Ohne zentimetergenaue Karten ist autonomes Fahren nicht möglich. Im Interview mit der Autogazette spricht Christof Hellmis, Leiter digitale Kartenplattform-Dienste bei Here, über die Karte der Zukunft, interkulturelle Probleme und darüber, weshalb Datenschutz ein hohes Gut ist.
Autonomes Fahren wird es ohne zentimetergenaues Kartenmaterial nicht geben. «Das autonome Fahren stellt ganz andere Anforderungen an eine digitale Karte. Sie ist nicht mit dem vergleichbar, was wir bislang kannten. Wir reden nicht mehr von der digitalen Karte 2.0, sondern bereits von der digitalen Karte 3.0», sagte der Leiter digitale Kartenplattform-Dienste bei der Nokia-Tochter Here, Christof Hellmis, im Interview mit der Autogazette. «Diese Karte muss genauer sein, umfassender und muss sich noch stärker an der Echtzeit orientieren als die Karten, die wir derzeit im Einsatz haben», fügte Hellmis hinzu.
«Befinden uns bereits auf guter Evolutionsstufe»
Wie Hellmis sagte, sei man bereits über die Karte 2.0 hinausgekommen, «aber noch nicht dort, wo wir hinkommen wollen». Die Entwicklung einer Karte sei indes auch eine Arbeit, «die nie zu Ende geht. Denn so wie sich unsere Umwelt ständig verändert, verändert sich auch unser Kartenmaterial fortwährend». Mit Blick auf die «Auto-, die Fußgänger- oder auch die Indoornavigation oder bestimmte Fälle der Augmented Reality» befände man sich aber bereits auf einer guten Evolutionsstufe. «Wir sind mit Volldampf unterwegs, um unseren Kunden aus der Automobilindustrie das anzubieten, was sie erwarten - nämlich eine hochgenaue, eine zentimetergenaue Karte.»
«Sie brauchen schnellere Real Traffic-Informationen»
Autogazette: Die Autobauer machen auf dem Weg zum autonomen Fahren enorme Fortschritte. Trifft das auch auf Sie als Lieferant des Kartenmaterials zu?
Christof Hellmis: Absolut. Das autonome Fahren stellt ganz andere Anforderungen an eine digitale Karte. Sie ist nicht mit dem vergleichbar, was wir bislang kannten. Wir reden nicht mehr von der digitalen Karte 2.0, sondern bereits von der digitalen Karte 3.0. Diese Karte muss genauer sein, umfassender und muss sich noch stärker an der Echtzeit orientieren als die Karten, die wir derzeit im Einsatz haben.
Autogazette: Wo stehen Sie derzeit in der Entwicklung? Noch bei der digitalen Karte 2.0?
Hellmis: Nein, wir sind bereits über die Karte 2.0 hinausgekommen, aber noch nicht dort, wo wir hinkommen wollen. Allerdings ist die Entwicklung einer Karte eine Arbeit, die nie zu Ende geht. Denn so wie sich unsere Umwelt ständig verändert, verändert sich auch unser Kartenmaterial fortwährend. Wenn man sich die Auto-, die Fußgänger- oder auch die Indoornavigation anschaut oder bestimmte Fälle der Augmented Reality, dann befinden wir uns bereits auf einer guten Evolutionsstufe. Wir sind mit Volldampf unterwegs, um unseren Kunden aus der Automobilindustrie das anzubieten, was sie erwarten - nämlich eine hochgenaue, eine zentimetergenaue Karte.
Autogazette: Sieht man von der Genauigkeit ab: Was unterscheidet die Karte 3.0 von der Karte 2.0?
Hellmis: Sie brauchen eine Verkehrszeichenerkennung, noch schnellere Real Traffic-Informationen und möglichst auch eine dreidimensionale Darstellung. Zugleich werden auf der Karte auch Informationen über Steigungen oder Gefälle benötigt. Also Parameter, die man für dieses spezielle Einsatzgebiet des autonomen Fahrens benötigt.
«Karte der Zukunft bewegt sich im Zentimeterbereich»
Autogazette: Schaut man sich die heutige GPS-Navigation an, dann gibt es hier Abweichungen von ein paar Metern. Wie genau ist das Kartenmaterial bereits?
Hellmis: Es bewegt sich im Zentimeterbereich. Die Karte der Zukunft, die man für das automatisierte Fahren benötigt, muss sich im Zentimeterbereich bewegen. Und das nicht nur mit Blick auf den Straßen- sondern auch auf den Fahrspurlevel.
