Mit nur zwei Litern Hubraum kommt der stattlichste Volvo inzwischen aus. Wie sich der XC 90 als elektrisch unterstütztes SUV im Alltag schlägt, sagt unser Praxistest.
Ein weiterer Buchstabe ziert die für Neulinge nicht immer ganz leicht zu durchschauende Nomenklatur der Volvo-Pkw: Das „B“ sieht man nun am Heck der Mild-Hybriden des schwedischen Herstellers und seit der chinesische Geely-Konzern in Göteborg das Zepter führt, wird konsequent elektrifiziert. Beim Flaggschiff der Marke, dem XC 90, bedeutet das Zusatzschub durch 48-Volt-Bordsystem und elektrischen Verdichter zusätzlich zum Turbolader des Verbrenners.
Der XC90 ist nicht irgendein SUV. Er war das erste Fahrzeug der Marke in dieser Kategorie und wurde seit seinem Escheinen 2002 zwischenzeitlich sogar mit V8-Motor angeboten. Er spielt in einer Liga mit Audi Q7, BMW X5, Mercedes GLE und Volkswagen Touareg. Kein Wunder also, dass er in Leistung und Komfort diesen Wettbewerbern ebenbürtig sein möchte. Aber geht das mit nur 1969 Kubikzentimetern Hubraum?
Sicherheit als Markenkern
Preislich kann man dem „Volvo XC90 Benzin Mild-Hybrid AWD Inscription“, so die offizielle Bezeichnung des Testwagens, uneingeschränkt Augenhöhe mit den deutschen Premium-Herstellern bescheinigen. Ohne kostenpflichtige Sonderausstattungen belief sich der Preis auf 75.750 Euro. Dafür bringt der leckere Schwedenhappen allerdings auch eine Menge appetitlicher Kost auf den Tisch. Bekanntlich gehört ein Spitzenniveau an Sicherheits-Features zum Markenkern Volvos, aber auch Annehmlichkeiten wie Klimaautomatik, Sitzheizung, Stauassistent, Einparkhilfe, elektrische Sitze und elektrische Heckklappe, LED-Scheinwerfer, Sonnenrollos für die hinteren Seitenfenster, zwei USB-Schnittstellen, DAB-Empfang und Isofix-Kindersitzbefestigungen sind inklusive.
Zwar fehlen dem Wagen fünf Zentimeter am Fünf-Meter-Kaliber, doch sind die Raumausnutzung und dementsprechend das Platzangebot vorbildlich. Selbst bei der Auslegung als Siebensitzer (+1550 Euro) bekommen die Passagiere der dritten Reihe keine „billigen“ Plätze, sondern ausreichend große Polster inklusive vollwertiger, aber einklappbarer Kopfstützen. Sehr praktisch ist die um zehn Zentimeter verschiebbare zweite Sitzreihe. Hinter ihr sind normal 680 Liter Stauraum verfügbar. Legt man die Lehnen um, entsteht ein Volumen von fast 1900 Litern und eine absolut ebene, mehr als zwei Meter tiefe Ladefläche. Dank des adaptiven Luftfahrwerks (+2270 Euro) lässt sich das Heck bis auf 78 cm Ladehöhe absenken.
„Eco“-Gedächtnis bleibt gefordert
Zwischen den Türverkleidungen genießen die Insassen vorn 1,50 Meter Kabinenbreite, in der zweiten Reihe sind es noch 1,47 Meter. Alternativ zur in dieser Klasse üblichen Lederpolsterung bietet Volvo „Tailored Wool Sportsitze“ an (+1550 Euro), die sich durch hervorragende Passform, vielfältige Einstellmöglichkeiten und ein Textilgemisch aus Schafwolle und recycelter Polyesterfaser auszeichnen. Diese Eigenheit werden wohl vor allem jene Kunden schätzen, die wissen, dass gekrönte Häupter sich in ihren Droschken von jeher gern auf Stoffpolstern chauffieren ließen, während die Kutscher auf Lederbänken sitzen mussten. Kostspieligste Einzeloption des Testwagens war das Xenium-Pro-Paket, das für 4950 Euro Einparkhilfe vorn, Head-Up-Display, Infotainment-System mit Harman-Kardon-Soundanlage, Panoramadach und 360-Grad-Surroundview vereint. Gemeinsam mit 21-Zoll-Winterrädern kam der Testwagen auf 100.770 Euro.
