«Hier wird bajuwarische Klientelpolitik betrieben»

Verkehrsminister Winfried Hermann

«Hier wird bajuwarische Klientelpolitik betrieben»
Winfried Hermann (r.) mit Ex-Daimler-Entwicklungschef Thomas Weber. © dpa

Baden-Württembergs Verkehrsminister Hermann sieht keine Fortschritte bei der Schaffung rechtlicher Rahmenbedingungen fürs autonome Fahren. «Einiges dauert bei uns unerträglich lange», sagte der Grünen-Politiker der Autogazette.

Der baden-württembergische Verkehrsminister Winfried Hermann steht autonom fahrenden Autos skeptisch gegenüber. «Ich habe Zweifel, dass das autonome Fahren ein so großer Fortschritt für Mensch und Umwelt ist. Auch autonome Fahrzeuge belasten die Umwelt und brauchen Fläche. Deshalb sollte man hier keine falschen Erwartungen wecken», sagte der Grünen-Politiker im Interview mit der Autogazette.

Wie Hermann sagte, sei er sehr technikaffin und würde sich über jede Technologie freuen, die dem Klimaschutz und dem sicheren Fahren diene. «Ich halte nur nichts davon, wenn der Eindruck vermittelt wird, dass das autonome Fahren bereits in fünf Jahren kommt.»

Intelligente Infrastruktur gefordert

Dennoch setzt sich Hermann für ein Testfeld digitale Autobahn auch in Baden-Württemberg ein. «In Baden-Württemberg müssen wir beispielsweise über Einzelgenehmigungen Testfahrten mit teilautonomen Fahrzeugen erlauben. Wir bräuchten dringend die Entwicklung einer intelligenten Infrastruktur», so Hermann und fügte hinzu: «Wir bitten den Bund darum, entsprechende Teststrecken zu bekommen. Dann bekommen wir die Ansage, uns zu gedulden, bevor man uns später mitteilt, dass so etwas nur in Bayern auf dem Teilstück der A9 stattfindet. Wenn man aber sagt, wir wollen das auch in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, dann hört man, das geht nicht. Hier wird bajuwarische Klientelpolitik betrieben.»

«Sollte keine falschen Erwartungen wecken»

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Autogazette: Herr Minister Hermann, autonomes Fahren ist das Zukunftsthema in der Autobranche. Sie sind indes kein Freund vollautonomer Fahrzeuge. Sind Sie technikfeindlich?

Winfried Hermann: Nein, ich bin sehr technikaffin und freue mich über jede Technologie, die dem Klimaschutz und dem sicheren Fahren dient. Ich halte nur nichts davon, wenn der Eindruck vermittelt wird, dass das autonome Fahren bereits in fünf Jahren kommt. Ich habe Zweifel, dass das autonome Fahren ein so großer Fortschritt für Mensch und Umwelt ist. Auch autonome Fahrzeuge belasten die Umwelt und brauchen Fläche. Deshalb sollte man hier keine falschen Erwartungen wecken.

Autogazette: Autonomes Carsharing mit Elektromodellen könnte doch sinnvoll sein.

Hermann: Beim autonomen Carsharing fahren Autos auch ohne Passagier durch die Gegend. Nicht nur wegen dieses Umstandes muss man dreimal drüber nachdenken, ob autonomes Carsharing ein echter Fortschritt ist. Ich wäre zunächst schon froh, wenn alle Autos einen Tempomaten hätten, der dann eingestellt wird, wenn es ein Tempolimit von 100 oder 120 gäbe. Ich würde mich auch über serienmäßige Bremsassistenzsysteme freuen, die in Gefahrensituationen abbremsen, doch das ist rechtlich schwer umzusetzen. Mit anderen Worten: Es wäre gut, wenn die neuen Technologien für mehr Sicherheit im Verkehr und Klimaschutz konsequent eingesetzt werden, als Blütenträumen vom autonomen Fahren nachzuhängen, das vermutlich viele Autofahrer in letzter Konsequenz gar nicht wollen.

«Einiges dauert bei uns unerträglich lange»

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Autogazette: Reichen die Anstrengungen der Regierung aus, autonomes Fahren auf dem Weg zu bringen? Vor über einem Jahr ist die Wiener Konvention für den Straßenverkehr modifiziert worden, in die nationale Gesetzgebung ist das noch nicht übergangen.

Hermann: Ich sehe da derzeit noch keinen großen Fortschritt, um die rechtlichen Rahmenbedingungen fürs autonome Fahren zu schaffen.

Autogazette: Sie können die Kritik der Hersteller also verstehen, die sagen: Wenn die rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland fürs autonome Fahren nicht gegebenen sind, dann werden wir die Technologie dort einführen, wo es diese gibt?