Autogazette: Also haben Sie das Ziel schon erreicht?
Hellmis: In der breiten Abdeckung noch nicht. Aber für Strecken, die wir für die Autobauer oder die Zulieferer erstellen, haben wir bereits Karten, die zentimetergenau sind.
Autogazette: Gibt es schon ein Land, eine Stadt, die sie zentimetergenau erfasst haben?
Hellmis: Wir sind noch nicht an dem Punkt, wo wir über Städte, geschweige denn Länder sprechen. Doch wenn die Hersteller im Jahr 2020 entsprechende Fahrzeuge anbieten werden, werden wir auch Karten mit der entsprechenden Abdeckung haben. Wir werden dann sicherlich Karten für die Länder im Angebot haben, die für das autonome Fahren vor allem in Frage kommen. In den letzten 15 Monaten sind wir weltweit in 30 Ländern bereits zwei Millionen Kilometer mit der neuesten Generation unserer Autos abgefahren, mit denen wir Straßen und Umgebung hochpräzise erfassen."
Autogazette: Welche Länder kämen besonders fürs autonome Fahren in Frage?
Hellmis: Sicherlich die klassischen Märkte wie die USA oder West-Europa. Also die Märkte, auf denen die Hersteller autonom fahrende Autos verkaufen werden.
«Je weniger Fläche wir erfassen müssen, umso besser»
Autogazette: Was ist für Sie leichter zu erfassen: ein dichtbesiedeltes Land wie Deutschland oder ein Flächenland wie die USA?
Hellmis: Je weniger Fläche wir erfassen müssen, umso besser ist es. Deutschland ließe sich entsprechend leichter erfassen als die USA.
Autogazette: Wo liegen Probleme in der Umsetzung?
Hellmis: Die Karte für die Autonavigation wurde vor 24 Jahren designt. Jetzt sind wir gerade mit der Automobilindustrie dabei, die Spezifikationen vorzunehmen, was man wie in der Karte darstellen muss. Zugleich funktioniert dies alles nur über die Konnektivität, also die Vernetzung der Fahrzeuge untereinander. Während man heute die Autonavigation problemlos im Auto unterbringen kann, wird es bei der Karte der Zukunft wahrscheinlich nicht mehr möglich sein. Wenn Sie heute in Berlin unterwegs sind, brauchen Sie nicht die Karte für Portugal. Sollten sie sie brauchen, laden sie sich diese einfach aus der Cloud herunter.
Autogazette: Was meinen Sie genau mit der Konnektivität? Car-to-Car oder auch Car-to-X-Kommunikation?
Hellmis: Bei den von uns entwickelten Karten gibt es eine so genannte "Source of Truth". Die Welt ist jetzt nicht so und in drei Minuten ganz anders. Die Karte muss so leben, dass sie ständig aktualisiert werden kann und für jedermann jederzeit frei zugänglich ist. Das kann beispielsweise über eine Cloud-Lösung geschehen. Man kann sich das aber auch so vorstellen, dass die Daten nicht zentral nur in einem Rechenzentrum liegen, sondern dezentral in verschiedenen. Die Echtzeitaspekte können regional entsprechend ausgespielt werden. Die Frage ist dann, wie ich diese Infos ins Fahrzeug bekomme. Unabhängig davon muss es aber die Mutter aller Karten geben. Also eine Karte, die uns sagt, dass die Welt so ist und dann entsprechend upgedatet wird.
«Die Welt ist bunt, sie verändert sich fortwährend»
Autogazette: Wie generieren Sie derzeit Ihre Daten?
Hellmis: Die Karte wird in den seltensten Fällen nur aus einer Quelle bestückt. Das ist die Kunst, eine Karte zu erstellen. Denn die Welt ist bunt, sie verändert sich fortwährend, ist teils auch chaotisch. Wir verarbeiten weltweit 80.000 Datenquellen und hier ist es nun die herausfordende Aufgabe, diese Quellen so auszuwerten, dass sie letztlich eine Karte für den digitalen Einsatzzweck haben. Zur Erfassung der Daten nutzen wir auch Fahrzeuge, die herumfahren und die Umgebung erfassen.
Autogazette: Sie erfassen derzeit pro Monat 30 Milliarden Verkehrs-Daten, 80 Prozent dieser Daten sind weniger als 5 Minuten alt. Muss sich diese Datenmenge mit Blick auf das autonome Fahren erhöhen?
