Hermes will perspektivisch 80 Städte emissionsfrei beliefern. Im Interview mit der Autogazette spricht Geschäftsführer Olaf Schabirosky über Elektrotransporter, Micro-Depots und darüber, wie die Zustellung in Zukunft auf der letzten Meile ausschauen wird.
Die Logistik-Branche muss sich auch angesichts der Diskussion um Dieselfahrverbote und Zufahrtsbeschränkungen neu erfinden. So hat sich das Logistik-Unternehmen Hermes zum Ziel gesetzt, bis zum Jahr 2025 insgesamt 80 Großstädte emissionsfrei zu beliefern. Dabei spielt das Thema Elektromobilität eine zentrale Rolle. «Bis zum Jahr 2025 wollen wir mindestens 40 Prozent unserer Flotte elektrisch betreiben», sagte Olaf Schabirosky im Interview mit der Autogazette.
Wie Schabirosky hinzufügte, der bei Hermes Geschäftsführer für den Bereich Projects und Services ist, ist das Erreichen dieses Ziels ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen nötig. «Dazu gehören beispielsweise der Ausbau des Hermes Paketshop-Netzwerkes oder der Aufbau von Micro-Depots sowie der Einsatz von Zustellroboter oder Lastenfahrrädern», so Schabirosky.
«Die Elektrifizierung der Flotte bildet den Kern»
Autogazette: Herr Schabirosky, Hermes will bis zum Jahr 2025 insgesamt 80 Großstädte emissionsfrei beliefern. Wie viele Ihrer 10.000 Zustellfahrzeuge müssen für dieses Ziel elektrifiziert werden?
Olaf Schabirosky: In unserem Zukunftsmodell „Urban Blue“ für die nachhaltige Belieferung der Metropolräume ist das Thema Elektromobilität zentral. Bis zum Jahr 2025 wollen wir mindestens 40 Prozent unserer Flotte elektrisch betreiben.
Autogazette: Reicht für das Erreichen dieses Ziels allein die Elektrifizierung der Flotte aus oder geht das nur im Zusammenspiel mit anderen Maßnahmen bei der Zustellung?
Schabirosky: Der Ausbau erfolgt sukzessive und in einem sinnvollen Gesamtkontext. Am Ende des Tages ist es natürlich ein Zusammenspiel verschiedener Maßnahmen. Dazu gehören beispielsweise der Ausbau des Hermes Paketshop-Netzwerkes oder der Aufbau von Micro-Depots sowie der Einsatz von Zustellroboter oder Lastenfahrrädern. Aber die Elektrifizierung unserer Flotte bildet den Kern.
Autogazette: Welche Investitionen müssen Sie für die emissionsfreie Logistik bis 2025 aufwenden?
Schabirosky: Konkrete Zahlen hierzu kommunizieren wir nicht. Aber es ist klar, dass wir gerade in der Anfangsphase hohe Investitionen aufzuwenden haben. Das liegt insbesondere auch am notwendigen Aufbau der Ladeinfrastruktur, den wir für unsere elektrischen Zustellfahrzeuge benötigen. Das ist eine Herausforderung, wobei wir dabei auf die Unterstützung seitens Politik und Kommunen setzen.
«Versprechen uns langfristig Vorteile durch Wegfall der Spritkosten»
Autogazette: Der Weg in die Nachhaltigkeit kostet zunächst, doch können Sie letztlich nicht durch weniger Sprit- und Wartungskosten Geld sparen?
Schabirosky: Unser langfristig angepeiltes Ziel ist, dass wir den Betrieb der Elektroflotte im Vergleich zu den konventionellen Antriebstechnologien kostenneutral realisieren können. So versprechen wir uns langfristig Vorteile z.B. durch den Wegfall der Spritkosten und geringere Wartungskosten.
Autogazette: Haben Sie den Eindruck, dass die Autoindustrie bei den Nutzfahrzeugen den Trend zur Elektromobilität verschlafen hat? So bringt Daimler den Elektro-Vito erst Mitte des Jahres auf den Markt.