Hermann: Das kann ich nachvollziehen. Einiges dauert bei uns unerträglich lange. In Baden-Württemberg müssen wir beispielsweise über Einzelgenehmigungen Testfahrten mit teilautonomen Fahrzeugen erlauben. Wir bräuchten dringend die Entwicklung einer intelligenten Infrastruktur. Wir bitten den Bund darum, entsprechende Teststrecken zu bekommen. Dann bekommen wir die Ansage, uns zu gedulden, bevor man uns später mitteilt, dass so etwas nur in Bayern auf dem Teilstück der A9 stattfindet. Wenn man aber sagt, wir wollen das auch in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg, dann hört man, das geht nicht. Hier wird bajuwarische Klientelpolitik betrieben.

Autogazette: Wollen Sie wie auf dem Teilstück der A9 in Bayern auch in Baden-Württemberg weiter ein Testfeld digitale Autobahn haben?

Hermann: Wir bleiben da dran, wir haben es beantragt, aber der Bund blockiert es bzw. kann es blockieren.

«Dann hat man für Klimaschutz nichts gewonnen»

Autogazette: Sie kritisieren, dass es immer etwas lange braucht, bis sich Sachen durchsetzen lassen. Trifft das nicht auch auf das Testfeld Lang-Lkw in Baden-Württemberg zu?

Hermann: Nein, wir haben dafür überhaupt nicht lange gebraucht. Die frühere CDU-geführte Landesregierung hat Lang-Lkw abgelehnt, so wie ich das auch als grüner Abgeordneter getan habe und wie das Grün-Rot im Koalitionsvertrag vereinbart hatte. Nach dem Zwischenbericht (der Bundesanstalt für Straßenwesen, Anm. der Red.) gab es den Wunsch, dass sich auch Baden-Württemberg an dem Test beteiligt. Daraufhin haben wir uns mit der Wirtschaft verständigt, uns in sehr begrenztem Umfang zu beteiligen. Wir wollen sehen, ob der Einsatz der Lang-Lkw die Transportketten verändert und ob sie – wie behauptet - einen Beitrag zum Klimaschutz leisten können. Diese Entscheidung haben wir in wenigen Wochen auf den Weg gebracht.

Autogazette: Sie führen den Test auf einer Strecke von 350 Kilometern durch. Reicht das denn? Daimler begrüßt zwar die Teilnahme der Landesregierung am Test, hätte sich aber mit Blick auf die CO2-Einsparung ein größeres Streckennetz gewünscht.

Hermann: Wenn man wirklich CO2 einsparen will, braucht man nur, etwas polemisch gesagt, ein paar weniger SUVs verkaufen. Bezogen auf das gesamte CO2-Budget sind die Einsparpotenziale der Lang-Lkw bedeutungslos. Es steht ja noch nicht einmal fest und wir bezweifeln es auch, ob der Einsatz von Lang-Lkw zu einer großen CO2-Einsparung führt. Warten wir jetzt erst einmal diesen Test ab. Es wäre fatal, wenn man Lang-Lkw einführt und in der Folge würden noch mehr Güter auf den Straßen transportiert und noch weniger auf der Schiene. Dann hat man für den Klimaschutz nichts gewonnen und die Straßen würden noch voller werden. Denn bei den CO2-Emissionen schneidet der Lang-Lkw deutlich schlechter ab als die Schiene.

«Unser Leitbild ist die Nachhaltigkeit»

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Autogazette: Aber nicht unter Kostengesichtspunkten...

Hermann: ...als Minister bin ich dem Gemeinwohl verpflichtet und muss in die Zukunft schauen. Unser Hauptinteresse ist ein klimafreundlicher Transport. Deshalb lassen wir das jetzt wissenschaftlich untersuchen. Wenn Lang-Lkw tatsächlich klimafreundlicher sein sollten, werden wir unsere Position überdenken. Aber eines ist klar: Ob Lang-Lkw oder normaler Lkw: Sie belasten unsere Straßen schwer.

Autogazette: Wie schwierig ist es eigentlich, nachhaltige Verkehrspolitik in einem Land zu machen, wo ein Autohersteller größter Arbeitgeber ist?

Hermann: Grundsätzlich ist es nicht einfach, in einem Autoland nachhaltige Verkehrspolitik zu machen. Unser Land lebt von der Autoindustrie. Deshalb haben wir als Politik auch die Verantwortung, darauf hinzuwirken, dass die Autokonzerne ihre Modellpolitik so ändern, dass wir auch noch in Zukunft von Mobilitätsdienstleistungen leben können. Die Branche sollte die besten Produkte anbieten, die auch klimafreundlich und bezahlbar sind. Ansonsten werden wir sehr bald von denen überrollt, die beispielsweise kostengünstige Elektroautos anbieten. Wir haben das allergrößte Interesse, dass die Automobilbranche zukunftsfähige Produkte und Dienstleistungen entwickelt. Unser Leitbild ist die Nachhaltigkeit.

Das Interview mit Winfried Hermann führte Frank Mertens

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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