«Das Herz der Elektrifizierung sitzt in Europa»

FCA-Elektrochef Roberto di Stefano

«Das Herz der Elektrifizierung sitzt in Europa»
FCA-Elektrochef Roberto di Stefano. © Fiat

Der FCA-Konzern scheint die Elektromobilität verschlafen zu haben. Doch davon will Roberto di Stefano nichts wissen, der beim Autobauer diesen Bereich verantwortet.

„Es stimmt überhaupt nicht, dass wir die Elektromobilität nicht auf dem Radarschirm haben. Wir haben öffentlich angekündigt, dass wir innerhalb der nächsten Wellen in unserem Modellportfolio 13 unterschiedlich elektrifizierte Modelle haben werden“, sagte di Stefano im Interview mit der Autogazette. Der Manager ist bei Fiat Chrysler Automobiles (FCA) Head of e-Mobility.

Auf breiter Front soll nun die E-Mobilität losgehen, wie di Stefano ankündigte. Nach dem Jeep Renegade wird auch der größere Bruder Compass elektrifiziert. Die beiden SUV sind Teil der Ende letzten Jahres beschlossenen Investitionen von fünf Milliarden Euro in die italienischen Werke. Auch die Produktionsstandorte Mirofiori (Fiat 500), Sevel (Ducato), Pomigliano (Alfa Romeo Tonale) werden davon ebenso profitieren wie die neuen Maserati Modelle.

Melfi Herz der Elektrifizierung

Das Herz der Elektrifzierung der Marken mit eigener E-Mannschaft jedoch sitzt in Melfi Basilicata. Der Produktionsstandort im Süden Italiens unweit von Bari, der seit September auf eine 25 jährige Historie zurückblicken kann , ist die modernste Technologieanlage bei FCA und „Heimat des Jeep“, wie die Italiener beim Besuch der Fabrik immer wieder stolz betonen.

Hier laufen derzeit mit dem Renegade und Fiat 500x pro Tag 1200 Fahrzeuge vom Band. Daneben entsteht die neue Produktionslinie für die kommenden Jeep Hybridantriebe Renegade und Compass.

«Das ist eine Frage der Batteriekapazität»

Die Seitenansicht des Renegade. Foto: Jeep
Den Jeep Renegade wird es als PHEV geben. Foto: Fiat

Autogazette: Der Jeep Renegade, der erste elektrifizierte Jeep, hat gerade Mal 50 Kilometer Reichweite als Plug-in Hybrid (PHEV). Warum so wenig?

Roberto di Stefano: Wir haben ihn ganz bewusst so konzipiert. In jedem Fall können wir ihn nachrüsten; je nachdem wie der Markt dies erfordert. Das ist eine Frage der Batteriekapazität.

Autogazette: Bislang hat FCA noch keine Zahlen bezüglich der Zahl der Jeep Renegades mit Plug-in Hybrid genannt. Kommen die bis zum offiziellen Produktionsstart des Renegade Anfang nächsten Jahres? Aus Amerika?

Di Stefano: Nein, so läuft das keineswegs ab. Das Herz der Elektrifizierung sitzt in Europa und genauer hier in Melfi. Speziell in Europa müssen wir ja aufgrund von Vorgaben ab nächstem Jahr bis 2028 bestimmte Klimaauflagen erfüllen. Unseren Hochrechnungen für die EMEA-Flotte (Europa, Naher Osten, Asien) zufolge, können wir mit einer rein elektrischen Reichweite von 50 Kilometern diese Auflagen erfüllen. Unabhängig davon diskutieren wir dieses Thema jetzt mit unseren Kunden, denn es ist nicht nur das Ziel, die neuen Regeln, sondern vor allem die Erwartungen der Kunden zu erfüllen.

«Es bedarf größerer Batterieeinheiten»

Autogazette: Das heißt?

Di Stefano: Schon jetzt wissen wir, dass wir für den Renegade größere Reichweiten anbieten müssen. Dazu bedarf es entsprechend anderer Batterieeinheiten. Bisher können wir noch nicht sagen, wann genau diese Einheiten offiziell am Markt sein werden.