Hellmis: Die Zahl hat sich mittlerweile schon erhöht, wir sind bereits bei 70 Milliarden Verkehrsdaten angekommen. Doch unter diesen GPS-Daten sind auch Daten von Menschen, die an einer Kreuzung links abbiegen, obwohl das eigentlich verboten ist. Aus dem Verhalten der Menschen die hochexakte Karte abzuleiten, ist also nicht so einfach, da hier Fehler einbezogen werden müssen.
Autogazette: Wo laufen Ihre Daten zentral zusammen?
Hellmis: In verschiedenen Datenzentren, in den USA beispielsweise in Chicago oder Fargo, aber auch in Indien und anderen Standorten.
Autogazette: Wie schnell können Sie die dort gesammelten Daten denn ins Fahrzeug bringen?
Hellmis: Die kritischen Informationen wie geänderte Straßenkreuzungen bilden wir innerhalb einer Woche auf der Karte ab. Und die Frequenz werden wir entsprechend verkürzen. Zur Verfügung gestellt wird es in der Cloudlösung.
Autogazette: Wie funktioniert das praktisch? Wie schnell bekomme ich beispielsweise angezeigt, dass bei Ihnen in der Invalidenstraße die Dauerbaustelle beseitigt wurde?
Hellmis: Sobald die ersten Fahrzeuge hier entlang fahren und die Fahrbahn mit Sensoren erfassen, wird es ziemlich schnell ins System eingepflegt und aktualisiert.
«Datenschutz ist ein hohes Gut»
Autogazette: Reichen die von Ihnen genannten sieben Tage für das Kartenupdate mit Blick aufs autonome Fahren aus?
Hellmis: Sicherlich nicht. Aber sie müssen differenzieren: Hier geht es um die Darstellung der visuellen Karte, nicht um die eigentliche Information. Die Live-Traffic-Information ist etwas ganz anderes, diese wird im Minutenrhythmus aktualisiert. Die Karte fürs autonome Fahren, die Karte 3.0, werden wir ebenfalls im Minutenrhythmus updaten müssen.
Autogazette: Sie greifen auf eine Vielzahl von Daten zurück, auch auf Daten, die das Fahrzeug mittels Sensoren sammelt. Wie schaut es mit dem Datenschutz aus?
Hellmis: Datenschutz ist ein hohes Gut. Unser Geschäftsmodell basiert nicht darauf, möglichst viele private Daten von Kunden zu bekommen, um sie zu monetarisieren. Für unsere Szenarien muss ich nicht wissen, was Herr Mertens oder ein Herr Hellmis machen. Wenn ich nur einen GPS-Sender in einem Auto hätte und das Fahrzeug würde gerade stehen, weiß ich nicht, ob es sich dabei um einen Stau handelt. Sind es aber 50 Fahrzeuge, dann kann ich das einordnen. Uns kommt es also nicht auf individualiserte Daten an, es kommt auf eine statistisch relevante Größe von Daten an, damit wir daraus unsere Ableitungen ziehen können.
Autogazette: Können Sie ein Bewegungsprofil von Nutzer XY erstellen?
Hellmis: Nein, das können wir nicht, da wir nicht wissen, von wem die Informationen kommen. Aber natürlich haben wir auch optionale Applikationen wie «My Commute» im Angebot, wo die App lernt, wie man beispielsweise seinen täglichen Weg zur Arbeit zurücklegt. Aber hier treffe ich bewusst die Entscheidung, dass die App das auch so speichert. Doch ansonsten sind die Daten anonymisiert.
Autogazette: Gibt es bei der Erstellung von Karten eigentlich auch ein interkulturelles Problem beispielsweise durch unterschiedliche Verkehrsregeln?
Hellmis: Ja, natürlich. Da ist unser tägliches Brot: Wir kennen in Deutschland ein Adresssystem mit Hausnummern und Straßennamen, das gibt es in anderen Ländern nicht. Viele denken, dass es nur eine Karte der Welt gibt. Nein, die gibt es nicht, da Karten immer auch von geopolitischen Einflüssen abhängen. Karten müssen immer den landestypischen Gesetzmäßigkeiten angepasst werden, entsprechend ist die Karte kulturell geprägt. Eine Karte darauf anzupassen, das ist eine Kunst.
Das Interview mit Christof Hellmis führte Frank Mertens