Das Luxus-Cabrio Bentley Continental GTC Speed ist auf deutschen Straßen ein Exot. Erst recht, wenn man sich damit außerhalb des üblichen Oben-ohne-Kalenders von Mai bis August bewegt.
Von Axel F. Busse
Skat-Spieler lassen sich nur ungern in die Karten schauen. Doch in seltenen Fällen legen sie ihr Blatt auch offen auf den Tisch - dann, wenn es besonders stich-haltig ist. Solche Ausnahmen kennt auch das diskrete Geschäft mit Luxusfahrzeugen. Die Klientel bevorzugt meist die Anonymität abgedunkelter Scheiben, doch zur entspannten Gleitfahrt - zum Beispiel in den Bergen an der Cote d'Azur - werden in Modellen wie dem Bentley Continental GTC Speed auch mal Blicke herein gelassen und das Cabriodach geöffnet.
Ein Exot
Im deutschen Verkehrsalltag kommt das seltener vor. Dort ist das Luxus-Cabrio ein Exot. Erst recht, wenn man sich damit außerhalb des üblichen Offenfahr-Kalenders von Mai bis August bewegt. Es ist bedeckt, die Luft alles andere als lau und man trifft, anders als an der französischen Mittelmeerküste, reihenweise Menschen, die sich für die Verwendung von mehr als 220 000 Euro durchaus etwas anderes vorstellen könnten als die Anschaffung eines Autos. Doch ebenso wie mit einem gut bestückten Skatblatt lässt es sich auch hier mit dem Bentley trefflich reizen.
Besonders die mit dem Namenszusatz «Speed» versehenen Modelle bieten die Chance zu scharfer Differenzierung auf höchsten Niveau. Jedes der 50 PS, die ein Speed mehr als die «normalen» Varianten der Continental-Baureihe hat, ist zum Beispiel beim Cabrio mit rund 500 Euro extra zu vergüten. Außer durch die Extra-PS zeichnet sich der GTC Speed durch eine tiefer gelegte Karosserie, größere Lufteinlässe, eine dezente Spoilerlippe vorne und hinten, 20-Zoll-Aluräder sowie Bremsscheiben aus Carbon-Keramik-Verbundstoff aus. Noch edleres Innendekor erfreut das Auge, wobei den Individualisierungswünschen der solventen Kundschaft allenfalls technische Grenzen gesetzt sind.
Mondäner Charme
Mehr noch als die Continental-Schwestermodelle verströmt die Karosserie des GTC einen mondänen Charme und eine wärmende Harmonie. Die wie bei einem Bootsrumpf sich verjüngenden Wölbungen auf Motorhaube und Kofferraumdeckel geben dem 4,80 Metern langen 2,5-Tonner eine spielerische Leichtigkeit. Das dreilagige Stoffverdeck spannt sich nicht nur über vier Ledersessel mit einer Karo-Steppung, sondern auch über eine 90-jährige Firmenhistorie, für die überbordende Leistung ebenso kennzeichnend ist wie Luxus und Eleganz.
Außer Zweifel dürfte stehen, dass ein bewegliches Dach das Wichtigste an einem Cabrio ist. Gemessen daran ist der winzige Hebel, der zum Öffnen und Schließen dient, allzu minimalistisch ausgefallen. Es ist zwar nicht versteckt angebracht, dürfte aber seiner Bedeutung für das Gesamtfahrzeug entsprechend ruhig etwas größer sein. Bedenken, ihn zu betätigen, befallen einen weder im Spätherbst, noch im Frühjahr, denn ein starkes Warmluftgebläse, gekoppelt mit Sitzheizungen von der Leistungskraft eines Baustellenradiators, machen die Insassen von Wettereinflüssen weitgehend unabhängig.
Traditionell sitzt das Bentley-Zündschloss links vom Lenkrad. Aber der Schlüssel bleibt natürlich in der Tasche, denn die in W-Form ineinander verschobenen Zylinderreihen und das Turbo-Duett werden mittels Starterknopf zum Klingen gebracht. Der Bentley klingt am besten, wenn er aus den Tiefen des Drehzahlkellers gemächlich und ohne Gangwechsel Fahrt aufnehmen darf.Aus den ovalen Endrohren vom Durchmesser mittlerer Orgelpfeifen entweicht dann ein Ehrfurcht gebietendes Grollen, dessen dunkle Klangfärbung fast so viel Genuss verschaffen kann wie eine Bach-Kantate aus der 1 100-Watt-Anlage des bordeigenen Soundsystems.
96 Tasten
Was der GTC an Fahr-, Sitz-, Unterhaltungs- und Bedienkomfort bietet, ist anschaulich mit der Zahl von 96 Tasten, Knöpfen, Schaltern und Reglern zu illustrieren, die der Fahrer in seiner Reichweite manipulieren kann. Lediglich bei der Nutzung des Navigationssystems wird er sich möglicherweise wünschen, in einem anderen Erzeugnis des VW-Konzerns zu sitzen, den inzwischen bietet jeder Golf oder Passat eine übersichtlichere Kartengrafik und eine schnelle Umschaltung beim Maßstabwechsel.
Die Fahrleistungen des Bentley können sich mit denen eines reinrassigen Sportwagens messen. Den Standardsprint von Null auf Hundert erledigt der GTC Speed in unter fünf Sekunden, die Höchstgeschwindigkeit beträgt 322 km/h. Die Lenkung ist direkt und griffig, erinnert eher an ein Sportcoupé als an ein Luxus-Cabrio. Die nicht zu unterschätzenden Masse des 2+2-Sitzers macht sich allenfalls beim Versuch bemerkbar, in zügigem Tempo eine Folge von spitzen Kehren geschmeidig zu durchmessen. Spaß- und Haftungsgrenze bleiben jedoch sicher außer Reichweite, dafür sorgen die elektronischen Helferlein der Fahrwerksregelung wie des Allradantriebs. So bewegt sich das Wohlbefinden des GTC-Speed-Fahrer konstant auf dem Niveau eines Skatspieler beim Grand Ouvert mit Vieren.
Zwar mag der gemeine Bentley-Kunde ein notorischer Kostenverächter sein,ein Fahrbericht darf die Aspekte von Ökonomie und Ökologie schon aus professionellen Gründen nicht komplett ausblenden. Aber ebenso wie der Begriff «teuer» ist auch die Eigenschaft «sparsam» relativ. Sechs Lite Hubraum und 610 PS sind relativ viel, davon ließen sich drei VW Golf GTI bestücken. Die würden aber in der Summe und nach EU-Norm 21,9 Liter Super je 100 Kilometer schlucken, dagegen erscheinen die 17,8 Liter, die der englische Landlord sich im Testbetrieb gönnte, relativ genügsam. (mid)