Wer an Smart denkt, denkt an ein ideales Stadtfahrzeug. Solche Assoziationen hat man beim Anblick des Smart #1 nicht mehr – und das ist das größte Problem des Stromers.
Es hilft nichts, vergangenen Zeiten nachzutrauern. Auch nicht, wenn es sich um ein ideales Stadtauto wie den Smart Fortwo handelt. Mit seiner Länge von 2,69 Meter passte es in der Stadt in fast jede Parklücke – und wenn nicht, parkte man ihn halt quer.
Der Smart Fortwo war eine Antwort auf immer voller werdende Städte und für ein neues Mobilitätsverständnis. Doch der Fortwo ist mit dem Produktionsstopp Ende März dieses Jahres ebenso wie sein großer Bruder Forfour Geschichte.
Smart #1 ist 4,30 Meter lang
In der Neuzeit geht es auch bei Smart größer zu. Der seit vergangenem Jahr erhältliche Smart #1 bringt es mittlerweile auf eine Länge von 4,30 Meter – und befindet sich damit auf Kompaktklasse-Niveau. Zwar arbeitet auch Smart an einer Neuauflage des Zweisitzers, aber bis es soweit ist, muss man sich mit dem #1 beziehungsweise der Coupévariante #3 begnügen.
Dass sich die Kooperationspartner Mercedes und Geely entschieden haben, für die Neuinterpretation der Marke Smart auf ein SUV zu setzen, kann man verstehen. Zwar war der Fortwo ideal für die Stadt, aber erfolgreich war er nie – weder als Verbrenner noch als E-Version. Mit dem #1 und der Coupévariante #3 soll endlich alles besser werden. Die Chancen stehen dafür nicht schlecht, auch wenn die Absatzzahlen bisher nicht ein Erfolgsgeschichte erzählen. Gerade einmal 6663 Kundinnen und Kunden entschieden sich im Vorjahr für einen #1. In den ersten vier Monaten des Jahres waren es 2100 Einheiten.
Es sind überschaubare Absatzzahlen. Doch die Verantwortlichen bei Smart setzen darauf, dass die Nachfrage anzieht. Erstens stehen SUVs bei den Kundinnen und Kunden nach wie vor hoch im Kurs, zweitens bringt der #1 mit seinem pfiffigen Design und seinem technischen Features alles mit, was man von einem modernem E-Auto erwartet. So, wie unser mintgrüner Testwagen vor einem steht, wirkt er sympathisch, sticht aus der Masse trister E-SUVs heraus. Bereits mit seinem Äußern sammelt er Pluspunkte.
Technische Basis wie beim Volvo EX30
Dass setzt sich auch bei der Technik fort, die er sich übrigens mit dem Volvo EX30 teilt. Der Schwede, ebenso ein Teil der großen Geely-Familie, ist ebenso wie der #1 auf der so genannten Sustainable Experience Architecture (SEA) unterwegs ist.
Doch während der EX30 eher nüchtern skandinavisch vorfährt, ist der Smart im Innenraum deutlich „verspielter“. Wo der EX30 nur noch über ein Mitteldisplay verfügt und auf ein Fahrerdisplay verzichtet, findet sich beides im Smart wieder. Zudem gibt es beim #1 auch ein Head-up-Display, das beim Volvo noch nicht einmal optional zur Verfügung steht. Wie man bei gleicher technischer Basis ein Auto deutlich anders konzipieren kann, dafür ist der #1 ein gutes Beispiel. Mit Blick auf den Innenraum und die Anzeige der wichtigsten Fahrzeugfunktionen liegen die Vorteile dabei klar beim #1. Hier finden sich alle wichtigen Infos im direkten Blickfeld des Fahrers – er muss sich dafür nicht erst zur rechten Seite drehen.
Verspielter Startbildschirm
Wenn es denn etwas gibt, was man sich anders wünscht, ist es die Darstellung des Startbildschirms auf dem 12,8 Zoll großen Zentral-Bildschirms. Hier ist eine Weltkugel samt einem in der rechten unteren Ecke integrierten Fuchs zu sehen: er liegt, steht auf, gähnt und legt sich wieder hin. Was so etwas soll, muss sich einen nicht sofort erschließen – aber ist vielleicht auch nur Geschmackssache. Meine Frau findet das nett, es sei doch mal etwas anderes, merkt sie an. Nun ja.