Autogazette: Sie warten auf die passenden Batterieeinheiten?

Di Stefano: Ja. Es geht darum, die Energiemenge zu erhöhen, mit der wir die Batterie ausstatten. Generell gilt: Wir sind flexibel. Die Konzeption des Jeep Plug-in Hybrid entstand in unserem globalen technischen Zentrum. Das bedeutet, es ist eine Mischung unserer Fähigkeiten.

Autogazette: Wie geht es weiter mit der Elektrifizierung? Wenn man von FCA spricht, denkt man bisher nicht wirklich an Elektromobilität, auch wenn nun der Fiat 500 als rein elektrische Variante angekündigt ist. Gibt es so etwas wie eine Roadmap?

Di Stefano: Es stimmt überhaupt nicht, dass wir die Elektromobilität nicht auf dem Radarschirm haben. Wir haben öffentlich angekündigt, dass wir innerhalb der nächsten Wellen in unserem Modellportfolio 13 unterschiedlich elektrifizierte Modelle haben werden.

«Erste Welle 2020»

Den Fiat 500 wird es 2020 auch elektrifiziert geben. Foto: Fiat

Autogazette: Welche werden das sein?

Di Stefano: Ich kann nur die erste Welle explizit nennen. Die findet im Jahr 2020 statt. Anfang des Jahres starten wir mit dem Mild-Hybrid, also mit geringfügiger Elektrifizierung, im kleineren Segment unserer Modelle, damit diese Fahrzeuge ins Zentrum von Städten mit Umweltzonen fahren können. Gleich im Frühjahr beginnen wir dann mit der Massenproduktion des Jeep Renegade wie auch des größeren Jeep Compass, die zwischen Frühjahr und Sommer auf dem Markt sein werden. Danach, Mitte des Jahres, folgt unser berühmtes Baby und Stadtauto, der neue Fiat Cinquento, der im Norden Italiens in Mirafiori bei Turin produziert wird. Gerade hat das erste Testfahrzeug die Produktionslinie verlassen.

Anfang Herbst läuft dann die Produktion unseres leichten Nutzfahrzeugs Ducato an. Meiner Meinung nach ist es unser wichtigstes Fahrzeug für die E-Mobilität. Wir haben schon eine unglaublich hohe Nachfrage. Der Ducato ist ideal für kommerzielle Einsätze, aber auch für den Personentransport. Auf dem Markt ist das Angebot in diesem Segment nicht besonders groß. Beim elektrifizierten Ducato wird sich gegenüber dem Verbrenner in punkto Leistungsdaten, Raumangebot und Kosten (total cost of ownership) letztlich nichts ändern. Es ist wirklich ein klasse Produkt, das unser Technikzentrum hier entwickelt hat. Gegen Ende des Jahres wird eine zweite große Welle geben, die Anfang 2021 richtig zum Tragen kommen wird. Sie wird sich an die anderen Fahrzeugsegmente richten.

«Wir sind startklar»

Autogazette: Geht das etwas genauer?

Di Stefano: Wir sind startklar. Das heißt, wir verfolgen eine durchdeklinierte Strategie mit allen Varianten der Elektromobilität. Wir haben das Angebot, wenn und wo der Markt dafür und die Nachfrage danach da ist. Genau das erkunden wir im engen Dialog mit den Kunden. Wir wissen, dass auch nächstes Jahr der Kunde weiterhin skeptisch ist, was die Elektromobilität betrifft. Wir nennen diese Elektromobilitätsoffensive eine „Italienische Geschichte“.

Autogazette: Wie das?

Di Stefano: Wir rüsten alle unsere italienischen Fabriken in Richtung Elektromobilität auf. Diese Elektromobilitätsoffensive ist mein Aufgabenbereich, für EMEA und weltweit. Das heißt, die Elektrifizierung ist vollumfänglich in italienischer Hand und betrifft alle unsere Standort. Unser wichtigstes Basisfahrzeug Ducato wird im zentralitalischen Sevel produziert, der Jeep steht und fällt mit unserer „Fabrik der Zukunft“ und Leitfabrik hier in Melfi. Pomigliano bei Neapel ist ein wichtiger Standort für milde Hybridautos und Mirafiori für den Cinquecento. Das bezieht sich auf die gesamte EMEA Region.

