Kia EV9: Die rollende Wellness-Oase

Kia EV9: Die rollende Wellness-Oase
Das aktuelle Flaggschaff des koreanischen Herstellers Kia ist mehr als fünf Meter lang und fast zwei Meter breit. © Busse

„Darf’s ein bisschen mehr sein?“ Die Standardfrage von der Fleischtheke beantworten auch immer mehr Autohersteller gern mit „ja“. Mitunter kommt dann so eine Wuchtbrumme wie der Kia EV9 heraus.

Wie meistert man damit den Alltag? „Sehr bequem“ lautet die einfache Antwort, wenn drumherum stets genügend Platz vorhanden ist. Das aktuelle Flaggschaff des koreanischen Herstellers ist nicht nur mehr als fünf Meter lang, fast zwei Meter breit, sondern hat auch sonst von allem reichlich. Zum Beispiel Masse: 2640 Kilogramm zeigte die Waage, als der Testwagen darauf zum Stillstand kam und der Fahrer ausgestiegen war. Das ist die Gewichtsklasse, in der sonst notorische Schwerathleten wie Range Rover unterwegs sind. Und es ist, bei Kia wird man es gern lesen, nicht die einzige Parallele mit dem britischen Luxus-SUV.

Zum Beispiel zeigt auch der EV9 klare Kante, die Karosserie scheint nur aus horizontalen und vertikalen Blechen zu bestehen. Die ehrfurchtgebietende Erscheinung ist dennoch auf maximale Aerodynamik getrimmt, zum Beispiel sind die soliden Bügel-Türgriffe bündig in der Außenhaut versenkt und der Heckscheibenwischer raffiniert unter dem Dachkantenspoiler verborgen. Die Front ist befreit von optischem Schnickschnack, die LED-Scheinwerfer sind nur als Lichtpunkte auszumachen. Schwarze Einfassungen an den Radkästen umrahmen 21 Zoll große Alufelgen, beim heckgetriebenen Einstiegsmodell sind es 19-Zöller.

Spurtstark durch 700 Nm Drehmoment

Im Alltag zeigt sich der als „Allradauto des Jahres“ ausgezeichnete Stark-Stromer überraschend wirtschaftlich. Foto: Busse

Ein saftiger V8-Verbrener als Antriebsquelle würde dem mächtigen SUV sicher gut stehen, jedoch ist es darauf ausgelegt, unterwegs keine schädlichen Gase abzusondern. In der gefahrenen GT-Line saugen zwei Permanent-Synchronmaschinen ihren Strom aus einer 100-kWh-Batterie und geben die Kraft von 283 kW (385 PS) an alle vier Räder ab. Dies erscheint nicht übertrieben angesichts des Gewichts, doch von Behäbigkeit keine Spur. Dank 700 Newtonmetern Drehmoment spurtet der Sechs- oder Siebensitzer ist wenig mehr als fünf Sekunden auf Landstraßentempo. Das Antriebsmanagement erlaubt es, bis auf 200 km/h zu beschleunigen und in diesen Temporegionen sind es vor allem Windgeräusche, die innen wahrgenommen werden.

Im Alltagsbetrieb zeigte sich der inzwischen als „Allradauto des Jahres“ ausgezeichnete Stark-Stromer überraschend wirtschaftlich. Mit einem Durchschnitt-Testverbrauch von 19,8 kWh/100 km unterschritt er sogar noch den herstellerseitig angegebenen Wert (22,8 kWh). Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass etwa zwei Drittel der protokollierten Fahrten auf Kurzstrecken zurückgelegt wurden und der Rekuperationsanteil entsprechend hoch war. Bei 100 Prozent Ladung errechnete das Bordsystem 545 Kilometer Reichweite, offiziell spricht Kia von 505 Kilometern. Geladen werden kann mit maximal 210 kW, wobei ca. 25 Minuten für eine Füllung von 10 auf 80 Prozent vergehen sollen.

All-Inclusive-Ausstattung

In der GT-Line geben zwei E-Motoren die Kraft von 283 kW (385 PS) an alle vier Räder ab. Foto: Busse

Obwohl die Radaufhängungen konventionell gebaut sind, kommt der Federungs- und Dämpfungskomfort einer Luftfederung nahe. Wegen der zu bewältigenden Masse ist die elektrische Lenkunterstützung sehr stark, was ein etwas synthetisches Steuerungsgefühl mit sich bringt. An Genauigkeit und guter Manövrierfähigkeit fehlt es der Lenkung nicht. Guter Straßenbelag vorausgesetzt, ist das Schallniveau in der Kabine sehr gering. Weniger als 60 dB wurden bei 100 km/h gemessen. Die Ruhe allein trägt schon sehr zum Wohlbefinden bei, den Rest besorgt die umfangreiche Ausstattung, mit der Kia geschickt Pluspunkte einheimst. Anstelle mit einer telefonbuchdicken Optionsliste zu operieren, kommt die GT-Line als mobile Wellness-Oase mit All-Inclusive-Charakter daher.

Dabei sind es nicht die Komfort-Merkmale der Premium-Liga, die in anderen Fahrzeugen auch zu finden sind, die den Unterschied ausmachen, sondern charmante Detaillösungen an vielen Stellen. Es gibt Justiertasten an den Lehnen sowie elektrisch verstellbare Seitenwangen und Wadenpolster an den Vordersitzen, dazu äußerst anschmiegsame Kopfstützen, nach außen drehbare Einzelsitze in der zweiten Reihe und USB-Buchsen bis in die dritte Reihe, wo die Lehnen elektrisch umklappbar sind. Dazu Massagefunktion für den Fahrersitz, Sonnenrollos in den hinteren Türen und, und, und. Lediglich die Hartplastik-Einsätze der Getränkehalter wollen nicht recht zu der auf 3,10 Meter Radstand angelegten Komfortzone passen.

Üppiges Raum-Erlebnis

Guter Straßenbelag vorausgesetzt, ist das Schallniveau in der Kabine des EV9 sehr gering. Foto: Busse

Das aufgeräumte Cockpit und die einfache Bedienlogik der dortigen Systeme zeigen nur an einer Stelle Schwäche: Die Tastenleiste unterhalb des zentralen Monitors offenbart haptische Unzulänglichkeiten und die Funktionssymbole sind besonders bei Sonnenlicht-Einfall schlecht zu entziffern. Fast 1,60 Meter Kabinenbreite vorn, dahinter fünf Zentimeter weniger, geben eine Ahnung vom üppigen Raum-Erlebnis der Passagiere. Für die Plätze fünf und sechs wurden 1,07 Meter Breite gemessen. Der Hersteller spricht von 1,39 Metern, weil er die Getränkehalter, deren Gehäuse auch als Armablage dienen können, mitrechnet. Trotz 21-Zoll-Felgen ist die Ladekante nur 78 Zentimeter hoch.

Das erhabene Fahrgefühl, das sich schon nach kurzer Strecke einstellt, befördert den Kia EV9 in die Gesellschaft von Luxus-SUV, die in deutlich höheren Preisregionen unterwegs sind. Nicht, dass rund 83.000 Euro für die GT-Line-Ausstattung ein Schnäppchen wären, jedoch ist für diesen Preis wirklich alles an Bord, was für ein Höchstmaß an Sicherheit und Wohlbefinden gebraucht wird. Sogar sechs Metallic-Lackierungen sind inklusive, Aufpreis wird lediglich für Matt-Varianten berechnet.

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