Schabirosky: Es steht mir nicht zu, die Automobilbranche zu kritisieren. Für uns ist wichtig, dass der Ausbau der E-Mobilität, die wir im Übrigen bereits seit den neunziger Jahren aktiv voran treiben, weiter Fahrt aufnimmt. Als Anwender setzen wir auf neue Technologien, die das vorrangige Thema der Wirtschaftlichkeit in bester Weise mit unseren hohen Nachhaltigkeitszielen vereinen. Wir wären sicher nicht unglücklich gewesen, wenn bereits früher E-Fahrzeuge zu wirtschaftlich vertretbaren Konditionen im Markt angeboten worden wären.
Autogazette: Mit dem entsprechenden Angebot hätten Sie Ihren Fuhrparkt also schon eher elektrifiziert?
Schabirosky: Unsere Ambitionen im Thema haben wir bereits sehr frühzeitig platziert. Wir standen der Automobilindustrie zudem frühzeitig als Testpartner zur Verfügung. Bereits in 2012 hatte wir 20 Fahrzeuge des Typs Vito E-Cell im Einsatz, die wir derzeit z.T. revitalisieren. Ab Herbst 2018 werden wir die neuen Modelle des Mercedes Vito e-Cell und Sprinter e-Cell in Betrieb nehmen.
«Für uns ist der Streetscooter derzeit nicht das richtige Modell»
Autogazette: Gibt Streetscooter derzeit für Sie den Takt bei der Elektromobilität im Logistik-Bereich vor?
Schabirosky: Wir beobachten die Entwicklung natürlich aufmerksam. Für uns ist der Street Scooter mit Blick auf den von uns angestrebten flächendeckenden Einsatz derzeit nicht das richtige Modell. Er entspricht in vielerlei Hinsicht nicht unseren Anforderungen.
Autogazette: Warum?
Schabirosky: Vor allem ist die Ladekapazität für uns deutlich zu gering. Wir bekommen dort weder die Anzahl noch die Art der Sendungen verstaut, die wir benötigen. Wir liefern zum Beispiel über unsere Händler auch Großbildschirme, Autoreifen oder Fahrräder aus.
Autogazette: Sie kooperieren bei der Elektromobilität mit Daimler und werden bis 2020 1500 Fahrzeuge in den Fuhrpark aufnehmen. Kooperieren Sie aus diesem genannten Grund mit Daimler und nicht mit Streetscooter?
Schabirosky: Wir haben unabhängig mit allen Herstellern gesprochen. Am Ende haben wir uns für eine langfristige und strategische Partnerschaft mit der Daimler AG entschieden. Die Kooperation, die wir im letzten Frühjahr geschlossen haben, geht weit über die reine Produktion hinaus. Wir übernehmen nicht nur das fertige Fahrzeug, sondern testen gemeinsam an unseren Logistik Centern neue Ausliefer- und Ladeinfrastrukturkonzepte. Das ist der wirklich spannende Part, mit dem wir die Entwicklung im Nutzfahrzeugbereich aus unserem Kerngeschäft heraus aktiv mit gestalten.
«100 Kilometer sind als Tagestourdistanz ausreichend»
Autogazette: Der eVito wird eine Reichweite von bis zu 150 Kilometern haben, realistisch sollen es 100 Kilometer sein. Reicht das?
Schabirosky: Für die Zustellung an Kunden im urbanen Raum sind 100 Kilometer als Tagestourdistanz ausreichend. Wir ergänzen den Einsatz der Fahrzeuge mit einer intelligenten Tourenplanung. Erfahrungswerte haben wir ja bereits im Testlauf mit den Vito E-CELL in Berlin und Hamburg gesammelt – wir sind also vorbereitet. Wir erwarten zudem, dass es auch bei der Entwicklung der Batterien und Ladekapazitäten künftig noch deutliche Fortschritte geben wird.
Autogazette: Ist eine innerstädtische Logistik ohne klassischen Transporter für die letzte Meile Sie vorstellbar? Sie testen derzeit ja eine Vielzahl von Alternativen wie Lastenräder, Lieferroboter oder Elektromobile.
Schabirosky: Die Logistik steht vor einer Zäsur – aber die Umstellung erfolgt nicht von heute auf morgen. Konventionelle Antriebe wird es auf absehbare Zeit natürlich weiter geben. Allerdings wird der Diesel-Transporter in der City Logistik sukzessive durch weitere Technologien in der Feinverteilung, wie z.B. Cargo Bikes, Roboter und andere ergänzt.
Autogazette: Wenn Sie sich die Alternativen wie Lastenfahrräder, Lieferroboter oder ein Elektromobil wie den TRIPL in Göttingen anschauen. Was wird als nächstes kommen?
