Viele Pick-Ups sind aus den Modellangeboten der Hersteller sang- und klanglos verschwunden. Noch da ist der VW Amarok. Warum, steht in unserem Praxistest.
Immer wieder wird darüber geklagt, dass Autos permanent größer und schwerer würden. Wenn es sich schon in der vorangegangenen Generation um ein großes und schweres Auto handelte, ist das erst recht zu hinterfragen. Der erste VW Amarok war 5,19 Meter lang und minimal rund 1900 Kilogramm schwer.
Aktuell misst der Volks-Pick-Up 5,35 Meter, der mit einem Hardtop versehene Testwagen wog 2460 Kilo. Ein ordentlicher Trumm also, der eher in der freien Prärie zu Hause ist, als in engen City-Lagen. Fast 13 Meter Wendekreis zeigen die Grenzen der Handlichkeit.
Produktion in Südafrika
Seit seinem Erscheinen ist der Amarok zum Weltenbummler mutiert. Zunächst für Südamerika konzipiert und dort gebaut, wurde er wegen der großen europäischen Nachfrage bis 2020 auch in Hannover gefertigt. Nun ist er Südafrikaner geworden, teilt sich mit dem Ford Ranger die technische Basis und wird bei Johannesburg zusammengeschraubt.
Um den eigenständigen Auftritt zu untermauern, hat Volkswagen viel Kosmetik für Kühlergrill, Scheinwerfer-Einheiten und Cockpit-Systeme aufgewendet. Für diesen Test stand die leistungsstärkste Version zur Verfügung, die von einem V6-Dieselmotor mit 241 PS ins Rollen gebracht wird.
Gute Dämmung und Soundstärke
Die Ausstattungslinie „Aventura“ lässt auf Anhieb erkennen, dass es bei diesem Nutzfahrzeug nicht ausschließlich um Nutzen geht. Damit beim Laster der Lifestyle nicht zu kurz kommt, ist die Doppelkabine sehr wohnlich eingerichtet. Elektrisch verstellbare Vordersitze, flauschiger Teppichboden, unterschäumte Verkleidungen und wenig Hartplastikteile, eine soundstarke Harman-Kardon-Musikanlage und guter Schallschutz gegen die Absonderungen des knorrigen Selbstzünders – in einer geräumigen Limousine geht es einem da nur unwesentlich besser. Vorn und in der zweiten Reihe sind zwischen den Türverkleidungen jeweils 1,46 Meter Platz für die Insassen. Von 18 bis zu enormen 42 Zentimetern reicht der Raum zwischen den Vordersitz-Lehnen und den Polstern der Rückbank.
Der Dieselmotor ist ebenso ein Ford-Gewächs wie das zehngängige Automatikgetriebe. Der wuchtige Hebel für seine Bedienung offenbart beim Ausschalten im Drive-Modus eine Besonderheit. Per Stellmotor rückt der Hebel selbstständig in den Parkmodus. An der linken Seite des Knaufs befinden sich Tasten für die manuelle Gangwahl, der Drehknopf für die 4×4-Modi bietet die Optionen reiner Hinterradantrieb, automatische Kraftverteilung zwischen den Achsen, permanent Vierrad (4H) und Gelände-Untersetzung (4L). Ist die Vorderachse mit in Betrieb, vergrößert sich der Wendkreis noch ein bisschen. Der Automatik sollte man nach Beginn der Fahrt eine Anwärmphase zubilligen, bis es die Übersetzungen geschmeidig sortiert, nach dem Kaltstart funktioniert das mitunter etwas ruppig.
