Kia EV6: Wuchtiger Crossover mit Hochspannung

Kia EV6: Wuchtiger Crossover mit Hochspannung
Der EV6 zielt auf sportliches Publikum, auch wenn schieres Tempo nicht zu seinen Stärken zählt. © Axel F. Busse

Er bringt 800-Volt-Technik in die Mittelklasse, wie sie Porsche beim Taycan nutzt. Aber der koreanische Fünftürer kostet weniger als die Hälfte.

Es ist eine Frage des Geschmacks und vielleicht auch der Ästhetik: Der Kia EV6 und der Hyundai Ioniq 5 kommen beide aus Korea und sind technisch weitgehend baugleich, doch der Kia spricht mit seinem extravaganten Design stärker die Sinne an. Gerade hat er den Titel „Auto des Jahres“ eingeheimst. Der EV6 zielt auf ein sportlich orientiertes Publikum, auch wenn schieres Tempo nicht zu seinen Stärken zählt. Zur Schonung des Stromvorrats der Batterie ist die Höchstgeschwindigkeit auf 185 km/h limitiert.

Obwohl gerade mal 4,68 Meter lang, macht der EV6 einen wuchtigen Eindruck. Der Hersteller tituliert sein Fahrzeug als Crossover, was letztlich nichts Anderes bedeutet, als dass Merkmale von SUV und Kombi, von Limousine und Coupé in einer Karosserie vereint sein sollen. Ein besonderer optischer Clou ist das spangenförmig über die gesamte Fahrzeugbreite laufende LED-Leuchtenband am Heck, wo sich auch die originell kaschierte Abdeckung der Ladebuchse befindet. Serienmäßig läuft der EV6 auf 19-Zoll-Felgen, als Teil eines Designpakets waren am Testwagen 20-Zöller montiert. Die versenkbaren Klappgriffe an den Türen mögen zwar die Aerodynamik befördern, sind aber in der Praxis weniger handlich als Bügelgriffe, wie sie etwa Tesla benutzt. Außerdem sind sie anfällig für Kratzer.

PET-Recycling statt Tierhäute

Optischer Clou ist das spangenförmig verlaufende LED-Leuchtenband am Heck. Foto: Axel F. Busse

Die Kabine glänzt durch sehr gute Raumaufteilung und reichlich Beinfreiheit hinten. Dafür ist nicht zuletzt der üppige Radstand von 2,90 Metern verantwortlich. Die Innenbreite für die vorn Sitzenden beträgt 1,49 Meter, hinten sind es noch 1,42 Meter. Die Zelle ist schick möbliert und gibt sich bei den verwendeten Materialien fortschrittlich: Die Sitzbezüge sind aus einer Faser gewirkt, die aus recycelten PET-Flaschen besteht. Die Haptik kommt der von Leder sehr nahe, gegerbte Tierhaut ist gar nicht im Angebot.

Der Innenraum ist so gut gedämmt, dass bei 120 km/h Autobahntempo hinter dem Lenkrad nur 60 dB(A) Fahrgeräusch gemessen werden können. Für Vielseitigkeit sorgen 490 bis 1300 Liter Kofferraum (Ladekante 78 Zentimeter) sowie ein zusätzliches Staufach unter der Fronthaube. Dort hat auch ein Adapter Platz, mit dessen Hilfe der Fahrzeug-Akku zum Betrieb kleinerer Elektrogeräte genutzt werden kann. Das serienmäßig schon recht gute Ausstattungsniveau kann durch ein Assist-Plus-Paket ergänzt werden (1790 Euro), das Totwinkelassistent mit Monitoranzeige, Head-up-Display inkl. Augmented Reality-Funktionen, Kollisionsvermeidungsassistent, Remote Parkassistent und Rundumsichtkamera beinhaltet.

