«Ich will keinen zweiten Abgasskandal»

Grünen-Politiker Cem Özdemir

«Ich will keinen zweiten Abgasskandal»
Der Grünen-Politiker Cem Özdemir ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestags. © Viktor Strasse

Cem Özdemir ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses des Deutschen Bundestages. Im Interview spricht der Grünen-Politiker über die zusätzlichen Förder-Milliarden für die Autoindustrie, deren Versäumnisse und das nahende Ende des Verbrenners.

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir fordert eine schnelle Änderung der «unkonditionierten Förderung» von Plug-in-Hybriden. «Nur wenn vorwiegend elektrisch gefahren wird, gibt es einen finanziellen Vorteil. Diese Regelung muss aber jetzt kommen. Erfolgt das zu spät, ist das Image des Plug-in-Hybriden schon zerstört», sagte Özdemir in einem gemeinsamen Interview mit der Autogazette und dem Magazin electrified. Wie Özdemir sagte, müsste der Nachweis über die elektrische Fahrleistung nach einer gewissen Zeit technisch ausgelesen werden.

«Der Diesel ist diskreditiert»

«Ich will keinen zweiten Abgasskandal und mache mir Sorgen, weil diese Politik mich an damals erinnert. Das Ergebnis: Der Diesel ist diskreditiert, sein schlechtes Image nicht mehr wegzubekommen», sagte Özdemir und fügte hinzu: «Schuld daran ist nicht die Deutsche Umwelthilfe, nicht der Umweltschutz. Hätten die Autos ihr Versprechen gehalten, hätte die Umwelthilfe noch so viel meckern können. Jetzt haben wir es wieder mit einem Versprechen zu tun, dass bisher nicht gehalten wird.»

Zuletzt hatten mehrere Studien nachgewiesen, dass die Realverbräuche von Plug-in-Hybriden signifikant von den Normverbräuchen abweichen und Fahrer eines dienstlich genutzten Plug-in-Hybriden nur zu einem geringen Anteil elektrisch unterwegs sind. Dennoch kommen auch Plug-in-Hybride in den Genuss einer Kaufprämie. Sie liegt für Fahrzeuge mit einem Netto-Listenpreis von 40.000 Euro bei 6750 Euro.

«Nein zur Förderung der alten Strukturen»

Autogazette: Herr Özdemir, auf dem vergangenen Autogipfel wurden der Autobranche weitere drei Milliarden Euro an Förderungen zugesagt. Begrüßen Sie dieses Milliardenprogramm?

Cem Özdemir: Wenn es in die ökologische Transformation unserer Automobilwirtschaft fließt, dann ist es richtig, dafür öffentliches Geld zur Verfügung zu stellen. Ich sage Ja zur Verkehrswende, Ja zu Klimaschutz, aber Nein zur Förderung der alten Strukturen. Jetzt ist Zukunft, es ist Zuversicht angesagt. Ich hätte mir zugebenermaßen vor ein paar Jahren auch nicht träumen lassen, dass der VDA, einer der einmal einflussreichsten Lobbyverbände in Deutschland, in der Corona-Krise Kaufprämien für fossile Verbrenner fordert – und es passiert nichts. Das sollte man sich in der Automobilindustrie ganz genau anschauen und daraus die richtigen Lehren ziehen. Wir diskutieren heute anders über Mobilität und das Auto als noch vor wenigen Jahren. Und das ist eine gute Nachricht.

Autogazette: Warum ist es Aufgabe des Staates der Autobranche beim Strukturwandel zu helfen?

Özdemir: Weil es eine unserer wichtigsten Leitindustrien ist – mit sehr vielen Beschäftigten. Uns nutzen weder Proteste von Gelbwesten nach französischem Vorbild oder US-amerikanische Verhältnisse wie im Rust Belt. Aber auf der anderen Seite dürfen wir uns auch nicht erpressen lassen. Die ökologische Transformation kommt. Das steht fest und jetzt müssen wir sie mit den Beschäftigten zusammen gestalten, weil wir wollen, dass sie ein Erfolg wird. Die aktuelle Situation hat mit den Versäumnissen der Automobilindustrie in der Vergangenheit zu tun. Es hat aber auch etwas damit zu tun, dass die Politik auf entsprechende Rahmensetzungen verzichtet hat.

