Mit der Modellziffer „130“ hat Land Rover ein großes Auto noch gewaltiger gemacht. Dieser Defender misst stolze 5,36 Meter. Aber ist länger auch gleich besser?
Er war 2023 der mit Abstand beliebteste Land Rover bei den deutschen Kunden: der Defender, dem vor fünf Jahren die schwierige Aufgabe zufiel, das Erbe einer automobilen Ikone anzutreten. Der „Landy“ hatte trotz vielfältiger Unzulänglichkeiten eine stabile Fangemeinde in aller Welt, der Nachfolger musste sich den jetzigen Stand erst erkämpfen. Das ist gelungen, wohl auch, weil potenzielle SUV-Kunden ihr Herz an die rustikale Attitude des unverwüstlichen Geländewagens verloren haben.
Eines der Mittel, den Image-Transfer vom kultigen Offroader vergangener Jahrzehnte zum High-Tech-Allradler hinzubekommen, war die Pflege traditioneller Modell-Bezeichnungen. „90er“, „110er“ und jetzt „130er“ war schon vor einem halben Jahrhundert eine gängige Begrifflichkeit, die beim Defender auch in der Gegenwart die verfügbaren Karosserieformen beziffert. Ursprünglich wurden sie benutzt, um die jeweiligen Radstände in Zoll anzugeben.
Bis zu acht Plätze
In einer Ära alternativer Fakten stört sich heute niemand daran, dass die Fortsetzung dieser Praxis eigentlich ein Etikettenschwindel ist: In den aktuellen Baureihen haben 110er und 130er den exakt gleichen Radstand, nämlich 119 Zoll, nach metrischem System 3,02 Meter. Der Wagen, der nunmehr als 130er angeboten wird, ist lediglich jenseits der Hinterachse verlängert worden und fällt daher durch ungewöhnliche Proportionen auf. Bis zu acht Plätze für Passagiere kann er so anbieten oder ein Volumen von mehr als 2,5 Kubikmetern schlucken – da verliert jeder Großeinkauf im Möbelmarkt seinen Schrecken.
Angetrieben wurde unser Testwagen von einem Dreiliter-Turbodiesel mit 300 PS, der durch einen integrierten Starter-Generator und 48-Volt-System als Mild-Hybrid-Fahrzeug gilt. Das saftige Drehmoment von 650 Newtonmetern übertrifft sogar die Durchzugskraft der V8-Version und hatte mit den gemessenen 2630 Kilogramm Leergewicht des Testwagens keine Probleme. In der Ausstattungs-Variante „Outbound“ war der fünfsitzige Wagen konsequent auf Transportkapazität ausgelegt, das heißt maximal 1329 Liter hinter der zweiten Sitzreihe.
Viel Platz für sperrige Hobbys
Die seitlich angeschlagene Hecktür trägt das Reserverad und hinter ihr findet sich eine 98 x 90 Zentimeter große Ladeöffnung, die Tiefe des Gepäckraumes beträgt 1,25 Meter. Dass Koffer, Kisten oder die sperrigen Hobby-Utensilien über eine 88 Zentimeter hohe Ladekante gehievt werden müssen, ist unbequem, aber nur zu vermeiden, wenn man eine absenkfähige Luftfederung bestellt. Innen konnte eine Ladeflächen-Breite von 1,21 Metern gemessen werden. Legt man die Lehnen der Rücksitze um, entsteht eine fast ebene Fläche von mehr als zwei Metern Länge.
Reichlich Platz ist also vorhanden, viel natürliches Licht jedoch nicht. Merkmal der Outbound-Version ist die so genannte Signature-Verkleidung, welche statt hinterer Seitenscheiben eine Abdeckung in Wagenfarbe hat. Unser Fahrzeug war überdies mit einer seidenmatten Lackschutzfolie bezogen, die Kunden für 4450 Euro extra bestellen können. Weitere kostspielige Extras des Testwagens: Head-Up-Display (1384 Euro), Standheizung mit Fernbedienung und Timer (1875 Euro) sowie das Premium Interieur Paket (3360 Euro), das unter anderem erweiterte Lederausstattung, beheiz- und kühlbare Vordersitze, Isofix-Befestigungen am Beifahrersitz, Multifunktions-Lenkrad und elektrisch verstellbare Lenksäule umfasst. Wer auf all dies verzichtet, zahlt dennoch mindestens 94.200 Euro.
Konsequente Rechtwinkligkeit
Die Cockpit-Architektur wirkt, wohl auch, um die Erinnerung an den Landy wach zu halten, etwas martialisch inszeniert mit ihren wulstigen Verkleidungen, allgegenwärtigen Defender-Schriftzügen und konsequenter Rechtwinkligkeit. Aber es soll ja auch Kunden geben, die unnötigerweise offenliegende Inbus-Schrauben für ein gelungenes dekoratives Element halten. Viel wichtiger als ikonografische Design-Spielchen erscheint jedoch die einwandfreie Funktionsweise der zahlreichen Assistenten, die der Defender im Gegensatz zu seinem schrulligen Ahnherrn heute mitbringt.
In dieser Hinsicht offenbarte das Testauto Schwächen, wie etwa ein unzureichendes Vokabular der Spracherkennung. Ein Verständnis für Befehle wie „Flughafen Berlin-Brandenburg“ war der Spracherkennung wiederholt nicht zu entlocken, und auch die Verkehrsschild-Erkennung reagierte in zahlreichen Fällen nicht auf Änderungen des Tempolimits. Etwas höher angebrachte Türhebel würden das Aussteigen erleichtern. Erfreulich hingegen, dass sich der sehr kultiviert und geschmeidig arbeitende Sechszylinder mit 8,8 Litern Durchschnittsverbrauch zufriedengab. Auch die üppigen Platzverhältnisse von 1,54 Metern Kabinenbreite vorne und 1,51 Meter hinten trugen sehr zum souveränen und komfortablen Fahrgefühl bei.
Zwar mögen wegen des großen Radstands und des langen hinteren Überhangs kleine Abstriche der Geländegängigkeit gegenüber zum Beispiel dem 90er unvermeidlich sein, so bleibt der 130er doch ein Vollblut-Offroader, wie man ihn von der Marke erwartet. Achsverschränkung, Wattiefe, Kletterfähigkeit und Anhängelast erreichen Bestwerte, so dass etwa die umfangreiche Freizeit-Ausrüstung praktisch an jeden Ort transportiert werden kann. Für den urbanen Betrieb, wo es auch mal eng zugehen kann, hält Land Rover ein kleines, aber nützliches Detail vor: Die exakten Fahrzeug-Abmessungen sind jederzeit auf dem Zentral-Monitor abrufbar.