Menüführung teils verschachtelt

Durch die asymmetrische Mittelkonsole unterscheidet sich der EV6 stark vom Schwestermodell Ioniq 5. Foto: Axel F. Busse

Durch die asymmetrisch gestaltete Mittelkonsole mit Start- und Drehknopf für die Fahrtrichtungswahl unterscheidet sich der EV6 nachhaltig vom Schwestermodell Ioniq 5. Identisch sind dagegen die beiden 12,25 Zoll großen Bildschirme, die Fahrinformationen sowie Infotainment- und Komfort-Funktionen bündeln. Allerdings offenbart der rechtsseitige Berührungs-Monitor ein gewisses Optimierungs-Potenzial, was die Handhabung angeht. Die Helligkeits-Regelung der Displays, durchaus relevant für Tag- oder Nachtfahrt, ist erst in mehreren Bedienschritten in den Tiefen des Menüs zu erreichen. Bei Radioempfang ist eine manuelle Anwahl des FM-Frequenzbereichs nicht möglich, was zu Ausfällen in DAB-unterversorgten Bereichen führen kann.

Die Anwendung von 800-Volt-Technik dient nicht allein dem Nachweis technischer Kompetenz. Ein Vorteil ist zum Beispiel, dass Bord-Verkabelungen mit kleineren Querschnitten genutzt werden können. Das spart Material und dadurch Kosten und Gewicht. Mit seiner 77,4 kWh-Batterie brachte der Testwagen immerhin noch 2020 Kilogramm auf die Waage. Mit 800 Volt Betriebsspannung können außerdem hohe Ladeleistungen verarbeitet werden, was Zeit an der „Tankstelle“ spart. Beim Kia EV6 ist laut Hersteller eine Gleichstrom-Ladeleistung von bis zu 350 Kilowatt möglich, was eine Befüllung von zehn auf 80 Prozent in weniger als 20 Minuten zulassen soll. An der öffentlichen 22-kW-Säule über Nacht geparkt, errechnete der Bordcomputer des Testwagens eine Reichweite von 441 Kilometern.

Wärmepumpe für Reichweite im Winter

Anfällig ist der Aktionsradius, wie bei allen E-Mobilen, bei niedrigen Temperaturen gegen zusätzliche Stromverbraucher. Muss zum Beispiel per Gebläse die Frontscheibe von Beschlag befreit werden, reduziert sich die Reichweite beim Einschalten schlagartig um 50 Kilometer. Lenkrad- oder Sitzheizung (beides Serie) sind beim Verbrauch aber nicht so anspruchsvoll. Für 1000 Euro extra kann man eine Wärmepumpe bestellen, die die Reichweite bei niedrigen Außentemperaturen optimieren soll.

Ein straff abgestimmtes Fahrwerk sorgt für ein dynamisches Fahrgefühl der Heckantriebs-Variante, 350 Newtonmeter Drehmoment lassen auch die Erwartungen nach etwas Druck im Kreuz nicht zu kurz kommen. In 7,3 Sekunden ist Landstraßentempo erreicht. Die einstellbare Rekuperationsleistung erlaubt es, in der Stadt weitgehend auf die Betätigung der Bremse zu verzichten. Kia billigt dem EV6 zwar einen Durchschnittsverbrauch von 17,2 kWh je 100 Kilometer zu, aber auch der Testverbrauch von 19 kWh kann sich sehen lassen. In der gefahrenen Version mit 77,4-kWh-Batterie und Heckantrieb steht der Kia EV6 mit 54.990 Euro in der Preisliste, der so genannte Umweltbonus drückt den Preis auf rund 46.000 Euro.

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Axel F. Busse
Axel F. Busse ist gelernter Redakteur, sein kommunikations-wissenschaftliches Studium absolvierte er an der FU Berlin. Nach Tätigkeiten bei Tageszeitungen, wo er sich mit Auto- und Verkehrsthemen beschäftigte, arbeitet er seit 2003 als freier Autor ausschließlich in diesem Bereich. Außer für die Autogazette schreibt er für verschiedene Online- und Printmedien.

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