«Uns fehlt ein echtes Bonus-Malus-System»

Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) steht nicht nur bei Umweltschützern in der Kritik. Foto: dpa

Autogazette: Sie zielen damit auf die Verkehrspolitik ab…

Özdemir: …ich sage nur elf Jahre CSU-Verkehrsminister. Das ist die falsche Freundschaft zwischen Autoherstellern und Politik. Das Ergebnis war zum Beispiel der Diesel-Skandal, der allein VW über 30 Milliarden Euro gekostet hat. Die einen taten so, als würden sie Grenzwerte einhalten, die anderen taten so, als würden sie die Grenzwerte kontrollieren. Dieses Geschäftsmodell ist am Ende. Was wir brauchen sind ambitionierte Rahmensetzungen für die Transformation. So fehlt uns zum Beispiel ein echtes Bonus-Malus-System in der Kfz-Steuer. Das heißt: Wer sich unbedingt einen spritschluckenden SUV kaufen will, der zahlt mehr. Wer ein emissionsfreies Fahrzeug bekommt, wird gefördert. Auch die acht Milliarden Euro Diesel-Subventionen, die es Jahr für Jahr gibt, müssen schrittweise abgeschmolzen werden.

Autogazette: Ist die Reform der Kfz-Steuer am Ziel vorbei gegangen?

Özdemir: Es ist eine Reform, die auf homöopathische Dosen setzt. Das reicht aber nicht. Wenn man sich in die Lage eines Konsumenten versetzt, dann fragt er sich, was er jetzt machen soll. Auf der einen Seite haben wir eine Förderung von bis zu 9000 Euro für Elektrofahrzeuge, auf der anderen Seite subventionieren wir den Dieselkraftstoff. Dann fördern wir Plug-in-Hybride, die auf der Straße nicht das halten, was sie versprechen. BMW schafft das Kunststück ein neues Fahrzeug (gemeint ist der Mini Cooper SE Countryman, Anm. d. Red.) auf den Markt zu bringen, dessen elektrische Reichweite so knapp kalkuliert ist, dass es nur 59 Kilometer statt der künftig geforderten 60 Kilometer elektrisch fahren kann. Hier folgt man immer noch der Philosophie: Ich mache nichts, was dem Klima nützt, solange ich es nicht unbedingt muss. Ist ja auch kein Wunder, wenn die CSU da im vorauseilenden Gehorsam immer alles aufweicht. Das ist Vollgas-Handbremse- Rückwärtsgang gleichzeitig. Das ist nicht das, was der Verkehr für die Erreichung der Klimaschutzziele leisten muss. Wir laufen immer noch Gefahr, der Verkehrswende hinterher zu laufen.

Und eine Politik, die sich in Sachen Klimaschutz immer an den Langsamsten orientiert, schadet auch dem Wettbewerbsstandort Deutschland. Wir müssen die besten sein wollen. Wenn man jetzt versucht das Modell Dieselbetrug auf den Plug-in-Hybrid zu übertragen, weil sich Scholz und Scheuer nicht trauen, Regeln für eine klimafreundliche Nutzung festzulegen, dann wünsche ich viel Erfolg. Damit wird man den Plug-in-Hybrid an die Wand fahren, aber auch die gesamte Elektromobilität diskreditieren.

«Wir bekennen uns zum Industriestandort Deutschland»

Cem Özdemir gehört zu den profiliertesten Politikern bei den Grünen. Foto: Viktor Strasse

Autogazette: Lassen Sie uns bei der Leitindustrie bleiben: Reicht es schon aus das Wort Schlüsselindustrie zu nennen, um weitere Milliarden zu bekommen?

Özdemir: Wie gesagt: Das Geld darf nicht in die alte Technologie fließen. Ein Schutzraum für den deutschen Verbrennungsmotor ist nicht nur ökologisch falsch, sondern auch wirtschaftlich total daneben. Denn die Fahrzeuge werden nicht allein fürs Inland gebaut, sondern wir bauen sie im Wesentlichen für das Ausland. Fast überall dort, wo wir deutsche Autos in großen Mengen liefern, wird ein Ende des fossilen Verbrenners in den nächsten zehn bis zwanzig Jahren beschlossen. Nehmen sie Frankreich, Großbritannien, Spanien und die skandinavischen Länder. In China können Sie davon ausgehen, dass die etwas Ähnliches machen. Wir bekennen uns zum Industriestandort Deutschland, wir wollen Jobs und Innovation, aber das Ganze geht nur mit Klimaschutz. Dieses Zieldreieck darf nicht voneinander getrennt werden.

