Nissan Micra 1.2: Kompromisse für das Weltauto

Sparsamer Kleinwagen

Nissan Micra 1.2: Kompromisse für das Weltauto
Der Nissan Micra half kräftig beim Rekordhalbjahr mit. © Nissan

Der Nissan Micra muss sich in 160 Ländern gleich gut beweisen. Für deutsche Verhältnisse wirkt der Kleinwagen etwas retro, was zugleich aber auch Vorteile bietet.

Von Holger Holzer

Weltmeister, Weltrekord, Weltstar, Weltauto. Einer der Begriffe passt nicht in die Reihe. Denn während die ersten drei wohl unumstritten positive Assoziationen wecken, ist das beim vierten nicht unbedingt der Fall. Nissan hat sich davon nicht beirren lassen und mit dem aktuellen Micra wieder ein Weltauto gebaut. Was das für deutsche Kunden bedeutet, klärt ein Test.

Nissan Micra in über 160 Ländern am Start

In mehr als 160 Ländern wird der Micra technisch und optisch ohne größere Anpassungen angeboten. Der Kleinwagen muss sich in den Megastädten Asiens genauso gut schlagen wie in der russischen Tundra oder in den Anden Südamerikas. Unterschiedliche Straßen, Kraftstoffqualitäten, Fahrgewohnheiten und Geschmäcker dürfen nirgends auf der Welt ein Kaufhindernis sein. Das erfordert Kompromisse.

Die Ausrichtung auf einen weltweiten Massengeschmack sieht man der mittlerweile vierten Micra-Generation somit gleich auf den ersten Blick an. Stach der Vorgänger mit seinem rundlichen Retro-Design noch aus dem Kleinwagen-Einerlei heraus, verschwindet der Neue komplett in der grauen Masse. Neben aktuellen Wettbewerbern wie Kia Rio, Mazda2 oder Seat Ibiza wirkt der Nissan mit seinem schüchternen Kühlergrill, den konturlosen Flanken und dem schmucklosen Heck wie ein Modell von vorgestern. Der Eindruck setzt sich im Innenraum fort. Alle Bedienelemente sind zwar logisch und griffgünstig angeordnet, im kühlen Kunststoff-Klima möchte aber keine wohnliche Stimmung aufkommen.

Viel Platz und gute Übersicht im Nissan Micra

Der Nissan Micra gibt sich dünnblechig Nissan

Optik mag Geschmackssache sein. Aber auch bei Körperkontakt kann der Micra kaum Zuneigung wecken. Wer etwa die klapprig wirkende Fahrertür öffnet, fühlt sich bereits an das 8000-Euro-Auto Nissan Pixo oder einen Kleinwagen von vor 20 Jahren erinnert. Insgesamt ist der Japaner zu dünnblechig, zu leicht und irgendwie zu wenig Auto. Selbst, wenn man den niedrigen Einstiegspreis von 10.740 Euro berücksichtigt.

In anderer Hinsicht hat die altmodische Machart aber auch Vorteile: So stimmt die Raumökonomie im Gegensatz zu einigen Konkurrenten, die eher als Scheinriesen auffallen. Fahrer und Beifahrer haben ordentlich Platz und sitzen luftig. Hinten können es zwei Erwachsene auch mal auf längeren Strecken aushalten, zudem fällt der Einstieg durch die großen Fondtüren leicht. Auch die gute Übersichtlichkeit vom Fahrersitz aus ist man in dieser Klasse fast nicht mehr gewohnt.

Nissan Micra sparsam im Verbrauch

Viel Platz bietet der Nissan Micra für die Insassen Nissan

Beim Antrieb herrscht Sparsamkeit – sowohl produktionstechnisch als auch beim Verbrauch. Einen einzigen Motor gibt es weltweit, angeboten mit und ohne Aufladung – so reduziert sich die Komplexität in den Werken. Der 1,2-Liter-Dreizylinder trifft dabei durchaus den deutschen Geschmack. 59 kW/80 PS und 110 Nm Drehmoment machen zwar keine großen Sprünge möglich, reichen für den Stadtverkehr aber problemlos aus.

Dort macht der Micra mit seinen kurzen Abmessungen, der leichtgängigen Lenkung und dem etwas polterigen, aber komfortablen Fahrwerk auch insgesamt eine gute Figur. Knapp sechs Liter Verbrauch im Großstadtgewusel gehen ebenfalls in Ordnung. Ein Start-Stopp-System wäre aber angemessen und würde den Durst weiter zügeln – wird aber nur für die stärkere und deutlich teurere Kompressor-Version (ab 13.440 Euro) mit 72 kW/98 PS angeboten.

Nackte Basisversion des Nissan Micra

Der Nissan Micra lässt sich leicht beladen Nissan

Was dem Micra in Sachen Flair und Ambiente mit Blick auf die preissensiblen Schwellenländer vorenthalten wurde, soll einen ungewohnt üppige Optionsliste bei der deutschen Kundschaft wieder ausgleichen. So kann der Kleinwagen mit in seiner Klasse seltenen Extras wie Lederpolstern, Parklückenvermessung, CVT-Automatik und Touchscreen-Navigationssystem auf westlichen Geschmack getrimmt werden. Gegen Aufpreis natürlich.

In der Basisversion kommt der Micra eher nackt daher. Servolenkung, ESP und sechs Airbags sind zwar an Bord, Klimaanlage und Radio kosten aber bereits extra (1500 Euro). Trotzdem unterbietet er die meisten asiatischen und europäischen Konkurrenten beim Preis knapp.

Nissan Micra für kühle Rechner

Der Nissan Micra wirkt brav und bieder Nissan

Unterm Strich hat es der durchaus solide Micra aber schwer gegen die immer glamourösere Kleinwagen-Konkurrenz. Der kleine Japaner kommt viel zu brav und bieder daher, allenfalls ganz nüchterne Rechner kommen bei ihm auf ihre Kosten.

Nissan mag das egal sein. Mit dem kleinen Crossover Juke haben sie eine Alternative für anspruchsvollere Kunden im Programm. Und vor allem: Deutschland ist für den Autokonzern nicht der Nabel der Welt. Was hierzulande vielleicht billig wirkt, ist in Indien, Brasilien oder Russland gerade recht. (SP-X)

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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