Nio ET7: Konkurrent fürs Establishment

Nio ET7: Konkurrent fürs Establishment
Der Nio ET7 ist das Flaggschiff der Marke. © Nio

Die deutschen Premiummarken Audi, BMW und Mercedes haben Konkurrenz bekommen. In der Oberklasse buhlt nun der Nio ET7 mit um Kunden.

Mit dem Nio ET7 gibt es jetzt eine luxuriöse und rein elektrisch angetriebene Alternative zu den E-Modellen der deutschen Herstellen aus China. Die Limousine ist nicht nur groß und lokal emissionsfrei. Sie ist außerdem edel ausgestattet, innovativ und komfortabel, was sie zu einem ernsten Konkurrenten fürs deutsche Establishment macht. Trotz oder vielleicht auch wegen einiger Schrullen.

Zu diesen zählt zum Beispiel „Nomi“. Wie es sich für ein China-Auto gehört, hat der ET7 einen animierten Sprachassistenten an Bord, der genau zuhört, sobald das Kommando „Hey Nomi“ ertönt. In der Armaturenbrettmitte regt sich dann ein kleines kreisrundes Display, welches sich mit „lächelndem Gesicht“ der fragenden Person zuwenden kann.

Nomi strapaziert die Nerven

Die freundlich-aufgeweckte Stimme einer jungen Frau grüßt sogleich mit einem „Hallo, was kann ich für Dich tun?“. Anschließend kann man sich einen neuen Radiosender, ein Navigationsziel oder eine Sitzmassage wünschen. Nomi setzt in den meisten Fällen die Anweisung um. Sollte etwas nicht klappen, verspricht Nomi, zu lernen.

Wenige Schalter, viel Display – der Arbeitsplatz des NIo ET7 mit Nomi aufd er Mittelkonsole. Foto: Nio

Nomis aufmerksame Art passt allerdings nicht immer und nicht jedem ins Konzept. Dem Sohnemann im Vorschulalter war das aufgeweckte Köpfchen ein wenig unheimlich. Und wenn bei einer Autobahnfahrt beim Fahrer die Konzentration nachlässt, nervt Nomi mit der sich in kurzer Zeit wiederholenden Aufforderung, doch bitte auf den Verkehr zu achten.
Die penible Fahrerüberwachung mag der Sicherheit zuträglich sein, doch uns stand der Sinn nach mehr Laissez-faire. Auch die automatisierten Fahrhilfen regelten nach unserem Geschmack zu streng und nicht ausreichend auf das Verkehrsgebaren auf deutschen Autobahnen abgestimmt. Ist der Abstandstempomat aktiv, checkt dieser – von Pieptönen begleitet – bei jedem Spurwechsel aus und wieder ein. Neben kurzzeitigem Tempoabfall nervten bei dichtem Verkehr außerdem die vielen Signalgeräusche vom Bordsystem.

Teils rabiate Lenk- und Bremseingriffe

Lästig waren auch die zum Teil rabiaten Brems- sowie Lenkeingriffe des Spurhalteassistenten. Von falsch interpretierten Tempolimits ganz zu schweigen. Statt sich weiter bevormunden zu lassen, haben wir auf manuellen Fahrbetrieb umgestellt.

Nio ist in Deutschland neu und die Regelsysteme noch nicht optimal auf den hiesigen Verkehr abgestimmt. Man darf jedoch guter Dinge sein, dass kommende Updates hier Besserungen mit sich bringen. Auch für Autos, die bereits unterwegs sind. Zukunftsfest ist der Nio ET7 auch hinsichtlich seiner Sensorik, die neben Kameras und Radar außerdem ein Lidar umfasst. Sofern die Gesetze dies irgendwann erlauben, soll diese Technik im Zusammenspiel mit einem leistungsfähigen Rechner den Stromer in die Lage versetzen, jenseits von Level 2 hochautomatisiert fahrend den Fahrer von seinen eigentlichen Aufgaben zu entlasten.

Schneller Akku-Wechsel

Schon weiter ist Nio beim Thema Akkuwechsel, denn in Deutschland ist bereits eine Handvoll Wechselstationen im Betrieb. Mehr sollen kommen. Statt langer Ladestopps können Nio-Kunden hier ihre mehr oder weniger leere gegen eine volle Batterie tauschen. Das Prozedere ist vollautomatisch und dauert wenige Minuten. Selbst im Vergleich zum klassischen Betanken mit Treibstoff lässt sich Zeit sparen, um Energie für mehrere hundert Kilometer aufzunehmen.

