Genesis GV 60: Ein Hauch von Enterprise

Genesis GV 60: Ein Hauch von Enterprise
Der Genesis GV60 lässt sich effizient fahren. © Dominic Fraser/Genesis

Anspruch und Wirklichkeit in Gleichklang zu bringen, bedeutet gerade im Premium-Segment eine besondere Herausforderung. Ob das erste reine E-Auto der Marke Genesis sie meistert, zeigt der Praxistest mit dem GV 60.

Wenn der Hyundai-Konzern sein diesjähriges Verkaufsziel von 7,5 Millionen Fahrzeugen weltweit erreichen sollte, bleibt immer noch ein erheblicher Abstand zu den wirklich Großen der Branche.

In einer Disziplin sehen sich die Koreaner aber schon jetzt ganz vorn: In der Elektromobilität. Genesis, der Premiummarke des Konzerns, ist dabei die Rolle des Zugpferds zugedacht. In zwei Jahren sollen nur noch elektrifizierte Modelle auf den Markt kommen. Schon da ist der GV 60, ein extravagant gestalteter Fünftürer, der technisch eng verwandt ist mit Kias EV6 und dem Hyundai Ioniq 5.

Schmale Leuchtenbänder an Front und Heck

Im Vergleich zu seinen Konzern-Geschwistern tritt der GV 60 erstaunlich bescheiden auf. Mit 4,52 Metern ist er 16 bzw. zwölf Zentimeter kürzer als sie und wirkt durch seine rundliche Formgebung ein wenig pummelig. Die geschlossene Front identifiziert ihn als Stromer, die schmalen Leuchtenbänder vorn und hinten setzen futuristische Akzente.

Die versenkbaren Klappgriffe der Türen können nicht als Weisheit letzter Schluss gelten, denn bei angefrorenen Dichtungs-Gummis lässt sich nur wenig Kraft auf das Türblatt ausüben.

Start mit der magischen Kugel

Nette Spielerei: Eine Glaskugel auf der Mittelkonsole wird beim Start zur Getriebesteuerung. Foto: Genesis

Aufgeräumt und edel mit einem Hauch von Enterprise-Ambiente geht es im Innenraum zu. Hauptverantwortlich dafür ist die farbig schimmernde Glaskugel, in der nicht die Zukunft gelesen werden soll, sondern die sich nach Betätigung der Starttaste in den Drehknopf für die Fahrtrichtungswahl verwandelt. Davor ist der Dreh-Drück-Steller platziert, mit dem Kommunikations-, Infotainment- und Navigations-Einstellungen vorgenommen werden können. Aber nicht müssen, denn sämtliche Funktionen lassen sich auch über den großen Touchscreen steuern, der über dem Modul für Heizung und Klima angeordnet ist.

Den Premium-Anspruch untermauern in der Kabine polierte oder geriffelte Metallflächen und glänzende Verkleidungsteile, es kommt reichlich synthetisches Leder zum Einsatz, dessen Haptik der gegerbten Tierhaut in nichts nachsteht. Man kann sich über Komfort-Details wie die Justierungs-Möglichkeit des Beifahrersitzes vom Fahrersitz aus freuen oder über das komplette Arsenal an Assistenz-Systemen, die Querverkehr und Spurhaltung ebenso überwachen wie tote Winkel und die Aufmerksamkeit des Lenkenden.

Undefinierbare Geräusche aus dem Fond

Nicht so gut kamen die Knirsch- und Zirpgeräusche an, die ihren Ursprung irgendwo zwischen Rücksitzbank und Heckklappe hatten und die auf Verarbeitungsdefizite hindeuteten. Zwischen den Türen ist die Kabine vorn 1,46 Meter breit, hinten sind es noch 1,43 Meter.

Der im Vergleich zur Fahrzeuglänge sehr große Radstand bedeutet für die zweite Reihe eine üppige Beinfreiheit. Die Kofferraumgröße oberhalb der 75 cm hohen Ladekante wird mit 432 bis 1550 Litern angegeben.

Sprinter-Qualitäten vom Feinsten

Angeboten wird der GV 60 mit zwei Antriebsvarianten, wobei schon die Basisversion „Sport“ mit (318 PS nicht als untermotorisiert gelten kann. Die in diesem Test eingesetzte „Sport Plus“-Version hat ebenfalls zwei E-Maschinen und Allradantrieb. Sie kommt in der Spitze auf 490 PS, was für die Sprintleistung eines Super-Sportwagens ausreicht: Vier Sekunden aus dem Stand auf 100 km/h. Ursprung dieser Schubkraft ist eine Lithium-Ionen-Batterie von 77,4 Kilowattstunden (kWh).