Gasdruckfedern fix eingespart
Wer sich den bulligen Dreiliter-Motor einmal genauer ansehen will, sollte gut gefrühstückt haben. Die gewaltige Motorhaube hat keine Gasdruckfedern und man muss sie händisch hochwuchten, um den Haltestab einrasten zu lassen. Da hat VW an der falschen Stelle gespart, bei einem Fahrzeug für mehr als 70.000 Euro sollte man vor dem Kühlergrill keine Schwerstarbeit leisten müssen. Ein gewichtiges Stück Ausstattung ist auch die für 828 Euro erhältliche Anhänger-Kupplung, deren Aufsteckhaken 9,4 Kilo wiegt. Ziehen kann man damit bis zu 3,5 Tonnen.
Überraschend leicht ist dagegen die Heckklappe, die bei vielen anderen Pick-Ups Trainingseinheiten für die Armmuskulatur bedeutet. Originell auch die Zentimeter-Skala an der Innenseite des Klappenrandes, die vergebliche Versuche, etwas zwischen den Radkästen zu verstauen, verhindert. Eine Euro-Palette passt quer hinein, aber die Chance für eine zweite wurde vertan. Dazu hätte es noch ein paar Zentimeter mehr Fahrzeuglänge oder eine geringfügig kürzere Doppelkabine gebraucht. In jedem Falle muss das Transportgut erstmal auf 86 Zentimeter Höhe gehievt werden. VW lässt sich das Ausschäumen der Ladefläche mit einem strapazierfähigen Plastikbelag extra honorieren (396 Euro). Eine lohnende Investition ist eine Laderaum-Abtrennung, die verhindert, dass Kisten und Kästen beim Bremsen in Richtung Kabine rutschen.
Mit der Last kommt der Durst
So wie ein Gewichtheber mehr Kalorien zu sich nehmen muss als ein Fechter, um leistungsfähig zu bleiben, ist auch der Appetit eines Schwerathleten vom Typ Amarok nicht leicht zu zügeln. Zwar kann man ihn mit Zurückhaltung im Gasfuß durchaus mit zehn Litern je 100 km über die Landstraße bewegen, wer den kräftigen Zug von 600 Nm Drehmoment beim Anfahren spüren möchte oder gar mit einer Ladung Brennholz für den Winter unterwegs ist, wird sich schnell bei 13 oder 15 Litern wiederfinden. Wie man einen Amarok zum Schluckspecht macht, zeigte der Langstrecken-Speicher des Testwagens: Über rund 1500 km Strecke waren dort 23 Liter/100km protokolliert.
Unterwegs schnurrt der Dieselmotor erstaunlich ruhig dahin. Bei 100 km/h beträgt das Innengeräusch-Niveau gerade mal 61 dB(A) und selbst das geht zu einem Großteil auf die Windgeräusche zurück, die von der hoch aufragenden Kabine und den großen Außenspiegeln erzeugt werden. Bis zu 190 km/h schafft der Amarok (zehn mehr als der Ford Ranger), aber man sollte wissen, dass selbst bei hundert Stundenkilometern der Bremsweg mehr als 40 Meter beträgt. Auf eine Eigenheit des kamera- und radar-gestützten Tempomaten kann man getrost verzichten: Erkennt das System ein Verkehrsschild mit einem höheren als dem vorgewählten Tempo, wird automatisch beschleunigt. Einfach nur lästig.
Im Gelände gibt er sich keine Blöße
Das sonst recht erhabene Fahrgefühl lässt sich noch steigern, indem man unwegsames Gelände aufsucht und die Offroad-Fähigkeiten herausfordert. Das einzige, was ihm Beschwerden bereiten könnte, wäre wegen des drei Meter langen Radstandes ein zu spitzer Rampenwinkel. Auf Sand, Schotter, an heftigen Steigungen gab sich die edle Pritsche keine Blöße. Fast 240 mm Bodenfreiheit sind hier gleichbedeutend mit viel Bewegungsfreiheit.
Kameras, Radar und Sensoren bessern für die unübersichtliche Karosserie die Handhabung, bis zu 18 Assistenz-Systeme gibt es in Serie. Mit Standheizung und Hardtop kostete der Testwagen allerdings auch fast 77.000 Euro.