Mercedes X-Klasse: Premium für die Arbeiterklasse

Marktstart am 4. November

Mercedes X-Klasse: Premium für die Arbeiterklasse
Die Mercedes X-Klasse will Premium ins Pick-up-Segment bringen. © Daimler

Es hat gedauert, doch nun bietet auch Mercedes mit der X-Klasse einen Pick-up an. Mit ihm will man Premium in ein Segment bringen, in dem bislang andere Aspekte im Vordergrund standen. Kann das gelingen?

Von Frank Mertens

Natürlich sei dies ein richtiger Mercedes. Dass sich die neue X-Klasse die Plattform mit dem Nissan Navara teilt, ändere daran nichts, sagt Volker Mornhinweg, der Van-Chef von Mercedes. „Fahren Sie die X-Klasse und Sie wissen, was ich meine.“

Mornhinweg will erst gar keine Missverständnisse aufkommen lassen, dass dieser Pick-up nur mit optischen Retuschen zu einem Mercedes aufgepimpt wurde. Doch wie viele neue Teile die X-Klasse im Vergleich zum Nissan mitbekommen hat, dazu will der Van-Chef nichts Genaues sagen. „So etwas zählen wir nicht durch.“

Mehr als nur ein reines Arbeitsgerät

Mornhinweg verweist bei der Fahrpräsentation in Chile lieber darauf, dass man an vielen Stellen die Stellschraube angesetzt habe, um den Kunden ein Premium-Angebot im Pick-up-Segment zu machen. So hätte man beispielsweise nicht nur die Spurweite erweitert, sondern auch das Fahrwerk deutlich modifiziert.

Doch Premium und Pick-up – schließt nicht das eine das andere aus? Schließlich gelten Pick-ups als reine
Arbeitstiere. Sie müssen nicht nur robust sein und über gute Offroad-Qualitäten verfügen, sondern vor allem eine hohe Zugkraft und viel Zuladungsmöglichkeiten mitbringen. Schickes Design und ein wertiger Innenraum dürften bei den Kunden eher nachgeordneter Bedeutung sein. Keineswegs, ist man bei Mercedes überzeugt. „Immer mehr Kunden wollen sich auch im Pick-up-Segment mit ihrem Fahrzeug abheben. Sie nutzen es nicht mehr nur als reines Arbeitsgerät, sondern wünschen sich deutlich mehr Komfort. Sie sind mit dem Pick-up auch privat mit der Familie unterwegs“, sagt Marion Friese, die bei Mercedes-Vans das Marketing verantwortet.

Mercedes will neue Zielgruppen ansprechen

Der Innenraum der Mercedes X-Klasse
Premium im Innenraum der X-Klasse Daimler

Mit der X-Klasse will Mercedes dann auch nicht weniger versuchen, als die festgefahrenen Pfade der Pick-up-Welt neu zu definieren. Sprich: Zu den Stärken als Arbeitsgerät will man Fahrdynamik, Komfort, ein ansprechendes Design und Sicherheit ins Segment bringen. Damit soll die bisherige Zielgruppe eines Pick-ups um solche Käufer erweitert werden, die ein solches gerade in Südamerika, Südafrika, Australien und Neuseeland beliebtes Fahrzeug zu mehr als nur zu Arbeitszwecken nutzen wollen. So hätte man mit der X-Klasse beispielsweise „premiumaffine Familien“ ebenso im Blick wie „Kunden, die damit ihr Sportgerät transportieren wollen“, wie Friese hinzufügt.

Der Pick-up-Markt biete dazu das Potenzial, ist man sich bei den Schwaben sicher. So werde der globale Pick-up-Markt von derzeit 2,2 Millionen Einheiten bis 2026 um eine Million Einheiten steigen. Während in Deutschland dieses Segment nur eine nachgeordnete Rolle spielt, sieht man Fahrzeuge mit Ladefläche in Südamerika quasi so häufig wie bei uns einen VW Golf. In Argentinien beispielsweise ist jedes fünfte Fahrzeug ein Pick-up.

Mornhinweg zufrieden mit Bestelleingängen

An diesem Wachstum will nun auch Mercedes teilhaben. „Mit den Bestelleingängen sind wir sehr zufrieden“, sagt Mornhinweg. Konkreter mag er indes nicht werden. Ebenso wenig will er etwas zur Absatzerwartung der X-Klasse sagen. „Fragen Sie mich das bitte in einem Jahr.“ Den Marktstart in Europa wird die X-Klasse am 4. November feiern. Der Einstiegspreis in Deutschland beginnt dann bei 37.294 Euro. Die Märkte in Südafrika und Australien folgen Anfang kommenden Jahres, Argentinien und Brasilien Anfang 2019.

Doch kommen wir nun dazu, wozu Mornhinweg geraten hat: die X-Klasse zu (er)-fahren. Hält sie den Premiumanspruch, den Mercedes verspricht? Fangen wir im Innenraum an: das Cockpit, das freischwebende Zentraldisplay, die Zierleisten und die Qualität des Dachhimmels erinnern wie das Lederlenkrad (leider nur in der Höhe verstellbar) und der Lederschaltknauf wie die gut konturierten Sitze an das Ambiente aus dem Pkw-Bereich. Mit Blick auf die Anmutung des Innenraums kann man der X-Klasse attestieren, sich von den Konkurrenten abzuheben – auch vom Navara. Aber das muss sie auch: denn der Nissan startet bereits bei rund 27.000 Euro.

