Der Bentley Bentayga ist für viele ein Anachronismus auf Rädern. Nun haben die Briten ihrem fast drei Tonen schweren SUV noch mehr Leistung verpasst. 608 PS waren scheinbar nicht genug.
Bescheidenheit gehört bei Bentley nicht gerade zu den Grundtugenden. Wenn die Briten etwas machen, dann wird nicht gekleckert, sondern geklotzt. Kein Wunder also, dass sie mit ihrem Bentayga vor vier Jahren nicht weniger präsentiert haben, als den schnellsten Geländewagen der Welt.
So stolz sie auf diesen Ehrentitel und seine 301 km/h waren, so sehr muss es sie geschmerzt haben, dass sie im letzten Jahr ausgerechnet von der Schwestermarke Lamborghini vom Thron gestoßen wurden und der Urus tatsächlich auf 305 km/h kam. Doch jetzt rücken sie ihr Weltbild wieder zurecht und bringen den Bentayga nach den Werksferien für rund 235.000 Euro als „Speed“ zurück an die Spitze.
Dafür kitzeln sie aus ihrem ohnehin schon 608 PS starken W12-Motor noch einmal 27 PS mehr, optimieren die Aerodynamik und ändern das Set-Up im Sportprogramm: So klettert das Spitzentempo von 301 auf 306 km/h und der italienische Stier ist nur noch zweiter Sieger.
Ein Erlebnis für Car Guys
Was allerdings viel mehr zählt als das Ergebnis, ist das Erlebnis: Denn es ist und bleibt ein gewaltiges Spektakel, wenn der sechs Liter große Zwölfzylinder im Kampf mit bald drei Tonnen Lack und Leder alle Gesetze der Physik zu brechen scheint und das Schwergewicht zum Sprinter macht. Weil die 900 Nm jetzt früher anliegen und länger bereitstehen, gelingt der Sprint auf Tempo 100 im Speed in 3,9 statt 4,1 Sekunden.
Und weil sie nicht nur die Software von Motor und Fahrwerk, sondern auch die Klappensteuerung im Auspuff geändert haben, hört er sich dabei auch noch besser an.
Das Ganze ist umso imposanter, weil der Bentagya zwar mit jedem Spitzensportler mithalten kann, aber so gar nichts von einem Sportwagen hat. Statt der drangvollen Enge gibt es unendliche Weiten, statt tief unten auf dem Asphalt zu kauern, thront man über den Dingen, wo sich andere in Schalensitze zwängen, lümmelt man in klimatisierten Ledersesseln mit Massagefunktion und statt kargem Karbon gibt es Lack und Leder und mehr Holz als in der Hütte eines Oberförsters.
Wider der Trägheit der Massen
Von dem Kraftakt im Kampf mit den Gesetzen der Physik bekommt man deshalb kaum etwas mit: Ja, im etwas nachgeschärften Sportmodus des Speed dringt ein fernes Grollen durch die Watte, in die Bentley seine Kunden packt, mit einer empfindlichen Fußsohle spürt man vielleicht ein feines Vibrieren aus den Tiefen des Maschinenraums, und der von 48V-Stellmotoren stabilisierte Aufbau lässt einen zumindest so viel von der Straße spüren, dass zwei drei Perlen mehr aus dem Champagner steigen.
Doch wo Sportwagen gerne bocksteife Knochenschüttler sind, die lautstark brüllen und jeden teilhaben lassen an ihrem Ringen um Bestwerte und Idealline, straft der Bentayga die die Trägheit der Masse mit einem leisen aber deshalb nicht minder souveränen Lächeln lügen. Allerdings sollte sich der Fahrer von dieser inneren Ruhe nicht einlullen und ablenken lassen: Wer ein Dockschiff mit so viel Dampf bewegt, bleibt besser hellwach. Denn der Bentley kann die Grenzen der Physik zwar gewaltig dehnen, aber die Gesetze von Newton & Co gelten am Ende auch für ihn. Und dieses Ende kann ziemlich plötzlich kommen.
Zahlen werden zu Marginalien
So viel Eindruck dieser Elefant in Eile auch schinden mag – den Unterschied zum Grundmodell kann man vielleicht messen, aber sicher nicht fühlen. Denn auch ohne Speed-Tuning zelebriert der Bentayga in jeder Hinsicht so einen Überfluss, dass 27 PS, 0,2 Sekunden und fünf km/h zu Marginalien werden. Genau wie die Alcantara-Landschaften im Cockpit oder die dunkel lackierten Anbauteile oder der fast schon dezente Spoiler am Heck.
Dass der Besitzer trotzdem einen Unterschied spürt, ist deshalb wohl weniger den Ingenieuren zu verdanken als dem Händler. Schließlich erhebt der für den Speed einen Eilzuschlag von 20.000 Euro. Dafür mögen sich Normalsterbliche ein ganzes Auto kaufen. Doch bei einer Marke, wo man selbst für Leder mehr ausgeben kann als manch einer für eine Immobilie, sind das wahrscheinlich nur Peanuts.
Porsche machte Wettrüsten nicht mit
In Crewe mögen sie die Rückkehr an die Spitze im Wettstreit der schnellen SUV jetzt bejubeln und in Sant’Agata werden sie ein bisschen traurig sein. Doch der eigentliche Verlierer in diesem Rennen sitzt in Stuttgart.
Denn auch der Porsche Cayenne gehört zu dieser schnellen Familie und wenn in diesen Tagen das neue Cayenne Coupé an den Start geht, hätte das durchaus um die Führung mitfahren können – doch selbst der Turbo kommt gerade mal auf 286 km/h und sieht vom neuen Speed deshalb nur die Rücklichter, die bei dieser Differenzgeschwindigkeit ziemlich schnell aus dem Blick verschwinden werden. Aber wer bei aller Faszination für die Technik dann doch den Verstand anstellt, der kommt zur Erkenntnis, dass man ein solches Auto eigentlich nicht wirklich braucht. (SP-X)