Autogazette: Wie passt der Plug-in-Hybrid in dieser Zieldreieck?

Özdemir: Die Plug-in-Hybride, die gegenwärtig angeboten werden, erfüllen dieses Kriterium nicht. Zurzeit steht er nur für Klimaschutz auf dem Papier – so macht man eine gute Idee kaputt. Ich habe neulich eine schriftliche Frage an die Bundesregierung gestellt. Danach erfüllen derzeit nur 2,5 Prozent der Plug-in-Hybride die Vorgabe einer Reichweite von 80 Kilometern (Plug-in-Hybride müssen ab 2025 für eine Bezuschussung eine Mindestreichweite von 80 Kilometer erfüllen, Anm. d. Red).

Autogazette: Nach einer Studie des Fraunhofer Instituts und des ICCT kommen dienstlich genutzte Plug-in-Hybride nur auf einen elektrischen Fahranteil von 18 Prozent. Muss das Auswirkungen auf die Förderung haben?

Özdemir: Muss es. Deshalb muss ein Großteil des Fahranteils elektrisch sein. Wie kann man das erreichen? Es fängt bei der Tankkarte für Dienstwagen an. Wenn ich weiter umsonst tanken kann, warum sollte ich dann laden? Es braucht eine Regelung, damit die Besitzer einen Anreiz haben, elektrisch und damit klimafreundlicher zu fahren.

Der Nachweis über die tatsächliche elektrische Fahrleistung könnte nach einer gewissen Zeit technisch ausgelesen werden. Nur wenn vorwiegend elektrisch gefahren wird, gibt es einen finanziellen Vorteil. Diese Regelung muss aber jetzt kommen. Erfolgt das zu spät, ist das Image des Plug-in-Hybriden schon zerstört.

«Jetzt haben wir es wieder mit einem Versprechen zu tun»

Der Mini Cooper SE Countryman ist mit Plug-in-Hybrid unterwegs. Foto: BMW

Autogazette: Sind die meisten Plug-in-Hybride vor allem eine Mogelpackung?

Özdemir: Ich habe die unkonditionierte Förderung des Plug-In einmal staatlich subventionierten Klimabetrug genannt. Ich will keinen zweiten Abgasskandal und mache mir Sorgen, weil diese Politik mich an damals erinnert. Das Ergebnis: Der Diesel ist diskreditiert, sein schlechtes Image nicht mehr wegzubekommen. Schuld daran ist nicht die Deutsche Umwelthilfe, nicht der Umweltschutz. Hätten die Autos ihr Versprechen gehalten, hätte die Umwelthilfe noch so viel meckern können. Jetzt haben wir es wieder mit einem Versprechen zu tun, dass bisher nicht gehalten wird. Mein Ratschlag wäre: lernt aus dem Diesel-Skandal, macht es besser und orientiert euch nicht mehr nur an den Langsamsten. Etwas Mut, etwas mehr unternehmerische Weitsicht wäre gut. Leider reden wir immer noch über Reichweitenangst und Spaltmaße, die wir angeblich als einziger können. Die Themen der Zukunft sind allerdings Software, Over-the-Air-Updates, Ridepooling, autonomes Fahren und Klimaschutz. Da möchte ich, dass die deutsche Automobilindustrie Weltmarktführer ist.

Autogazette: Wären die ganzen Milliarden Programme vermeidbar gewesen, wenn die Autobranche die Transformation früher eingeleitet hätte?

Özdemir: Ganz sicher. Wir haben wertvolle Zeit verloren. Ich will 130 Jahre deutsches Auto nicht kleinreden, wir haben großartige Autos gebaut und tun dies auch heute. Das ist auch ein Grund stolz zu sein. Aber wer sich auf den Erfolgen von gestern ausruht, der wird das gleiche Schicksal erleiden wie der einstige Handy-Weltmarktführer Nokia. Ich will nicht, dass es der deutschen Automobilindustrie ähnlich ergeht.

Autogazette: Liegt die Transformation der Autoindustrie und die Entdeckung der E-Mobilität nicht vor allem an den strengen CO2-Vorgaben aus Brüssel?

