten am Fahrzeug kommen, sondern CO2 verliert in Gebieten mit Temperaturen über 25 Grad an Wirkung. Das kompensieren sie nur durch einen Mehrverbrauch beim Sprit. Zudem müssen für den Einsatz von CO2 im Fahrzeug viele starre Teile verwendet werden, die das Leckagerisiko erhöhen. Es ist eine Mär zu sagen, dass CO2 im Gegensatz zu R 1234yf das umweltfreundlichere Mittel ist.

«Es geht darum, die Risiken zu beherrschen»

Streitpunkt ist das Kältemittel in Klimaanlagen.
Daimler setzt derzeit auf R134a als Kältemittel Daimler

Autogazette: Verwundert es Sie nicht, dass sich beispielsweise das Umweltbundesamt, die DUH und auch der ADAC dennoch für CO2 aussprechen?

Vink: Ja, das verwundert. Denn es reicht nicht, dass man sich ausschließlich das Global Warming Potential (GWP) von CO2 anschaut, sondern das Gesamtpaket, das beispielsweise mit mehr Gewicht einher geht. Wenn unsere Klimabilanz schlechter wäre, hätten wir für R 1234yf auch keinen Markt.

Autogazette: Wie lange dauert es aus Ihrer Sicht, bis CO2 in Serienfahrzeugen zum Einsatz kommen kann?

Vink: Wir gehen von einem Zeitraum von drei bis vier Jahren aus, da damals die Entwicklung eingestellt wurde.

Autogazette: Wo führt der Weg bei den Kältemitteln denn hin? Wird es aus Ihrer Sicht auf eine Lösung hinauslaufen, wonach CO2 in Deutschland zum Einsatz kommt und R1234yf im Rest der Welt?

Vink: Das ist eine Möglichkeit. Man muss aber auch berücksichtigen, dass in den USA in einzelnen Bundesstaaten CO2 als Kältemittel nicht erlaubt ist.

Autogazette: Welche Möglichkeit gibt es denn, die mögliche Brandgefahr in den Griff zu bekommen, besteht die Möglichkeit einer Beimischung?

Vink: Eine Beimischung wird keine dauerhafte Lösung sein. Es geht immer darum, die Risiken zu beherrschen – so wie auch bei Benzin –, und dies kann man durch eine Modifikation der Fahrzeugarchitektur erreichen. EU-Industriekommissar Antonio Tajani hat bereits gesagt, dass Daimler das lösen kann.

«Führen Gespräche mit KBA und VDA»

Autogazette: Die EU hat bislang aber keine Konsequenzen daraus gezogen, dass Daimler das neue Kältemittel nicht einsetzt. Herr Tajani sagte zwar gerade in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung, dass das Gesetz für alle gleich sei, aber eine Strafe gibt es bisher nicht.

Vink: Die EU hat klar gesagt, dass die Mitgliedsstaaten die Zulassung von Fahrzeugen verweigern müssen, die nicht der Richtlinie für den Einsatz des neuen Kältemittels entsprechen. Ich gehe davon aus, dass die EU hier ein Vertragsverletzungs-Verfahren gegen Deutschland einleiten würde, sollte es zu keiner Lösung kommen. Sie wird es nicht zulassen, dass ein einzelner Hersteller gegen geltendes EU-Recht verstößt und damit auch die Verbindlichkeit jeder Umweltgesetzgebung in Frage stellen würde. Derzeit liegt der Fall noch beim Kraftfahrt-Bundesamt (KBA), das eine Risikobewertung abzugeben hat. Spätestens mit der Einführung der neuen Mercedes S-Klasse wird sich hoffentlich eine Lösung gefunden haben.

Autogazette: Was unternehmen Sie derzeit, um zur Problemlösung beizutragen: Sprechen Sie mit Daimler, sprechen Sie mit dem KBA oder dem VDA?

Vink: Wir führen Gespräche sowohl mit dem KBA, dem VDA als auch mit der EU-Kommission und anderen Herstellern. Zugleich stehen wir im Austausch auch mit den Behörden in anderen Ländern.

Das Interview mit Tim Vink führte Frank Mertens

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