Nissan Ariya: Ein nahezu stimmiger Stromer

Nissan Ariya: Ein nahezu stimmiger Stromer
Den Nissan Ariya gibt es auch mit Allradantrieb. © Nissan

Nissan hat mit dem Ariya endlich wieder ein moderne Elektroauto im Angebot. Optional ist es auch mit Allrad erhältlich.

In seiner Geschichte hat Nissan bei neuen Technologen eher selten die Standards gesetzt. Die Marke stand lange Zeit für Solidität, gute Verarbeitung und zurückhaltendes Design, immer mal wieder wurden aber auch Highlights gesetzt, wie etwa mit dem Super-Sportwagen GT-R.

Bei der Elektromobilität waren die Japaner aber von Beginn an vorn dabei und offerierten mit dem heute in zweiter Generation immer noch angebotenen Leaf schon 2010 das erste einigermaßen erschwingliche E-Autos für den Volumenmarkt. Allerdings ging der elektrische Schwung danach verloren, lange Zeit kam im Pkw-Bereich nicht viel nach. Seit einem knappen Jahr hat Nissan nun den größeren Ariya im Angebot und es stellt sich die Frage: Kann das Modell von der langjährigen Erfahrung der Marke in Sachen E-Mobilität profitieren?

Starke Konkurrenz in der Mittelklasse

Der Ariya tritt an in der gut gefüllten elektrischen SUV-Mittelklasse, mithin gegen Konkurrenten wie den Hyundai Ioniq 5 oder auch den Ford Mustang Mach-E. Mit 4,60 Meter hat er ein für dieses Segment klassisches Längenmaß und bietet durch den Bauraumvorteil eines Elektromotors gegenüber einem Verbrenner sehr viel Platz, was sich vor allem auf den hinteren Sitzen bemerkbar macht. Hier reisen zwei Erwachsene geradezu fürstlich.
Ähnlich luftig geht es vorne zu, im selbst zwischen den Vordersitzen komplett leeren Fußraum sogar verschwenderisch. Der Kofferraum fasst 468 Liter, das ist viel, Wettbewerbsmodelle packen aber mehr.

Der Nissan Ariya wird nun auch mit Allrad angeboten. Foto: Nissan

Das Design ist, auch dies keine Besonderheit bei Elektroautos, eher futuristisch, die Front fällt vielleicht zu bullig aus. Insgesamt wirkt das Fahrzeug ein wenig hochbeiniger, als es tatsächlich ist. Und natürlich fällt die Dachsäule nach hinten „coupéartig“ ab, eigentlich wäre beim heutigen Design-Mainstream eher das Gegenteil einer Erwähnung wert gewesen. Folge: Der Zustieg nach hinten könnte komfortabler ausfallen.

Auch mit Allrad

Wie üblich in dieser Klasse gibt es auch den Ariya mit einem oder zwei Elektromotoren, was dann einen Allradantrieb ergibt. Wer nicht unbedingt über 300 PS benötigt, um glücklich zu werden, und wer nicht in schnee- und eisreichen Gefilden lebt, kommt mit der frontgetriebenen Version bestens zurecht, auch wenn es bei Nässe schon mal kurzzeitig zu leichten Traktionsproblemen kommen kann.

Wir entschieden uns folgerichtig für diese Motorisierung. Allerdings – und das ist beileibe nicht üblich – bietet Nissan auch diese Version schon mit zwei Batterien an, mit 63 oder mit 87 kWh nutzbarem Energieinhalt. Wir raten, wenn es nicht auf den letzten Euro ankommt, unbedingt zum größeren Akku. Der Unterschied ist nicht nur in der Theorie, 404 vs. 536 Kilometer Reichweite, sondern vor allem in der Praxis beträchtlich. Bei vollem „Tank“ sind über 400 Kilometer Realreichweite locker drin, ohne dass man sich auf der Autobahn allzu sehr bescheiden muss. Das beruhigt einerseits und steigert zudem den Fahrspaß. Die große Batterie täuscht allerdings darüber hinweg, dass der Durchschnittsverbrauch mit rund 22 kWh (ohne Ladeverluste) zu hoch lag, obwohl eine Wärmepumpe serienmäßig an Bord ist und den Heiz-Verbrauch verringert.

Laden mit bis zu 130 kW

Ein weiterer Nachteil tritt zutage, wenn man es mal eilig hat. Zwar lädt der Ariya AC mit bis zu 22 kW, was in Ordnung ist, am Schnelllader sind es aber vergleichsweise dürftige 130 kW, und selbst die haben wir im Test nicht erreicht. Hey Nissan: Das wäre doch was für die erste Modellpflege, oder?

Wie viele, aber beileibe nicht alle Fahrzeuge in dieser Klasse gleitet der Ariya leise und ruhig dahin. Das Fahrwerk wirkt aber komfortabler als bei vielen Wettbewerbern aus Fernost, bügelt Bodenwellen und Löcher im Asphalt souveräner aus; hier merkt man die Erfahrung der Nissan-Ingenieure bei der Abstimmung eines immerhin über 2 Tonnen schweren Fahrzeugs.

Gelungener Innenraum

Das Cockpit des Nissan Ariya ist übersichtlich gestaltet. Foto: Nissan

Als sehr gelungen darf man auch den Innenraum bezeichnen. Nicht nur scheint die Material- und Verarbeitungsqualität hoch zu sein, auch die Bedienung gibt größtenteils keine Rätsel auf. Zudem finden wir Direktzugriffe auf wichtige Funktionen wie etwa die Klimatisierung und – Achtung Volkswagen! – sogar eine innovative Lösung zur Regulierung der Lautstärke: einen einfachen Drehregler.

Die Erfahrung der Marke mit Elektroautos sind dem Ariya in vielen Bereichen anzumerken. Wer nicht zaubern kann, das sind allerdings die Nissan-Buchhalter. So schlägt unter anderem die in der Praxis segensreiche große Batterie auf den Preis durch. Fast 60.000 Euro werden insgesamt fällig, immerhin ist die Ausstattung dann schon okay und beinhaltet Dinge wie Navigation, das 12,3-Zoll-Farbdisplay, Kunstledersitze, Klimaautomatik und Sitzheizung vorne. Immer inkludiert ist auch das sogenannte Advance-Pack mit induktivem Smartphone-Ladegerät, elektrischer Heckklappe, 360-Grad-Umgebungsüberwachung und Pro-Pilot, unter anderem für autonomes Fahren im Stau.

Trotzdem, der Preis ist heftig und bleibt neben den nicht zufriedenstellenden Schnellladefähigkeiten und dem zu hohen Realverbrauch das größte Manko beim neuen Ariya, der ansonsten – von persönlichen Designgeschmäckern mal abgesehen – ein rundum gelungenes Beispiel für ein modernes E-Auto ist. (SP-X)

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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