Rollendes Kulturgut

Reif für das magische H-Kennzeichen

Rollendes Kulturgut
Auch der BMW M5 gehört mittlerweile zu den Oldies. © BMW

Ein Buchstabe fasziniert Autoliebhaber besonders: Es ist das H. Wer mit einem solchen Kennzeichen unterwegs ist, fährt ein Auto spazieren, dass mindestens 30 Jahre auf dem Buckel hat.

Das magische „H“ wollen auch 2015 alle frisch gebackenen 30-jährigen Jubilare auf dem Kennzeichen tragen – egal ob knatternder Trabant, chromglänzende W126er S-Klasse oder Testosteron-Beschleuniger wie der damals noch neue Testarossa von Ferrari. Erst ein „H“ wie historisch zeichnet alte Autos offiziell als erhaltenswertes kraftfahrzeugtechnisches Kulturgut aus.

Neben dem Prädikatsstempel des rollenden Denkmals ermöglicht das H-Kennzeichen Zugang zum Club der privilegierten Klassiker mit speziellen und oft günstigeren Oldtimer-Versicherungen, einen einheitlichen, niedrigen Steuersatz von 191 Euro pro Jahr - und den Freifahrtschein ohne Feinstaubplakette in Umweltzonen.

Schlagzeilenträchtige Autos

Letzteres oftmals überlebenswichtig für alte Diesel und Autos ohne Katalysator. Schließlich beschloss die Bundesregierung erst Ende 1984, den Einbau von Katalysatoren in Neufahrzeugen ab 1989 verbindlich zu machen. So wagten sich 1985 lediglich Pioniere mit dem Typencode KAT auf deutsche Straßen, zumal noch kein echtes Netz bleifreier Benzinversorgung bestand. Zu diesen Vorreitern zählten spezielle Motorisierungen aller deutschen Marken, ansonsten nur Bertone, Mitsubishi, Nissan, Renault, Saab, Toyota und Volvo.

Schlagzeilen machten im IAA-Jahr 1985 weniger die vernunftbetonten Autos, sondern vielmehr die vielen Vmax-Racer einer völlig neuen Vierventil-Fraktion mit Leistungskurven, die scheinbar Luzifers Lockruf folgten. Allen voran der dieserart aufgerüstete Altstar Lamborghini Countach s quattrovalvole, der mit 355 kW/455 PS exakt fünf PS mehr aufbot als der Vierventiler im neu vorgestellten Porsche 959. Was nichts daran änderte, dass mit diesem Über-Porsche erstmals ein Zuffenhausener schnellster im Lande war, dem nicht einmal die frischen Zwölfender von Ferrari (412 von 1985 und Testarossa aus dem Spätjahr 1984) etwas entgegensetzen konnten.

Auch sonst war Maranello nicht mehr das Maß der Dinge, wenn es um Tempo ging. Katapultierte der neue Vierventil-Sechszylinder im BMW M5 den Viertürer doch in der neuen Supersportwagenzeit von 6,5 Sekunden aus dem Stand auf Tempo 100. Kaum langsamer war das 16-V-Kraftwerk in der IAA-Weltpremiere BMW M3. Ziviler und deutlich erschwinglicher dagegen die neuen Wolfsburger Opel-Manta-Jäger (den Capri gab es ab sofort nur noch für England) Golf GTI 16V und Scirocco GTI 16V. Noch preiswerter waren nur die Aufkleber mit 16-V-Logo, die es damals an jeder Tankstellen für kleines Geld gab und mit denen sich sogar rostige Käfer aufrüsten ließen.

Lancia Delta S, mehr als ein Trendsetter

VW Golf GTI 16V
Der VW Golf GTI V16 VW

Wie lautet die Steigerung von Trendsetter? Im Falle der Vierventil-Technik war es vor 30 Jahren ganz klar die Kombination mit Vierradantrieb. Eine Entwicklung, die durch die wildesten Rallye-Reiter aller Zeiten vorangetrieben wurden. Lancia Delta S4 (184 kW/250 PS bis 294 kW/400 PS), MG Metro 6R4 (bis 306 kW/416 PS), Peugeot 205 Turbo 16 Evo 2 (bis 331 kW/450 PS) oder auch Ford RS 200 (bis 485 kW/650 PS) brachten als WRC-Homologationsmodelle Renn- und Rallyetechnik auf die Straße, wie sie die automobile Kompaktklasse noch nicht gesehen hatte. Gegen solche Art Bürgerschreck fast bieder wirkten da schon die spoilerbewehrten und schnellen Kleinwagen des Kalibers Citroen Visa GTI (77 kW/105 PS), Fiat Uno Turbo i.e. (77 kW/105 PS), Renault 5 GT Turbo (85 kW/115 PS) und Mazda 323 Turbo GT 4WD (103 kW/140 PS).