Özdemir: Freiwillig ist es nicht passiert. Die CO2-Flottengrenzwerte haben für einen Innovationsschub Grundlage für die Flottengrenzwerte ist der Klimaschutz und dazu haben sich im Pariser Abkommen über 190 Staaten verpflichtet. Deshalb setzt die EU diesen Rahmen.

«Wichtig ist, dass das Geld bei den Zulieferern ankommt»

Greenpeace-Aktivisten demonstrieren für die Verkehrswende. Foto: dpa

Autogazette: Sind Sie ein Freund der Technologieoffenheit? Der VDA will sie, VW konzentriert sich auf die reine E-Mobilität.

Özdemir: Was meint Technologieoffenheit? Das Pariser Klimaschutzabkommen ist ein klares Bekenntnis dafür, dass wir aus dem fossilen Verbrenner aussteigen müssen. Die Klimaziele sind nur zu erreichen, wenn wir keinerlei fossile Kraftstoffe mehr verbrennen. Aufgrund der Dramatik des Klimawandels und der wertvollen Jahre, die wir verloren haben, brauchen wir alle klimaneutralen Technologien. Aber wir brauchen nicht alle Technologien für alles. Wir brauchen sie jeweils dort, wo wir sie am effizientesten einsetzen können Wenn man hinter diesem Satz einen Haken machen könnte und alle ihn unterschreiben, dann könnten wir endlich loslegen. Das müsste ein zukünftiger Verkehrsminister, eine zukünftige Verkehrsministerin machen. Es wäre ein gefühlter Sprung ins nächste Zeitalter, wenn der oder die nicht aus Bayern von der CSU käme.

Autogazette: Werden die neuen Fördermilliarden zielgerichtet verwandt? Eine Milliarde fließt in die Kaufprämie, eine Milliarde in die Abwrackprämie für LKWs und eine in den Zukunftsfonds Automobilindustrie.

Özdemir: Besonders wichtig ist, dass Geld bei den Zulieferern ankommt, denn die stehen vor einer besonderen Herausforderung. Da bin ich auf der Seite der IG Metall, die den klugen Vorschlag eines Transformationsfonds gemacht hat. Glücklicherweise gibt es schon Unternehmen, die sich auf den Weg gemacht haben. Eines davon ist sechs Kilometer entfernt von meinem Geburtsort Bad Urach im schönen Dettingen an der Erms und heißt ElringKlinger. Deren Chef Stefan Wolf kooperiert längst mit Tesla und sitzt an einer Kooperation in Sachen Brennstoffzelle mit Airbus. Das ist der Spirit, den wir brauchen: German can do, nicht German Angst.

Autogazette: Ist eine Abwrackprämie für LKWs zielgerichtet? Kauft man sich denn noch jemand einen Elektro-Lkw, der zuvor einen Diesel-Lkw erworben hat?

Özdemir: Geld sollte nur in etwas investiert werden, was dem Klimaschutz dient. Alles, was in die Vergangenheit investiert wird, erschwert den Fortschritt. Und deshalb verstehe ich die Förderung von Diesel-LKW nicht. Es erschwert im Übrigen auch die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft. Was wir jetzt bräuchten sind emissionsfreie Lkws. In diese Richtung muss investiert werden – auch bei der Forschung. Aber bitte nicht mit der Technologie von gestern.

«Es kann gut für die Wirtschaft sein, auf die Grünen zu hören»

Autogazette: Die EU-Kommission will die Klimaziele bis 2030 verschärfen und die CO2-Emissionen um 55 Prozent reduzieren, das Parlament will sogar 60 Prozent. Sind die Ziele zu ambitioniert?

Özdemir: Es sind ambitionierte Ziele, insbesondere für den Verkehrssektor. Das wird hart werden für die Automobilwirtschaft: es wird aber vor allem aufgrund eigener Versäumnisse hart werden. So langsam begreifen alle, dass wir es ernst meinen mit dem Klimaschutz. Das war nicht immer so. Das ist wie in der Schule: Wenn man einen Tag vor der Prüfung anfängt zu lernen, wird es etwas anstrengend. Unsere Automobilwirtschaft hat sich – geschützt durch die CSU – dafür entschieden, einen Tag vor der Prüfung anzufangen zu lernen. Das zeigt aber auch, dass es gut für die Wirtschaft sein kann, auf die Grünen zu hören. Mit dem bisherigen 40 Prozent-Ziel der EU hätte man die Klimaschutzziele krachend verfehlt. Mit den 55 beziehungsweise 60 Prozent kommen wir dem Ziel schon näher.

