Der Audi RS6 Avant neigt nicht zum Understatement. Eine Leistung von 600 PS sind bei diesem Kombi ebenso eine Ansage wie eine Höchstgeschwindigkeit von 305 km/h.
Wäre nicht der brachiale Sound dieses Achtzylinders am Start – der Fahrer könnte sich am Steuer eines Elektro-Sportwagens wähnen, so ansatzlos rauscht es voran. Und wäre da nicht diese lange dunkle Höhle hinter den Frontsitzen, es müsste eigentlich ein Porsche, Lamborghini oder Ferrari sein.
Der Audi RS6 Avant geht in seiner neuesten Variante kompromissloser zur Sache als je zuvor. Die 3,6 Sekunden bis zum Erreichen der 100-Stundenkilometer-Marke entfaltet der Biturbo so ansatzlos wie sonst nur geduckte Sportwagen oder eben ein batteriebetriebenes Tesla Model S. Den wird der rasende Fahrer auch nach 12 Sekunden bei Tempo 200 noch nicht abgehängt haben – aber die 600 PS erlauben ja eine Höchstgeschwindigkeit auf Zeigerstand 305. Dazu muss sich der Käufer allerdings noch 12.500 Euro für das Dynamik Plus-Pakt gönnen. Das 117.500 Euro teure Basismodell ist bei 250 Sachen abgeregelt.
Automatische Zylinderabschaltung
Aber es geht auch anders. Wer nur sanft und fast unhörbar vom Parkplatz des Privatkindergartens losrollt, lässt automatisch vier der acht Zylinder per Abschaltung ruhen. Davon ist in diesem Zustand absolut nichts zu spüren; beim Erwachen aller acht Töpfe per beherzterem Tritt aufs Gaspedal ist es aber aus mit der Zurückhaltung.
Der RS6 Avant ließe sich wohl theoretisch auch deutlich unter den 11,5 Litern Durchschnittsverbrauch bewegen, wenn der Fahrer die Askese auch auf längeren Strecken fortsetzt. Denn erstmals in einem RS-Modell haben die Macher dem Achtzylinder einen elektrischen Helfer verpasst. Der 48-Volt-Mildhybrid kann über einen Riemen-Starter-Generator Strom gewinnen – und je nach Temperament des Nutzers zum Boosten oder Segeln verwenden. 40 Sekunden lang ist der Kombi dann emissionslos wie ein Stromer unterwegs, im Alltag soll das 0,8 Liter Verbrauch sparen.
Auch für die Rennstrecke gemacht
Der Alltag kann ja auch auf abgesperrtem Geläuf stattfinden. Der RS6 Avant ist schließlich beileibe nicht nur ein Geradeaus-Performer und -Poser für den Ampelstart. Dieses Gefährt ist rennstreckenfreundlich. Die Mannen von Audi Sport haben dem Zweitonnen-Trumm dazu zumindest bei Dynamik-Plus so ziemlich alles mitgegeben, was aus dem Rennsport in ein Straßenfahrzeug transferierbar scheint. Allradantrieb plus mechanisch arbeitendem Mittendifferenzial sind immer Serie: Tritt an einem Rad Schlupf auf, gelangt automatisch mehr Antriebsmoment an die Achse mit der besseren Traktion.
Das kurveninnere Rad wird zudem leicht angebremst, bevor unerwünscht hoher Schlupf auftreten kann. Und die optionale Allradlenkung macht den RS 6 Avant vor allem beim Durchfahren enger Kurven extrem agil. Die Verbindung zur Straße ist so direkt, wie es sich kaum besser wünschen lässt.
Schon die serienmäßige Luftfederung ist sportlich fahrbar, mit dem Vorteil: Sie kann auch Sänfte und beim Einhängen auf der Anhängerkupplung einen Knicks machen. Mit dem optionalen Sportfahrwerk mit Stahlfedern und dreistufig einstellbaren Dämpfern geht es noch mal näher ans Rennerlebnis. Etwas näher, und nur für den sehr ambitionierten Grenzgänger.
Glänzendes Handling inklusive
Diese Ausstattung sorgt dafür, dass sich der 4,89 Meter-Kombi behände wie ein deutlich kompakterer Sportler um die Kurven zirkeln lässt. Die Hände am vollperforierten Lederlenkrad kommen nie ins Schwitzen, sämtliche Assistenten und das in Sport-Plus-Modus Krallen zeigende Fahrwerk halten den RS6 Avant auch bei extremen Fahrten in der Spur. Das kann sonst im Konzern wohl nur der Porsche Panamera.
Der Zuffenhausener ist denn auch in seiner Sport-Turismo-Variante ein neuer Rivale für den RS6 Avant, weshalb Audi die neue Version am Pazifikstrand des Surfer-Paradieses Malibu präsentiert. Erstmals wird der Über-A6 nämlich auch in den USA angeboten, wo die Konkurrenten von Mercedes-AMG oder Porsche mit solchen Konzepten schon länger Erfolge feiern. Dazu kommt wie erwähnt Teslas Limousine Model S, die in Kalifornien bestens etabliert ist.
Wenig Teile aus der Normalserie
Aber ein halbes Dutzend Surfbretter, die schafft so lässig-elegant eben nur der RS6 Avant hinter die Heckklappe; womit wir bei den inneren Werten wären. Alles Fühlbare ist mit Leder und Alcantara ausgeschlagen, je nach Wahl mit Karbon, Aluminium oder Holz abgesetzt.
Mit dem tiefschwarzen-Grill und dem messerscharf zuschneidenden Laserlicht aus dem RS7 zeigt er, dass hier etwas Besonderes anrollt. 22-Zoll-Räder sind ebenfalls eine Ansage – und die acht Zentimeter mehr Breite fallen neben einem normalen A6 auch sofort auf. Aber eben nur dann. Sonst bleibt der Kombi so dezent wie die Vorgängergenerationen.
Weniger dezent dürfte allerdings das Investment für den RS6 Avant gewesen sein: Denn nur das Dach, die Vordertüren und die Heckklappe stammen aus der Normalserie. In den goldenen Zeiten wäre jeder Premiumhersteller auf dieses Faktum stolz gewesen. (SP-X)