Der Lucid Air ist eine leistungsstarke Elektro-Limousine. So beeindruckend die Leistung, sind auch die Abmessungen.
„Was habt ihr denn da schon wieder für einen China-Kracher?“ Ja, die Nachbarschaft sortiert längst jedes Auto einer unbekannten Marke als dem Reich der Mitte zugehörig.
Aber das hier ist kein weiteres Fahrzeug aus der Welt von Geely, BYD oder MG. Dies ist ein Lucid, ein Elektroauto aus den USA, auch wenn der saudi-arabische Public Investment Fond inzwischen die Mehrheit am Unternehmen hält.
Seit einem Jahr in Deutschland
Der Lucid Air ist eine schicke Limousine der Elektro-Oberklasse. Ihren ansprechend modellierten, auf knapp 5 Meter Länge verteilten Formen sieht man nicht an, dass die Weltpremiere des Autos schon fast drei Jahre zurückliegt, das Design sogar noch etwas älter ist. Was auch damit zu tun haben könnte, dass Lucid in Deutschland erst seit einem Jahr am Start ist und bisher nur wenige Fahrzeuge zugelassen wurden.
Inzwischen gibt es den Air mit verschiedenen Motorleistungen in der unglaublichen Bandbreite von 487 bis 1251 PS. Wir ließen uns den Touring anliefern, mit 629 PS der „zweitschwächste“ im Elektrolimousinen-Sextett. Mit 1.000 Newtonmeter Drehmoment, 3,6 Sekunden Spurtzeit und 225 km/h Spitze ist man damit immer aber noch weit mehr als ausreichend motorisiert.
Allrad sorgt für souveräne Fahrdynamik
Die Fahrleistungen sind so unspektakulär schnell, wie man es von hoch motorisierten Autos dieser Klasse gewöhnt ist. Der Wagen liegt ruhig und souverän auf der Straße, auch mit sehr schnell gefahrenen Kurven kommt das immer 2,5 Tonnen schwere Fahrzeug gut zurecht. Der Allradantrieb leistet hier gut Dienste, zudem haben die Lucid-Ingenieure das Fahrgewicht gekonnt hälftig auf die Achsen verteilt. Die Bremsen sind gut, könnten aber noch eine Idee griffiger zupacken.
Zupacken muss man auch am Lenkrad, vor allem in Engstellen. Der Lucid misst mit Außenspiegeln 2,20 Meter (!), das macht die Fahrt in der Autobahnbaustelle nicht gerade zum Vergnügen. Hier merkt man spätestens, dass die Limousine aus dem Land der großen Autos und außerhalb der Metropolen auch meist großzügigen Parkplätze kommt. Das Abstellen, genauer gesagt der Ein- und Ausstieg, in einem normalen deutschen Parkhaus kann dagegen schon mal zum Problem werden. Hinzu kommt ein sicher auch dem Allradantrieb geschuldeter großer Wendekreis, der die Agilität in der Stadt weiter einschränkt.
Grundpreis liegt bei 99.000 Euro
Der Lucid sieht nicht nur von außen gut aus, von vorn sogar fast schon ein wenig futuristisch, er setzt dies zu unserer Überraschung auch im gänzlich unamerikanisch wirkenden Innenraum fort. Dort findet der Fahrer ein unaufgeregtes, aufgeräumtes Cockpit mit einem langgestreckten, zur Seite schmaler werdenden Bildschirm, der dadurch anders als bei Wettbewerbern nicht klotzig wirkt. Der Preis dafür ist, dass man viele Dinge, wie etwa die Außenspiegel, nur digital über den mittleren Screen einstellen kann. Erstaunlich übrigens, dass das im Grundpreis 99.000 Euro teure Fahrzeug kein Head-up-Display hatte.
Einer besonderen Erwähnung wert ist der Verbrauch. Der Normwert von 14,1 bis 16 kWh mutet für ein solch großes und schweres Fahrzeug bereits derart untertrieben an, dass man es kaum glauben mag. Im Gegensatz zu vielen anderen Elektroautos hält der Lucid aber einen Großteil seines Verbrauch-Versprechens tatsächlich ein. Wir kamen mit teils forcierter, teil gemütlicher Fahrweise auf einen Wert von unter 19 kWh. Dank der 92 kWh großen Batterie kann man den Fünfsitzer nach Abzug einer Sicherheitsmarge real also zwischen zwei Ladestopps 400 bis 450 Kilometer weit bewegen. Auch das ein im Wettbewerbsvergleich hervorragender Wert. Nachgeladen wird an der Wallbox bis 22 kW, DC-Laden klappt mit bis zu 250 kW, knapp über 200 waren es in der Spitze bei uns.
627 Liter Kofferraumvolumen
Was nun spricht für die Anschaffung eines Lucid Air? Hier wären aus Sicht der Tester das tolle Design, der fein ausstaffierte Innenraum – der reichliche Platz vorn wie hinten und im Kofferraum (627 Liter) bietet – sowie der starke und relativ sparsame Antrieb zu nennen. Auch der Preis des Testwagens, mit einigen Extras letztlich 125.000 Euro, ist im Vergleich zu ähnlich großen und starken Fahrzeugen nicht unverschämt. Auf der Minusseite stehen neben der teils umständlichen Bedienung die schieren Ausmaße, vor allem die Breite und der große Wendekreis des Air. Dass das Auto kein Head-up-Display aufbietet, hat uns ein wenig enttäuscht. Ein größeres Problem ist aber sicherlich das praktisch kaum vorhandene Händlernetz.
So ist der Lucid Air als Touring wie in jeder anderen der sechs Varianten etwas für Menschen, die ein wirklich außergewöhnliches Auto ihr Eigen nennen wollen und über die entsprechenden finanziellen Möglichkeiten verfügen. Dass man den Amerikaner häufiger für einen Chinesen halten wird, muss der Besitzer dabei souverän in Kauf nehmen. (SP-X)