Autogazette: Können die neuen Klimaziele der EU ein Beschleuniger für die Verkehrswende sein?

Özdemir: Können sie. Auch hier gilt: je früher du anfängst, umso besser ist es. Die gute Nachricht ist, dass Elektro-Fahrzeuge nun auf den Markt kommen. Die Reichweite wird höher, der Preis geht runter und die Fahrzeuge werden attraktiver. Das heißt: Wir werden den Break-even-Point eher schneller als langsamer erleben. Daneben würden die Stickoxid-Grenzwerte für 2025, die jetzt diskutiert werden, auch dazu führen, dass E-Autos im Verhältnis günstiger werden, weil die Abgasreinigung bei Verbrennern anspruchsvoll ist.

«Das ist die klassische German Angst»

Autogazette: FDP-Chef Lindner sagte, dass die Abgasnorm Euro 7 letztlich ein Aus für den Verbrenner durch die Hintertür bedeuten würde. Teilen Sie diese Auffassung?

Özdemir: Das ist die klassische German Angst, die einen wahnsinnig machen kann. Erstens gibt es noch gar keinen Gesetzentwurf der Europäischen Kommission. Zweitens – und das nervt mich besonders an der Debatte – sind solche Aussagen eine Art Misstrauensvotum gegen unsere Ingenieurinnen und Ingenieure. Wenn man mit denen spricht, dann sagen die einem, dass es bereits heute Autos gibt, die die diskutierten Grenzwerte erfüllen. Das zeigt: Es geht technisch. Mir erschließt sich die Neigung der FDP nicht, alles im Schneckentempo zu machen, wenn die Welt sich dramatisch verändert.

Autogazette: Freut es Sie als Grüner, dass die Briten für 2030 ein Aus für den Verbrenner verkündet haben? Diese Forderung gab es für Deutschland von den Grünen ja auch.

Özdemir: Ja, das ist spannend. Und wir haben das überprüft – Boris Johnson ist sicher kein Grüner (lacht). Im Ernst, unsere Forderung hat wachgerüttelt.

Wir haben gezeigt, dass wir nicht mehr beliebig viel Zeit haben, sondern dass jetzt etwas passieren muss. Und dafür muss die Politik eine Orientierung bieten. Die Stiftung Klimaschutz spricht davon, dass wir bereits bis 2030 mindestens 14 Millionen Autos mit Stecker auf der Straße brauchen, um die Klimaschutzziele einzuhalten. Damit wären wir schon nah dran am Ende des fossilen Verbrenners für Neufahrzeuge. Mittlerweile kann sich sogar Herr Söder für 2035 ein Verbrenner-Aus vorstellen. Man staunt manchmal Bauklötze, wie schnell sich Dinge verändern können.

«Ich freue mich über jeden Verbündeten»

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU). Foto: dpa

Autogazette: Haben Sie Herrn Söder schon einen Mitglieds Antrag für die Grünen zukommen lassen?

Özdemir: Soweit geht es jetzt nicht, der soll schön bei der CSU bleiben. Bei ihm sind Sagen und Tun auch zwei Paar Schuhe. Und vergessen Sie nicht. Auch wegen Herrn Söder haben wir Scheuers Mautdesaster. Mal ernsthaft: Ich freue mich über jeden Verbündeten. Ich sage sehr klar: Das ist kein Politikbereich, wo mit 51 gegen 49 Prozent entschieden werden sollte.

Wenn ich hier den Verkehrsausschuss leite und wir haben Delegationen aus Dänemark und der Schweiz zu Besuch, bin ich fast etwas neidisch. Denn in der Verkehrspolitik haben die, die sich sonst auch wie Kesselflicker streiten, einen weitgehenden Konsens gefunden. Diesen haben wir in Deutschland nicht. In diesen Ländern streitet niemand ernsthaft darüber, dass das Fahrrad nicht Kommunismus ist, sondern ein zentraler Bestandteil des Mobilitätsmixes ist. Übrigens auch ein Arbeitsplatz-Treiber. Da bestreitet niemand, dass Verkehrswende viel Schiene und weniger Autos heißt, da streitet niemand darüber, dass wir die Autos so schnell wie möglich klimafreundlich bekommen müssen.

Das Interview mit Cem Özdemir führte Frank Mertens

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