Auf den richtigen Grip kommt es an

Unterschätzte Profiltiefe

Auf den richtigen Grip kommt es an
Die Reifen sind für die Sicherheit maßgebend. © Goodyear Dunlop

Die Zahl der Getöteten und Verletzten bei Verkehrsunfällen nimmt kontinuierlich ab. Mit der richtigen Reifenwahl könnte die Statistik noch besser aussehen.

Von Thomas Flehmer

Das Video der Firma crashtest-service.com ist gleichsam beeindruckend wie erschreckend. Mit 20 km/h Restgeschwindigkeit nach einem Bremsvorgang rollt ein mit einem Dummy besetzter Ford Focus von hinten unter einen Lkw. Die Front sowie Motorhaube werden beschädigt, die Windschutzscheibe ein wenig eingerissen, dem Dummy passiert nichts. Mit 40 km/h Restgeschwindigkeit geht der Unfall ganz anders aus. Die Windschutzscheibe fällt aus den Fugen, trotz Unterfahrschutz des Lkw kann der Airbag nicht reagieren und entfaltet sich nicht, der Dummy kommt in Kontakt mit dem Lkw – Verletzungen wären gegeben. Simuliert wurden zwei Fahrten, bei denen die Reifen über viel Grip und nicht so viel Grip verfügten und so eine niedrigere oder höhere Endgeschwindigkeit besaßen.

Häufiger Kontrollverlust in den Wintermonaten

Die so genannten Unfälle im Längsverkehr sind laut der Verkehrsunfallforschung der TU Dresden GmbH (VUFO) die häufigsten Ursachen. "Besonders in den Wintermonaten kommt es durch Kontrollverlust oder zu kurzem Abstand deutlich häufiger zu dieser Art der Unfälle", sagt Lars Hannawald, Geschäftsführer der VUFO beim Winterreifen-Workshop von Goodyear Dunlop.

Rund 2000 Verkehrsunfälle mit Personenschaden pro Jahr nimmt die VUFO in der Umgebung von Dresden in Kooperation mit der von der Bundesanstalt für Straßenwesen (bast) unterstützten Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) seit 1999 auf und wertet die Daten aus. "Durchschnittlich 19 Minuten nach dem Unfall sind wir vor Ort, da wir auch mit Blaulicht unterwegs sind", sagte Hannawald der Autogazette. Laut dem Geschäftsführer der VUFO befinden sich pro Unfall drei Leute "zwischen einer und zwei Stunden" am Unfallort, um die Daten des Hergangs aufzunehmen. Anschließend werden 30 Stunden für die Datenverarbeitung eingeplant.

Jeder fünfte Unfallverursacher mit falscher Profiltiefe unterwegs

Fahrdemonstration auf der Schleuderplatte
Mit der richtigen Profiltiefe kann das Auto besser in der Spur gehalten werden Goodyear Dunlop

Dabei nehmen die Reifen eine besondere Stellung ein. Der Anteil grip-relevanter Situationen bei Unfällen im Winter ist selbst auf trockenen Straßen zu zwei Dritteln die Unfallursache. Auf feuchten oder nassen Straßen steigt der Prozentsatz auf 81 Prozent, bei Schnee und Eis sind es gar 94 Prozent.

Das Risiko steigt, wenn im Winter die Sommerreifen weiterhin aufgeschraubt sind. "Von 1000 Unfällen sind 960 Mal die Sommerreifen auf Eis und Schnee die Verursacher", so Hannawald, "die Gefahr steigt um 75 Prozent." Und wie dann der Unfall ausgeht, verdeutlichte das Video. Doch nicht nur die richtige Bereifung, sondern auch die nötige Profiltiefe wird meistens unterschätzt. "Mehr als jeder fünfte Verursacher eines Unfalls im Winterhalbjahr war auf Reifen mit unter vier Millimetern unterwegs", sagt der Diplom-Ingenieur, "bei drei Prozent der Fahrzeuge lag die Profiltiefe unter der gesetzlichen Mindestprofiltiefe."

Assistenzsysteme von Reifen abhängig

Vergleichs-Bremstest mit alten und neuen Reifen
Beim Reifenlabel auf Kategorien achten Goodyear Dunlop

Die richtige Reifenwahl ist auch ausschlaggebend bei Fahrzeugen, die schon mit Fahrerassistenzsystemen bestückt sind. Egal ob ESP, ABS oder Bremsassistent, "die Autos können nur so gut sein, wie gut der Reifen ist", sagt Hannawald.

Bei der richtigen Reifenwahl sollte daher auf das vor zwei Jahren eingeführte Reifenlabel geachtet werden. "Die Nässehaftung ist dabei das einzige sicherheitsrelevante Kriterium", sagt Thomas Salzinger. Der Leiter für Reifenversuche beim TÜV Süd hat mit seinem Team die Bremswege der einzelnen Reifenkategorien untersucht. Reifen, die im Label "C" eingestuft waren, benötigen bei einer Bremsung von 80 auf 20 km/h einen Bremsweg von bis zu 27 Metern. Eine Kategorie tiefer verlängert sich der Bremsweg bereits um 5,7 Meter – mehr als eine Fahrzeuglänge.

Richtige Reifenwahl mindert Folgekosten

Der Goodyear UltraGrip 9
Der Goodyear UltraGrip 9 Goodyear Dunlop

Gar bis zu 8,5 Meter sind es beim Nassbremsen-Vergleich von 80 km/h auf 0 km/h zwischen einem aktuellen Goodyear UltraGrip 9 und einem UltraGrip 4, der vor 20 Jahren eingesetzt wurde. Neue Laufflächenmischungen und Füllstoffe wie Silica sowie moderne Lamellenstrukturen stärken die Haftungsmechanismen auf Eis und Schnee oder Nässe.

Doch müssen auch die neuen Reifen die richtige Profiltiefe aufweisen, um dank des richtigen Grip, Unfälle zu vermeiden oder die Schäden so klein wie möglich zu halten. Peter Schimmelpfennig von crashtest-service.com – das Unternehmen aus der Nähe von Münster führt seit über 13 Jahren Kollisionsversuche für die Rekonstruktion von Verkehrsunfällen durch - kalkulierte die Schäden beider Fahrzeuge aus dem Video. Der mit 20 km/h kollidierende Focus könnte für 5520 Euro repariert werden. Bei dem 20 km/h schnelleren Focus würden 19.825 Euro anfallen und den Wert des Autos übersteigen.

Richtiger Grip verkürzt Bremsweg



"Erhöhte Folgekosten durch ein höheres Verletzungsrisiko sind in diesen Kosten ebenso noch nicht enthalten, wie die mögliche Gefährdung weiterer Verkehrsteilnehmer", so Schimmelpfennig. Mit dem richtigen Grip wäre der Bremsweg deutlich kürzer ausgefallen und Verletzungen hätten vermieden werden können. "Leider haben das immer noch nicht alle begriffen", sagt Hannawald. 2,4 Millionen Verkehrsunfälle pro Jahr zeugen von der traurigen Wahrheit.

Vorheriger ArtikelReisende nutzen Fernbusse und Mitfahrzentralen
Nächster ArtikelSpritpreise wieder leicht gestiegen
Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

Keine Beiträge vorhanden