Was misslich ist – und man derzeit insbesondere bei chinesischen Herstellern findet – ist die Verstellmöglichkeit von Funktionen ausschließlich über den Touchscreen wie beispielsweise für die Außenspiegel. Dafür gibt es im #1 keine Knöpfe mehr an den Türen. Dafür muss man die entsprechende Einstellung im Untermenü des Touchscreens bemühen, um dann die Außenspiegel über Knöpfe am Lenkrad zu verstellen. Die Einstellungen der Sitze sind erfreulicherweise nach wie vor in altbekannter Form möglich. Gleiches trifft auf die Öffnung der Fenster zu. Dazu gibt es nach wie vor Druckknöpfe – und diese sind nicht wie im EX30 in der Mittelarmlehne positioniert, sondern dort, wo sie hingehören, nämlich an den Türen. Ansonsten hinterlässt der Innenraum des Smart auch dank des großen Glasdaches und der guten Verarbeitungsqualität einen stimmigen Eindruck. Mittelmäßig ist indes das Kofferraumvolumen: es liegt bei gerade einmal bescheidenen 313 Litern.
Leistung von 272 PS
Nichts zu beanstanden gibt es bei den Fahrleistungen unseres Testwagens. Der 272 PS starke Hecktriebler hinterließ während des zweiwöchigen Tests einen guten Eindruck. Mit seinem Drehmoment von343 Nm ist der 1,9 Tonnen schwere Smart – den wir in der Ausstattungsvariante Premium gefahren sind – ausgesprochen kraftvoll unterwegs. Es vergehen 6,7 Sekunden für den Sprint von 0 auf 100 km/h und die Spitzengeschwindigkeit ist bei 180 Kilometer erreicht – auf der Autobahn zeigte der Tacho sogar 183 km/h an. Das sind die reine Daten.
Doch wie schaut es mit der Fahrdynamik aus? Gut, sehr gut sogar. Der #1 liegt satt auf der Straße und lässt sich auch sportlich durch die Kurven bewegen, ohne sich dabei bei höherem Tempo eine Blöße zu geben. Die Lenkung vermittelt der Fahrerin oder dem Fahrer eine direkte Rückmeldung. Derzeit scheint es beim #1 aber ein Problem mit dem Sicherheitsgurt auf der Rückbank zu geben, wie die Kollegen des finnischen Magazins Tekniikan Maailma am Freitag berichten. Bei einem Spurwechseltest löste sich bei vollbesetzter Rückbank der Gurt auf der linken Seite. Der Hersteller kündigte eine Untersuchung an.
Und wie schaut es mit dem Verbrauch aus? Den WLTP-Wert von 16,8 kWh/100 km haben wir zwar nicht erreicht, doch bei den Testfahrten von Berlin nach Leipzig haben wir ihn im Eco-Modus mit 18,1 kWh/100 km bewegt. Ein guter Wert, der sich in der Stadt sogar bei knapp über 13 kWh bewegt. Mit dem kombinierten Verbrauchswert kamen wir mit der 66 kW starken Batterie zwar nicht auf eine Reichweite von 440 Kilometer (WLTP), aber rund 350 Kilometer sind damit ohne Weiteres möglich. Das ist für ein Auto mit dieser Leistung und Gewicht mehr als akzeptabel.
Gute Ladeperformance
Eine gute Performance zeigte der #1 beim Laden. An einer Schnellladestation lud er kurzzeitig für einige Minuten sogar bei einem SOC von sechs Prozent bei vorkonditionierter Batterie mit 154 kW. Das sind 4 kW mehr als die ausgewiesene Ladeleistung. Mit ihr lässt sich der Akku von 10 auf 80 Prozent in weniger als 30 Minuten wieder aufladen. Damit erweist sich der #1 auch als Fahrzeug, mit dem man auch auf die Langstrecke gehen kann.
Wer Lust bekommen hat, einen #1 zu fahren, der muss aber auch zahlungsbereit sein. Unser Testwagen steht mit 44.990 Euro in der Preisliste. Dafür bekommt man dann aber auch ein bereits gut ausgestattetes Fahrzeug wie beispielsweise mit einem Panorama-Glasdach, elektrisch einstell- und beizbaren Sitzen und einer Wärmepumpe. Auch wenn der #1 nur noch wenig mit der Ursprungsidee von Smart zu tun hat, vermag das deutsch-chinesische E-SUV zu überzeugen. Nun muss man die Kundinnen und Kunden nur noch dazu bringen, beim Gedanken an Smart nicht an den Fortwo zu denken und sich offen für Neues zu zeigen. Es hilft ja nichts, vergangenen Zeiten nachzutrauern.