Im Kia-Modellprogramm hat der EV6 seine Pionierrolle erfüllt. Nun ist es die Summe der Nuancen, die bei der überarbeiteten Version den Unterschied zum Erstling ausmacht.
Modellpflege nennen es die Hersteller, Facelift die Fachpresse: Wenn ein nicht wirklich neues Auto zu einem ernst zu nehmenden Innovationsträger stilisiert werden soll, dann kommen diese Vokabeln zum Einsatz.
Äußerlich unterscheidet den aktuellen EV6 kaum etwas vom Vorgänger, doch der Kundennutzen, so verspricht Kia, soll erheblich gewachsen sein. Nicht nur, weil die Elektro-Limousine jetzt schneller lädt und mit dem Stromvorrat weiter fährt.
Günstiger als der Vorgänger
Bei Kia ist man alles andere als unzufrieden über die Akzeptanz seiner elektrifizierten Modelle. Der Anteil von Plug-In-Hybriden und reinen Stromern ist dieses Jahr in Deutschland auf dem Weg zur 25-Prozent-Marke, allein der EV6 war in den ersten neun Monaten dieses Jahres daran mit mehr als 4000 Exemplaren beteiligt. Das Modell EV3, das gerade vorgestellt wurde, unterbietet beim Einstiegspreis die 40.000-Euro-Schallmauer und die Koreaner hoffen, auf diese Weise zusätzliche E-Kundschaft generieren zu können. Der EV6 ist mit mindestens 44.990 Euro zwar kostspieliger, jedoch um 2000 Euro günstiger als das Vorgängermodell.
Man muss schon sehr genau hinsehen, um die äußerlichen Unterschiede zwischen Premieren- und Nachfolge-Modell zu erkennen. Der EV6 ist der extrovertierte Viertürer geblieben, der er stets war, die Lichtsignatur an der Front wurde grafisch verändert, der Lufteinlass unter dem Kennzeichen mit besser steuerbaren Air-Flaps versehen und auch die winzigen seitlichen Spoiler an der Dachabrisskante sollen strömungsgünstiger geformt sein. Das gebogen durchlaufende Bremslicht hat nun zusätzliche Einzelsegmente auf beiden Seiten – nur die versenkbaren Klappgriffe für die Türen sind immer noch so unhandlich wie gehabt.
Angenehme Haptik, hochwertige Atmosphäre
Von größeren Umwälzungen sind auch Cockpit-Gestaltung und Mobiliar verschont geblieben. Da sich die Marken des Hyundai-Konzern gern als Nachhaltigkeitsbeauftragte der Autobranche inszenieren, wird darauf hingewiesen, dass der Recycling-Anteil bei den verwendeten Materialien um rund 20 Prozent gesteigert wurde. Fasern aus wiederverwerteten PET-Flaschen kommen großflächig zum Einsatz, sowohl bei Sitzbezügen als auch bei Struktur-Oberflächen für Verkleidungen. Sie sind nicht nur haptisch angenehm, sondern wirken auch deutlich höherwertig als das scheinbar unausrottbare Hartplastik.
Neu ist, dass es für die verschiedenen Ausstattungslinien ein Zwei- und ein Dreispeichenlenkrad gibt. Letzteres wird der GT-Version vorbehalten sein. Bis sie verfügbar ist, liegt das Leistungsspektrum bei 125 oder 168 kW (170 oder 229 PS) für die Heckantriebs- und bei 239 kW (325 PS) für die Allradversion. Sie mobilisiert bei Bedarf 605 Newtonmeter Drehmoment, was einen Sprint aus dem Stand auf 100 km/h in 5,3 Sekunden erlaubt. Die Kapazitäten der Standard- als auch der Long-Range-Batterie sind auf 63 kWh (vormals 58) und 84 kWh (bisher 77,4) angehoben worden. Durch Fortschritte in der Zellenfertigung kommen sie mit dem gleichen Bauraum wie vorher aus und sollen für 428 bzw. 582 Kilometer Aktionsradius gut sein.
Entspannter Fahrkomfort, erhöhte Zuglast
Nach glaubhaftem Bekunden hat Kia an einer Fülle von Stellschrauben gedreht, die das Fahrverhalten beeinflussen. Nachprüfbar wäre das erst, wenn unter definierten Testbedingungen bisherige und neue Version gefahren werden könnten. Eingriffe in Energie- und Thermo-Management, in Brems- und Rekuperations-Verhalten sowie verschiedene Updates bei Konnektivität und digitalen Services versprechen einen Zuwachs an Beförderungs-Qualität und digitalem Komfort. Außerdem wurden die Dämpfer für mehr Fahrstabilität auf schlechten Straßen überarbeitet und die Anhängelast von 1,6 auf 1,8 Tonnen erhöht.
Nach mehreren Ausflügen über die gewundene Berg- und Tal-Pisten an der portugiesischen Altantikküste lässt sich zumindest zweierlei sagen: Dank seines niedrigen Schwerpunkts meistert der Kia EV6 souverän anspruchsvolle Kurvenkombinationen, reagiert ausgewogen auf Lastwechsel und heftige Beschleunigungsbefehle. Das Innen-Geräuschniveau ist erfreulich gering, so dass die Auskleidung der Radhäuser als Erfolg gewertet werden kann. Dass die Übersichtlichkeit der Karosserie Wünsche offenlässt, hat Kia erkannt und dem Wagen zusätzliche Parksensoren an den Seiten spendiert, die Rangieren und Einparken unterstützen. Bei den hauptsächlich in städtischem Umfeld und auf Landstraßen absolvierten Testfahrten wurden zwischen 15,5 und 17,5 kWh/100 km verbraucht.
Um die Möglichkeiten der 800-Volt-Technologie zu optimieren, hat Kia zudem in das Lademanagement eingegriffen. Der Standard-Akku kann nun mit maximal 195 kW, die Longe-Range-Batterie mit 258 kW aufgefüllt werden. Das Ergebnis laut Hersteller: Die heckgetriebene Langstreckenversion kann jetzt in nur einer Viertelstunde Energie für bis zu 343 Kilometer zusätzlicher Reichweite tanken.