Der Starter-Drehknopf auf der Mittelkonsole als Reminiszenz an Volvos Luftfahrthistorie ist ebenso geblieben wie nüchterne, aber funktionale Cockpitgestaltung. Wartungsfreundlich ist die von zwei Gasdruckfedern gehaltene Motorhaube, die fast bis zur Senkrechtstellung öffnet. Unter ihr verrichten der Reihenvierzylinder mit Zylinderabschaltung nebst Turbolader, Startergenerator und E-Kompressor ihren Dienst. Bei 5400 Umdrehungen bringen sie 300 PS zusammen, wobei die E-Maschine 14 PS sowie 40 Newtonmeter Drehmoment beisteuert. Das Achtgang-Doppelkupplungsgetriebe leitet die Kraft bei geringer Leistungsanforderung an die Vorderräder, je nach Fahrsituation werden im Allradbetrieb bis zu 50 Prozent an die Hinterachse geleitet.
Zum Wechsel der Fahrtrichtung muss der aus Acrylglas gefertigte Schaltknauf zweimal gedrückt werden. Wohl um Fehlbedienungen zu vermeiden, ist ein direkter Wechsel von Vor- auf Rückwärts und umgekehrt nicht möglich. Das kann nerven, wenn es für eine 180-Grad-Wende mal schnell gehen muss. Außerdem sollte es in einem auf Effizienz getrimmten SUV möglich sein, den Fahrmodus auf „Eco“-Betrieb zu fixieren, denn nicht jeder auf Sparsamkeit Wert liegende Fahrer denkt beim neuerlichen Fahrantritt daran, die Walze in der Mittelkonsole einen Schritt weiter zu drehen.
Souverän und übersichtlich
Von der geräuscharmen und komfortablen, druckvollen und dynamischen Gangart des XC90 kann man sich schnell einfangen lassen. Zwar mag die Akustikverglasung (Aufpreis 900 Euro) ihren Teil zur Ruhe beitragen, aber auch die Lenkpräzision und die souveräne Stoßdämpfung, geringe Seitenneigung und gute Übersichtlichkeit prägen das angenehme Fahrgefühl. Die Begrenzung der Höchstgeschwindigkeit auf 180 km/h ist kein Makel, mit moralischer Überlegenheit räumt man gern die linke Spur für aufgemotzte Renn-Semmeln.
Schade nur, dass der Testwagen bei den Verbrauchs-Erwartungen einiges schuldig bleibt. Sein Gewicht von immerhin 2150 Kilogramm dürfte dabei ausschlaggebend gewesen sein.
So muss der ansonsten mit vielen guten Eigenschaften glänzende XC90 B6 als weiteres Beispiel dafür gelten, wie weit Prüfstands- und Praxiswerte auseinander liegen können. Nach NEFZ-Verfahren hat der Wagen laut Volvo 7,4 Liter/100 km verbraucht, nach WLTP-Zyklus kamen 9,1 Liter im Mittel heraus. Überwiegende Zurückhaltung im Gasfuß konnte in diesem Test nicht verhindern, dass der Bordcomputer am Ende 10,9 Liter errechnete, während das Langzeit-Protokoll über die letzten 3000 Testkilometer sogar 11,4 Liter auswarf. Bleibt zum Trost die Annahme, dass Kunden, die in sechsstelligen Preisregionen ihre Fahrzeuge suchen, sich davon wohl nicht schrecken lassen werden.