Obwohl der ET7 ein für seine Klasse durchaus genügsames Auto ist, blieben die von Nio in Aussicht gestellten 580 WLTP-Kilometer im Autobahnbetrieb unerreichbar. Auf unseren Touren schwebten wir vorwiegend mit Tempo 130 im Eco-Modus dahin. Bei aktivierter Klimaanlage und vorsommerlichen Temperaturen reichten dafür 23 kWh pro 100 Kilometer, knapp über dem Normwert von 19,3 – 22,3 kW/h.

400 Kilometer Reichweite realistisch

Mit Sicherheitspuffer sollten also 400 Kilometer am Stück problemlos möglich sein. Allerdings war die 100-kWh-Batterie aufgrund einer Schonsperre nur zu 90 Prozent befüllbar, weshalb sich der praktische Langstreckenradius auf etwas unter 400 Kilometer verkürzte. Für 330 Kilometer lange Touren zwischen Köln und Bremen reichte die Tankfüllung dennoch locker.

Soll es weiter gehen, kann man halbwegs flott nachladen. Wie schnell man an Schnellladesäulen tankt, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Zwischenzeitlich waren die beim ET7 maximal möglichen 130 kW Ladeleistung abrufbar. Bei einem Zwischenstopp ließen sich so innerhalb von knapp über 20 Minuten 200 Kilometer nachtanken. Ein vollständiges Befüllen von 3 auf 90 Prozent hat sich hingegen über 80 Minuten hingezogen. Noch deutlich mehr in die Länge zieht sich das AC-Laden, das auf 11 kW begrenzt ist.

Ausreichend Leistung vorhanden

Je nach Fahrweise und Stromquelle können die Energiekosten stark variieren. Wird Hausstrom für rund 40 Cent pro kWh getankt und der ET7 sparsam bewegt, bleiben die Energiekosten für 100 Kilometer unter 10 Euro. Wer aufs Tempo drückt und unterwegs an Schnellladern tankt, kann die Kosten auf 20 Euro und darüber treiben.

Für eine zügige Fahrweise bietet der ET7 jedenfalls Potenzial. Zwei Motoren gibt es, die im Duett 654 PS sowie 850 Newtonmeter in den Vortrieb werfen und den 2.4-Tonner mit viel Traktion in 3,8 Sekunden auf Tempo 100 sowie auf maximal 200 km/h anschieben. Fast schon als brutal erlebt man den Vorwärtsdrang im Sport+-Modus, der außerdem für eine deutliche Straffung von Fahrwerk und Lenkung sorgt.

Komfortables Fahrwerk

Dann wird aus der Sänfte ein wildes Tier, das jedoch auf martialische Klangwelten verzichtet. Der Wagen liegt selbst bei Topspeed vertrauenerweckend auf dem Asphalt. Durchaus spaßbetont kann man mit ihm durch Kurven räubern. Seine wahre Bestimmung ist es jedoch, im Komfort-Modus nahezu lautlos dahinzugleiten. Das Luftfahrwerk egalisiert effektiv Höhenunterschiede zwischen Fahrzeug und Asphalt, die Sitze massieren die Insassen, die im Fond zudem eine enorme Beinfreiheit und dank Panoramaglasdach und Akustikverglasung einen himmlischen Ausblick sowie himmlische Ruhe genießen.

Der Nio ET7 wartet mit einigen schicken Details wie bündigen Türgriffen auf. Foto: Nio

Rund 70.000 Euro kostet der ET7, sofern er ohne Batterie gekauft und der Stromspeicher gemietet wird. Die bereits ordentlich dimensionierte 75-kWh-Variante kostet 170 Euro/Monat. Für die 100-kWh-Version sind es 120 Euro mehr. Mit der Miet-Option bleibt das Bauteil Akku risikofrei, die jährliche Mietkosten betragen allerdings rund 2000 beziehungsweise 3500 Euro. Für ihren Kauf werden 12.000 bzw. 21.000 Euro fällig.

Ansonsten zeichnet sich der ET7 durch eine umfangreiche Serienausstattung aus, die Allradantrieb, Soundsystem, Massagefunktion auf allen Sitzen, ein großes Panorama-Glasdach, 20-Zoll-Räder, ein Riesentouchscreen fürs Infotainmentsystem, Head-up-Display, die umfangreiche Sensorik, Akustikverglasung und Luftfahrwerk umfasst. Angesichts dieser Serienausstattung und einer für die Fahrzeugklasse angemessenen Qualität bei Materialien und Verarbeitung ist der ET7 eine gute und außerdem günstige Alternative zur etablierten Oberklasse-Mitbewerbern von Mercedes oder BMW. (SP-X)

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