Schabirosky: Wir testen derzeit diverse neue Mobilitätskonzepte. Hermes ist ein gefragter Testpartner von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik. Wir setzen E-Mobilität vielfältig ein und kombinieren neue Fahrzeugtechnologien mit smarten Standortkonzepten. Nach unserer Einschätzung gibt nicht die eine Innovation, die alle Probleme löst. Es geht vielmehr um eine bestmögliche Vernetzung und die stetige Weiterentwicklung der bestehenden Technologien.
«Drohne steht aktuell nicht im Fokus»
Autogazette: Sie haben auch Lieferroboter von Starship getestet, sehen da aber noch keinen Mehrwert für den Endkunden. Warum nicht?
Schabirosky: Der Testlauf mit dem Starship-Roboter in Hamburg und London hat uns wertvolle Erkenntnisse geliefert. Wir glauben durchaus, dass das Thema autonomes Fahren in der Zustellung wichtiger wird. Seitens unserer Kunden ist der Zustellroboter übrigens sehr positiv angenommen worden! Wir können uns den Einsatz in Nischensegmenten weiterhin gut vorstellen. Aber auch hier ist die Entwicklung noch nicht so weit, um sie bereits jetzt flächendeckend zum Einsatz zu bringen. Vor allem gibt es Fragen bei der Wirtschaftlichkeit.
Autogazette: Das, was sie in Bezug auf Lieferroboter sagen, ist auch auf Drohnen übertragbar?
Schabirosky: Die Drohne steht für uns aktuell nicht im Fokus. Angesichts von bis zu 2 Mio. Zustellungen pro Tag können wir uns den Ausbau von Flugkörpern v.a. im Stadtgebiet nur schwer vorstellen. Auch besteht große Skepsis in der Bevölkerung. Wir behalten den Trend im Blick.
Autogazette: Spielt das Thema autonomes Fahren für Sie auch deshalb eine Rolle, weil es immer schwerer wird, Paketzusteller zu finden?
Schabirosky: Das ist auch ein Aspekt. Für die Zustellung der steigenden Paketmengen wird es immer schwieriger, Zusteller zu finden. Da kann es helfen, wenn wir eine Entlastung auf der letzten Meile u.a. auch durch autonome Fahrzeuge bekommen. Letzten Endes tragen sämtliche Innovationen, die wir derzeit im Sinne der Erreichbarkeit unserer Kunden erproben, dazu bei, knappe Ressourcen zu entlasten – und damit zur Sauberheit und höheren Lebensqualität in den Städten beizutragen.
«Werden zeitnah Cargo-Bikes zum Einsatz bringen»
Autogazette: Was ist für Sie auf der letzten Meile der nächste Schritt, den Hermes gehen wird? Micro-Depots?
Schabirosky: Mit Blick auf den Aufbau von Micro-Depots setzen wir uns für eine wettbewerbsübergreifende Lösung ein, die von allen Dienstleistern genutzt werden kann. Ein freier Zugang ist ökonomisch wie ökologisch sinnvoll. Neben Mico-Depots werden wir zeitnah auch Cargo Bikes zum Einsatz bringen. Mittelfristig wollen wir auch die Möglichkeiten im Bereich des autonomen Fahrens weiter austesten, notwendige gesetzliche Regelungen vorausgesetzt. Parallel sind wir bereits dabei, die Anzahl unserer Paketshops von jetzt 15.000 auf 20.000 bis 2020 erhöhen. Ein Stadtbewohner soll maximal sieben Minuten bis zum nächsten Paketshop unterwegs sein. Auch das trägt zur Kundennähe, besserer Erreichbarkeit und Einsparung von Emissionen bei.
Autogazette: Wird die Haustürlieferung in Zukunft ein Premiumprodukt?
Schabirosky: Dieses Angebot wird es weiter geben. Es ist nach wie vor die beliebteste Art der Zustellung. Doch wir werden den Preis dafür künftig stärker differenzieren. Der Aufwand einer bis zu vierfachen Zustellung an die private Haustür ist größer als die gebündelte Zustellung z.B. an einen Paket-Shop oder an eine Paketbox. Genau das muss auch der Paketpreis fair transportieren.
Das Interview mit Olaf Schabirosky führte Frank Mertens