Wenn es denn etwas gibt, was den Premium-Eindruck beeinträchtigt, ist es der vor dem Beifahrersitz angebrachte Feuerlöscher. Er ist schlicht ein Störfaktor. Da dürfte es den Kunden wenig interessieren, dass er im Innenraum der Doppelkabine (ein Single Cab ist nicht vorgesehen) an keiner anderen Stelle hätte positioniert werden können. Auf der Rückbank können drei Personen übrigens recht kommod sitzen.

1,1 Tonnen Zuladung möglich

Die Ladefläche, die für das Gros der Pick-up-Kunden natürlich besondere Relevanz genießt, hat eine Länge von 1,59 Metern, eine Breite von 1,56 Metern und eine Höhe von 47,5 Zentimetern. Oder anders ausgedrückt: Das reicht bei einer Nutzlast von 1,1 Tonnen für den Transport von 50 Liter-Bierfässern, wie Mercedes berechnet hat. Die Zugkraft der X-Klasse liegt bei 3,5 Tonnen, was das ziehen einer Acht-Meter-Yacht oder eines Anhängers mit drei Pferden ermöglicht (falls sie das eine oder andere besitzen sollten). Natürlich bietet Mercedes auch das entsprechende Zubehör für die Ladefläche an. Von Chrombügeln, über ein Canopy (einen geschlossener Aufbau) bis hin zu unterschiedlichen Abdeckungen (Roll- und Hardcover) kann der Kunde dieses Premium-Pick-up weiter aufpeppen und seinen persönlichen Bedürfnissen anpassen.

Die Ladefläche lässt sich serienmäßig übrigens beleuchten: so befinden sich in der Bremsleuchte LED-Lichter, die über einen Schalter in der Mittelkonsole bedient werden können.

Und wie fährt sich die neue X-Klasse? Gut, erstaunlich gut sogar - und das sowohl auf der Straße als auch im Gelände. Wir waren bei den Testfahrten mit dem X 250 d mit 190 PS unterwegs. Zum Marktstart wird es auch noch den X 220 d (163 PS) geben, ehe Mitte 2018 ein Sechszylinder-Diesel mit 258 PS und einem Drehmoment von 550 Nm, permanenten Allradantrieb und einer 7-Gang-G-Tronic folgt. Viel weniger als den von uns getesteten 190 PS-Motor im X 250 d sollte man sich nicht zumuten. Denn ein Auto mit einem Lebendgewicht von fast 2,3 Tonnen und einer Länge von 5,34 Metern will man schließlich auch einmal etwas flotter auf Touren bringen. So vergehen 11,4 Sekunden (beim manuellen Sechsganggetriebe sind es 10,9 Sekunden) bis Tempo 100, die Höchstgeschwindigkeit ist bei 179 km/h erreicht. Die beiden zum Marktstart erhältlich Diesel sind übrigens mit reinem Hinterrad- und zuschaltbaren Allradantrieb und im Falle des von uns gefahrenen X 250 d mit 7-Gang-Automatik zu bestellen.

X 250 d bei Überholvorgängen bemüht

Das Heck der Mercedes X-Klasse
Die X-Klasse auf unbefestigtem Weg Daimler

Der X 250 d hinterlässt trotz seines bei Überholvorgängen bemüht wirkendem Vierzylinder-Motors einen guten Eindruck. Denn am Ende kommt es bei einem Pick-up ja nicht auf Sportlichkeit an - wer das will, für den ist der V6 das richtige Aggregat - sondern auf seine Allroundfähigkeiten und einen kraftvollen Antritt. Und die bietet diese X-Klasse sowohl auf der Straße als auch im Gelände dank eines maximalen Drehmoments von 450 Nm (liegt zwischen 1500 und 2500 Touren an). Bei den Testfahrten zeigte sich der Vierzylinder-Diesel übrigens erstaunlich genügsam. Der durchschnittliche Verbrauch lag bei 7,8 Litern, ein guter Wert für ein solches Fahrzeug.

Mit seinem Radstand von 3,15 Metern und einer Breite von 1,92 Metern liegt die X-Klasse dabei satt auf der Straße und lässt sich auch einmal schneller durch die Kurven lenken. Da gibt es wenig zu beanstanden. Insbesondere zeigt dieses Pick-up aber im Gelände seine Stärken. Hier lässt er sich Offroad ziemlich souverän durch Flussdurchfahrten oder durch tiefe Spurrinnen im Gelände lenken. Das macht Spaß - und zeigt, dass die X-Klasse den Spagat ziemlich gut hinbekommt, sich mit seinem Auftritt als Lifestyle-Vehicle als auch als Arbeitsgerät zu positionieren. Nun bleibt abzuwarten, ob die Kunden auch im Pick-up-Segment bereit sind, sich Premium leisten zu wollen.

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Frank Mertens
Nach dem Studium hat er in einer Nachrichtenagentur volontiert. Danach war er Sportjournalist und hat drei Olympische Spiele begleitet. Bereits damals interessierten ihn mehr die Hintergründe als das Ergebnis. Seit 2005 berichtet er über die Autobranche.

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