Wer über Reiseenduros spricht, der denkt bislang nicht an Harley-Davidson. Doch das soll sich nun mit der Pan America ändern.
Mit ihr geht der US-Motorradhersteller neue und doch zugleich uralte Wege: Während der ersten 50 Jahre des Firmenbestehens gab es in Amerika ganz überwiegend lediglich Staubstraßen. Wer damals auf Tour ging, unternahm deshalb zwangsweise eine Offroad-Reise. Das Fahren abseits des Asphalts gehöre deshalb zur Harley-DNA, lautet die Erklärung für ihr neuestes Modell.
Unausgesprochenes Ziel der Amis ist es, dem Weltbestseller BMW R 1250 GS Paroli zu bieten. Dazu haben sie schwere Geschütze aufgefahren: Die Technik der Pan America ist von vorne bis hinten topmodern, die Ausstattung füllig, die Optik markant und sicherlich gewöhnungsbedürftig, der Einfallsreichtum der Ingenieure groß – man hat sich sogar eine automatische Absenkung des Fahrzeugs im Stand einfallen lassen, eine Weltneuheit. Dank ihr können auch kleinere Personen mit ihren Füßen sicher den Boden erreichen. Die Pan America gibt es voraussichtlich ab Juni in zwei Versionen: Das Basismodell kostet ab 15.995 Euro, die Special-Version u.a. mit semiaktivem Fahrwerk ab 17.995 Euro.
Leistung von 152 PS
Die Eckdaten der Pan America zeigen, wohin für Harley-Davidson die Reise gehen soll: über Straßen, Wege und Routen aller Art. Und zwar mit bis zu 220 km/h: Das neukonstruierte V2-Triebwerk mit 1.252 ccm Hubraum, Vierventilköpfen und je zwei Nockenwellen pro Zylinder bietet mit 152 PS bei 8.750 U/min eine konkurrenzfähige Spitzenleistung. Das maximale Drehmoment beträgt 128 Nm bei 6.750 U/min. Erst bei 9.500 Touren wird der Drehzahlbegrenzer tätig – nie in der 118-jährigen Harley-Geschichte drehte ein Motor aus Milwaukee ähnlich hoch. Die sehr guten Leistungswerte resultieren nicht zuletzt aus der variablen Ventilsteuerung, mit der der wassergekühlte 60°-V2 ausgerüstet ist.
Die Fahrwerkskonstruktion beruht auf der mittragenden Konzeption des Motors. Der Leichtmetallrahmen selbst ist dreiteilig und besteht aus Rohr-, Guss- und Formteilen. Auch die Zweiarmschwinge ist aus Leichtmetall gearbeitet, der Antrieb erfolgt über eine Kette. Dank leichter Materialen – es wird auch Magnesium eingesetzt – kommt die Pan America in Basisversion auf ein fahrfertiges Leergewicht von 245 Kilogramm.
Die 47-er USD-Telegabel von Showa ist voll einstellbar, das Zentralfederbein ebenfalls, wobei die Vorspannung hydraulisch justiert wird. Der Federweg ist mit gut 19 Zentimetern ausreichend groß fürs Fahren abseits des Asphalts, die Aluminiumguss-Räder messen im Durchmesser 19 bzw. 17 Zoll. Das Bremssystem mit Doppelscheibe vorne und Einzelscheibe hinten ist eine Neuentwicklung von Brembo. Es bietet unter anderem eine kurvenoptimierte elektronische Bremskraftverteilung zwischen Vorder- und Hinterrad; je stärker der Fahrer bremst, desto stärker wird die Kombinationswirkung, wobei der Schräglagenwinkel in die Berechnungen einfließt. Fast überflüssig zu sagen, dass ein Sechsachsen-Sensor (IMU) montiert ist, der die nötigen Daten für dieses System und auch das Kurven-ABS, die Traktionskontrolle und vieles mehr bereitstellt.
Unterwegs mit radarbasierten Assistenten
Die Elektronik-Ausstattung der Pan America ist reichlich; vermisst wird ein Quickshifter zum kupplungslosen Schalten, und auch radarbasierte Assistenzsysteme sind nicht im Angebot. Ansonsten ist alles vorhanden: So gibt es mehrere, teils sogar individualisierbare Fahrmodi für Straße und Gelände, Berganfahrhilfe, Tempomat, selbstrückstellende Blinker, schlüsselloses Startsystem, Reifendruckkontrolle sowie ein 6,8 Zoll großes, farbiges Touchscreen-Display mit mehreren unterschiedlichen Anzeigemodi, Infotainment- und Navigationssystem. Dafür ist eine App auf dem Fahrer-Smartphone erforderlich. Lange Touren sollten auch sonst kein Problem sein: Der Tank fasst 21,2 Liter Sprit, der Verbrauch wird mit 5,5 Liter/100 km angegeben. Eher kurz erscheinen dagegen die Wartungsintervalle von 8.000 Kilometern. Die Garantie ist mit vier Jahren dagegen üppig.
Automatische Fahrwerksabsenkung
Zusätzlich zur Basisversion für rund 16.000 Euro gibt es die Pan America Special. Sie ist besser ausgestattet und deshalb mit 258 Kilogramm auch 13 Kilo schwerer. Wichtigster Unterschied ist das semiaktive Showa-Fahrwerkssystem. Es umfasst verschiedene Modi für die Federungs- und Dämpfungsfunktion sowie eine automatische Nivellierung des Motorrads unter Berücksichtigung der Beladung.
Für 700 Euro Aufpreis ist eine automatische Fahrwerksabsenkung erhältlich. Sie könnte den Kreis der möglichen Kunden deutlich ausweiten, denn die zweifach einstellbare Sitzhöhe – die endgültigen Daten sind noch nicht bekannt – dürfte zwischen 83 und 89 Zentimetern liegen. Die Fahrwerksabsenkung reduziert diesen Wert beim Anhalten je nach Federungseinstellung um 2,5 oder 5 Zentimeter. Beim Losfahren liftet sich das Bike automatisch, so dass Federweg, Schräglagenfreiheit, Bodenfreiheit und Fahrkomfort unbeeinflusst sind. Vier Einstellmodi ermöglichen zudem individuelle Freiheit beim Absenk-Tempo.
Special mit Kurvenlichtfunktion
Bei der Special-Version ebenfalls serienmäßig sind die Kurvenlichtfunktion des waagerecht angeordneten LED-Rechteckscheinwerfers, Reifendruckkontrolle, einstellbares Bremspedal, Hauptständer, Leichtmetall-Motorschutz, Schutzbügel, Handschützer, dreistufige Griffheizung und Lenkungsdämpfer. Kreuzspeichenräder, auf denen schlauchlose Reifen montiert werden können, kosten 500 Euro Aufpreis.
Für die serienmäßig auf speziellen Michelin-Enduroreifen rollende Pan America hat Harley-Davidson drei Gepäcksysteme für unterschiedliche Anforderungen entwickelt; sie sind als Zubehör erhältlich. Zu den geplanten Folgemodellen auf der Pan America-Plattform zählt ein 1250-er Custom Cruiser, der „schon bald“ erscheinen soll. Zudem soll eine Motorversion mit reduziertem Hubraum in der Pipeline sein. (SP-X)