Ineos Grenadier: Das Wüste lebt

Auf Spuren seiner Vorfahren

Ineos Grenadier: Das Wüste lebt
Der Grenadier bewältigt natürlich auch Wasserdurchfahrten. © Ineos

Eine ausgeprägte nostalgische Attitüde ist dem Geländewagen Ineos Grenadier nicht abzusprechen. Wo aber die Zukunfts-Orientierung des neuen Offroaders liegt, muss sich noch herausstellen.

Grenadiere gelten als die Schmuddelkinder der Truppe. Physisch häufig auf Tuchfühlung zur Grasnarbe, gehen sie Matsch und Unterholz ebenso wenig aus dem Weg, wie Geröll oder Treibsand. Einem Auto, das souverän solchen Widrigkeiten der Natur trotzt, mit diesem Namen zu versehen, erscheint einleuchtend.

Die Herausforderungen für die Neuentwicklung liegen aber nicht nur im Freien. Auch in den Köpfen potenzieller Kunden wollen die Hersteller neue Horizonte erschließen, die im Grunde genommen die alten sind.

Ineos gründete Autosparte

„Zurück zu den Wurzeln“ hätte als Enwicklungsmaxime gelten können, als sich Sir James A. Ratcliffe entschloss, seinem internationalen Chemie- und Kunststoff-Konzern Ineos eine Automobil-Sparte anzuheften. Seiner Ansicht nach hat das Produktionsende des Modells Land Rover Defender eine Lücke hinterlassen, die es zu füllen gilt. Geländewagen auf Basis eines Leiterrahmens und mit Starrachsen waren Jahrzehnte lang Stand der Technik, doch immer mehr Hersteller wandten sich davon ab. Auch das Mercedes-G-Modell fährt inzwischen mit Einzelrad-Aufhängung.

Eine komplett auf Offroad getrimmte Ausgabe des Ineos Grenadier kostet über 75.000 Euro. Foto: Ineos

Laut Ratcliffe, der im Unternehmen nur „Jim“ genannt wird, soll der Grenadier ein „kompromissloser Offroader“ sein, der „absolut schnörkellos mit erstklassiger Geländetauglichkeit, Langlebigkeit und Nutzerorientierung“ seine Kunden überzeugt. Das Schnörkellose bleibt auf Anhieb unwidersprochen, denn jeder, der das 4,90 Meter lange und 2,04 Meter hohe Auto in Augenschein nimmt, erkennt in Antlitz und Aufbau die Klassiker des Segments wieder. Senk- und waagerechte Linien bestimmen die Karosserie, eine geteilte Hecktür mit aufgesetzter Steigleiter und Reserverad lassen Verwechslungen mit weichgespülten SUV nicht zu. Stolze 264 Millimeter Bodenfreiheit sind gesetzt, sie ist unveränderlich, denn eine Luftfederung ist nicht vorgesehen.

Kantige Sachlichkeit im Innenraum

Kantige Sachlichkeit auch in Innern. Die Mittelkonsole mit aufgesetztem Monitor sowie grobschlächtigen Schaltern und Knöpfen bestimmten die Optik. Das Overhead-Panel vor dem Rückspiegel weckt Assoziationen mit einem Flugzeug-Cockpit. Dort werden verschiedene Geländeprogramme wie Getriebe-Untersetzung und Bergabfahrhilfe aktiviert. Die Knöpfe sind ebenso rustikal gearbeitet wie weiter unten und das mit Bedacht: Man(n) soll sie auch mit Handschuhen gut bedienen können. Einzig das wulstige Zweispeichen-Lenkrad erinnert eher an ein sportliches Coupé als an einen Offroader, und ob ein Auto für rund 70.000 Euro den Verzicht auf höhenverstellbare Sicherheitsgurte erfordert, ist zumindest fraglich.

Kantige Sachlichkeit: das Cockpit des Grenadier. Foto: Ineos

Wer ein neues Automobil-Projekt plant, tut gut daran, die Hervorbringungen von ausgewiesenen Fachfirmen der Branche zu nutzen. Der Grenadier tut dies, indem er Motoren von BMW, das Getriebe von ZF, Bremsen von Brembo, Steuer-Elektronik von Bosch, Sitze von Recaro und Teile von vielen weiteren namhaften Zulieferern verwendet. Nicht einmal eine neue Produktionsstätte musste aus dem Boden gestampft werden: Die Fertigung erfolgt im ehemaligen Smart-Werk Hambach im französischen Département Moselle.

Diesel und Benziner erhältlich

Die Dreiliter-Reihensechszylinder, als Diesel und Benziner mit 249 bzw. 286 PS erhältlich, dürften über jeden Zweifel erhaben sein. Mit 550 bzw. 450 Newtonmeter schieben sie die je nach Ausführung 2,7 bis 2,8 Tonnen schwere Fuhre an. Signifikante Unterschiede lassen sich beim Fahren in der Lenkung erkennen. Statt einer Zahnstangen-Konstruktion kommt eine Kugel-Umlauflenkung zum Einsatz, die zwar per se als robust und unverwüstlich gilt, jedoch Probleme bei der Zielgenauigkeit und Feinfühligkeit offenbart. Nur minimale Rückstellkräfte, besonders bei der Diesel-Variante, erforderten beherztes Kurbeln auch beim Einsatz auf der Straße.

Dass die Verantwortlichen ihrem Grenadier einen souveränen Auftritt jenseits des Asphalts zutrauen, zeigt schon die Wahl der Schauplätze für die Fahrpräsentation. Vom äußersten Nordosten Schottlands bis ins Londoner Stadtzentrum wühlte sich der Fünftürer durch saftige Schafweiden, kantige Geröllhalden, seifige Laubhänge, glitzerndes Marschland, rutschigen Wattboden und den Mündungsarm des River Kent, der im Westen Englands sein Wasser in die Morecambe Bay ergießt. Eine Blöße gab sich der Testwagen dabei nicht, die ab Werk lieferbare Seilwinde blieb hinter dem vorderen Stoßfänger versteckt.

12 bis 15 Liter Verbrauch

Die Verbrenner des Grenadier kommen von BMW, die Automatik von ZF, der Allrad von Magna. Foto: Ineos

Mag sein, dass die SUV-Fraktion 160 km/h Höchstgeschwindigkeit und zwischen 12 und 15 Liter Spritverbrauch für unzeitgemäß hält, die Fans des authentischen und ehrlichen Geländefahrens wird’s vermutlich ebenso wenig schrecken, wie die Preise ab 65.890 Euro (für einen zweisitzigen Kastenwagen) bis 75.230 Euro (je nach Motorisierung und Ausstattungsniveau). Mit einem Raufbold alter Schule will es Ineos ohnehin nicht belassen. Noch dieses Jahr wird das Angebot um einen Pick-Up ergänzt, 2024 ist mit einem rein elektrischen Allradler zu rechnen. Seine Dimensionen werden etwas unterhalb des Grenadiers angesiedelt sein, die Reichweite orientiert sich an den bereits auf dem Markt befindlichen Wettbewerbern. Auch in der Brennstoffzellen-Technik forscht man bei Ineos, es existiert bereits ein Versuchsfahrzeug auf Grenadier-Basis.

Zunächst aber wandelt der Grenadier als Nutzen bringendes Fahrzeug auf den Spuren seiner Vorfahren. Die Namensfindung – so erfährt der Neugierige – soll übrigens nichts mit den bevorzugten Einsatzgebieten zu tun haben. Eine trinkfreudige Runde wohlhabender Männer habe im Grenadier Pub im Londoner Stadtteil Belgravia die Idee eines neuen Geländewagens ausgebrütet.

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