Wie sehr Allrad angesagt war, demonstrierte 1985 auch der riesige Neuheitenreigen an 4x4-Technik vom 331 kW/450 starken V12-Hochleistungsgeländegänger Lamborghini LM-002 über BMW 325 iX (126 kW/171 PS), Ford Sierra XR4x4 und Ford Scorpio 2.8 4x4 (jeweils 111 kW/150 PS), VW Passat Variant Syncro (85 kW/115 PS), Citroen Visa 4x4 (82 kW/112 PS) bis hin zum kleinen Subaru Justy (41 kW/55 PS) und dem Hardcore-Offroader Suzuki SJ 413 (47 kW/64 PS).

Fast schon fröhliche Volksfeststimmung trotz kommender Katalysatorpflicht und abermaliger Tempolimitdiskussionen verbreiteten vor 30 Jahren aber nicht nur der Vierradantrieb und die Vierventiler, sondern auch die wieder entdeckte Freude am Frischluftbad. Waren es bis dahin einzelne Cabriolets mit Überrollbügel, ultrateure Luxusliner oder Uralt-Roadster wie der Fiat 124, die die Fahne der Sonnenanbeter hoch hielten, präsentierten sich nun wieder Luftikusse in fast allen Klassen. Sogar Oldies wie der erstmals 1971 gezeigten Mercedes-SL-Reihe R 107 wurde eine Revitalisierung spendiert. Neue Sechs- und Achtzylinder-Motoren vom 300 SL über den 420 SL bis zum 500 SL machten die Longseller begehrenswerter, wobei dies allerdings auch auf die gleichermaßen aktualisierten S-Klasse-Limousinen und die SEC-Coupés zutraf.

Viersitzige Vollcabrios

Citroen Visa GTI
Citroen Visa GTI Citroen

Völlig neu waren jedoch die bügelfreien viersitzigen Vollcabrios von BMW (325i) und Saab (900 Turbo), die bald einen Hype auslösten, der auf beiden Seiten des Atlantiks die kühnsten Erwartungen übertraf. Gegen die formvollendeten und technisch anspruchsvollen Bayern und Schweden wirkten sogar die nun auch eilig nach Deutschland importierten Chrysler Le Baron und Ford Mustang billig und antiquiert. Lieferzeiten von anfangs über zwei Jahren bezeugten den sofortigen Kultstatus des schwedisch-bayerischen Doppels, das heute kaum weniger begehrt ist als damals. Davon zeugen derzeit Preisforderungen, die besonders beim erst leicht verspätet in Deutschland verfügbaren Saab heute bereits den damaligen Neupreis übertreffen. Noch teurere, aber weit weniger gefragte Verdeckkünstler waren Mitte der Achtziger der neu lancierte und exotisch anmutende Chrysler Maserati TC aus amerikanisch-italienischer Koproduktion sowie der Jaguar XJ-SC mit V12-Power.

Aber auch wer sich für kleineres Geld den Wind um die Nase wehen lassen will, wird im Novitätensortiment der Saison '85 fündig. Etwa mit dem Peugeot 205 Cabrio oder dem Toyota MR2 mit herausnehmbarem T-Roof. Schicken Lifestyle unterm Blechdach bewirkten dagegen neu vorgestellte Kombi-Coupés wie der Volvo 480 ES und der Honda Accord Aerodeck. Nicht zu vergessen der exklusive Zweitürer Volvo 780 im Bertone-Anzug, der rare Kunststoffkeil Pontiac Fiero GT 2.8 V6, die schnellen Nissan 300 ZX 24V Turbo und der Mazda RX-7 mit Wankelmotor neuer Generation.

Lamborghini Countach s quattrovalvole
Der Lamborghini Countach Lamborghini

Ganz selten und dennoch billig geworden sind heute die Neuzugänge an Alltagshelden jenes Autojahrgangs, so etwa die fast vergessene Stufenhecklimousine Seat Malaga, der kleine Lancia Ypsilon, der Peugeot 309 als Erbe der damals gerade untergehenden Marke Talbot (Simca), die kompakten Japaner Nissan Sunny und Toyota Starlet (2. Generation) sowie eine der letzten Ernten aus der Allianz von Rover mit Honda, die inzwischen ins Nirvana abgetauchten Limousinen Rover 216 und Honda Legend. Sehr rar geworden ist heute auch ein anderes Massenmodell des Baujahres 1985: Der Opel Rekord bereitete sich nach einer in der deutschen Mittelklasse bis dahin beispiellos erfolgreichen Karriere auf seine Abschiedsgala vor, bevor 1986 der Omega ein neues Kapitel großer Opel aufschlagen sollte. (SP-X)

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