«Es bedarf größerer Batterieeinheiten»

Jeep Compass, Foto: Jeep
Der Jeep Compass. Foto: Jeep

Autogazette: Elektrifizierung ist das eine. Wie halten Sie’s mit anderen Kraftstoffen wie den synthetischen für Verbrennungsmotoren? Vor allem aber: Was ist mit Brennstoffzellenfahrzeugen? Sind die Teil der Strategie des Konzerns?

Di Stefano: Lassen Sie es mich so sagen: Wir arbeiten an allen Technologien, überdenken und beginnen sogar mit der Vorentwicklung aller möglichen Szenarien, um zum gegebenen Zeitpunkt das richtige Produkt aus dem Regal ziehen, also die jeweils passende Mobilitätslösung anbieten zu können. Denn der Markt ist nach wie vor nicht festgelegt auf eine Richtung. Deshalb noch einmal: Wir arbeiten an allen Technologien, einfach weil wir keine Option auslassen dürfen zugunsten anderer. Natürlich wird es einen Zeitraum geben, in dem die batteriegetriebene Elektromobilität, ob vollelektrisch, als Mild- oder Vollhybrid eine Lösung ist.

Autogazette: Also eine Brückentechnologie?

Di Stefano: Das mag sein. Es kommt darauf an, wie alle beteiligten Stakeholder zusammenspielen. Denn die zukünftige Art der Mobilität ist ja nicht allein von den Lösungsangeboten der Autoindustrie anhängig. Wir leben in einer Zeit der Hybridisierung der Industrie. Deshalb verfolgen wir bei FCA eine Strategie, nach der wir uns mit vielen Partnern ‚hybridisieren‘, Stichwort Wallboxes, Konnektivität und vieles mehr. Unser Ziel: Die bestmögliche Mobilitätslösung und das bestmögliche Kundenerlebnis für diejenigen zu bieten, die sich elektrisch bewegen wollen. Es gibt Mitbewerber, die dies alles vertikal darstellen wollen. Unsere Strategie, die unser E-Team, das ich leite, ausgearbeitet hat und unablässig optimiert, ist anders. Dafür steckt unser Unternehmen mitten in einem Transformationsprozess: Wir sehen uns als flexibles Unternehmen innerhalb eines großen Mobilitätsnetzwerkes.

«Brauchen Unterstützung der Politik»

Autogazette: Hinzu kommt die Rolle der Politik…

Di Stefano: Genau das ist die andere Seite in der Geschichte dieser, sagen wir mal, ‚neuen‘ Industrie. Wir und mehr noch die Kunden brauchen die Unterstützung der Politik. Bis dato erleben wir einen Alptraum von einem Wust an Regeln, die von Stadt zu Stadt, Land zu Land variieren. Es ist Aufgabe der Politik, das zu lösen, also eine allgemeingültige Strategie zu haben, die dem Kunden ein so einfach wie möglich gehaltenes Mobilitätsangebot anbietet. Unsere Forderung heißt: „Simplify“, Vereinfachung. Dabei ist jetzt vor allem eine sehr schnelle Umsetzung vonnöten, bevor sich der Kunde von dieser Form der Mobilität abwendet.

Das Interview mit Roberto di Stefano führte Susanne Roeder

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Susanne Roeder
Während des Studiums der englischen und klassischen Philologie in Freiburg, Cambridge, Oxford und Promotion in englischer Sprache arbeitete sie bei BBC Radio Oxford und deutschen öffentlich-rechtlichen Sendern. Bei einer Agentur mit Mercedes als Hauptkunden begann ihre Liebe für Automobile. Nach Stationen als Pressesprecherin in der Industrie ist sie mit Globaliter Media selbständige Journalistin.

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