Reichen soll dieser Vorrat für 466 Kilometer, im rekuperationsreichen Stadtverkehr sogar für mehr als 600. An dieser Stelle klafften Anspruch und Wirklichkeit deutlich auseinander. Mehrere Ladetests an verschiedenen Stromquellen (Supercharger, 22-kW-Ladesäule, Heimsteckdose) bis auf 100 Prozent Füllstand laut Bordrechner erbrachten jeweils zwischen 290 und 310 Kilometer angezeigte Reichweite.

Laden bei fünf Grad Celsius

Nun sind Außentemperaturen um fünf Grad Celsius sicher keine Idealbedingungen für ein E-Mobil, jedoch bleibt die Differenz zur Herstellerangabe weit jenseits üblicher Mess-Unschärfen. Zumal der GV 60 serienmäßig über eine Wärmepumpe verfügt, die den Winterbetrieb effizienter machen soll.

Weit weniger auffällig war die Abweichung beim Praxis-Verbrauch. Die Herstellerangabe beträgt 19,1 kWh/100 km, nach zurückhaltend absolvierten rund 300 Testkilometern reichte die Bandbreite des Verbrauchs von 21,2 bis 22,7 kWh/100 km. Solche Werte sollten stets in Relation zum Fahrzeugs-Gewicht gesehen werden, denn der Testwagen brachte 2180 Kilogramm auf die Waage.

Dass die Reichweiten-Angaben des Displays nur ungefähre Anhaltspunkte statt verlässlicher Fakten darstellen, veranschaulicht folgende Tatsache: Nach tatsächlich gefahrenen 73,5 Kilometern betrug der errechnete Reichweiten-Verlust lediglich 53 Kilometer.

800-Volt-Technik für schnelles Laden

Nicht nur die eigene Fahrweise, auch die große Spreizung der Ladetarife beeinflusst bekanntlich die effektiven Kilometerkosten. Wer an der heimischen Steckdose seinen GV 60 lädt, kann mitunter für neun Euro 100 Kilometer weit fahren, wer den Supercharger an der Autobahn nutzt, muss im Einzelfall 16 Euro für die gleiche Strecke berappen. Ebenso wie Kia EV6 und Hyundai Ioniq 5 verfügt der GV 60 über ein 800-Volt-Bordsystem, so dass im Idealfall binnen knapp 20 Minuten von 10 auf 80 Prozent Batterie-Kapazität aufgeladen werden kann, so denn die Außenbedingungen stimmen.

Da die reichlich vorhandenen Leistungs-Reserven jederzeit die Wahl zwischen leisem Dahingleiten und explosiver Kraftentfaltung bieten, gibt es am Fahrvergnügen nichts zu tadeln. Mit dem angenehm griffigen Lenkrad lässt sich der Wagen präzise auf Kurs halten, allerdings ist beim Manövrieren auf engem Raum der eine oder andere Extra-Zug nötig, da der Antrieb der Vorderräder einem kleineren Wendekreis im Wege ist.

Auf Augenhöhe mit deutschen Premiumautos

Das Heck des Genesis GV60 mit den Doppel-Rückleuchten. Foto: Fraser/Genesis

Das Fahrwerk kann mit dem Fahrmodusschalter zwischen Eco, Komfort und Sport eingestellt werden. Pneumatisch bewegte Sitzwangen können im Sportmodus ein zusätzliches Dynamik-Feeling erzeugen.

Bei Ausstattungsniveau und Beförderungsqualität fällt es dem GV 60 nicht schwer, mit einheimischen Premium-Produkten mitzuhalten. Da im Kaufpreis von mehr als 70.000 Euro auch ein fünfjähriges Service-Paket mit Hol- und Bringedienst enthalten ist, kann das Preis-Leistungsverhältnis als ausgeglichen angesehen werden. Die Erwartungen an einen üppigen Aktionsradius konnte der Wagen in diesem Test indes leider nicht erfüllen.

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Axel F. Busse
Axel F. Busse ist gelernter Redakteur, sein kommunikations-wissenschaftliches Studium absolvierte er an der FU Berlin. Nach Tätigkeiten bei Tageszeitungen, wo er sich mit Auto- und Verkehrsthemen beschäftigte, arbeitet er seit 2003 als freier Autor ausschließlich in diesem Bereich. Außer für die Autogazette schreibt er für verschiedene Online- und Printmedien.

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