Der Nio ET7 sieht sich in Konkurrenz zum Mercedes EQS. Ist soviel Selbstbewusstsein gerechtfertigt. Wir haben es gestetet.
Der chinesische Automobilhersteller Nio will anders sein. Das geht so weit, dass dabei sogar die Fahrzeuge selbst manchmal in den Hintergrund zu geraten drohen. Wir sind das erste, ab sofort erhältliche Modell der Marke gefahren; den Nio 7, eine Luxuslimousine im Format des Mercedes EQS. Sein Preis? Den gibt es nicht, da das Modell ausschließlich im Auto-Abo angeboten wird.
Wir nähern uns Produkten aus China immer noch mit einer gewissen Vorsicht. Vielleicht, weil die ersten Versuche der Fernost-Marken vor 15 Jahren damals so gründlich schief gingen. Aber für Arroganz gibt es keinen Anlass, die heutigen Modelle aus China muss man unbedingt ernst nehmen. Und den Nio ET 7 erst recht.
Länge von 5,10 Metern
Denn in den üppige 5,10 Meter messenden Viertürer wurde so ziemlich alles gesteckt, was moderne Automobiltechnik so hergibt. Das fängt schon mal beim Antrieb an, den zwei Elektromotoren mit einer Gesamtleistung von 654 PS übernehmen, die 850 Newtonmeter Drehmoment auf die Achsen bringen. Das geht weiter mit einem ansprechenden Design, einem hochwertigen, penibel verarbeiteten Innenraum und einer Komplettausstattung inklusive aller denkbaren Assistenten, die ihren Namen verdient. Außer Farben, Rädern und dem Ankreuzen einer Anhängerkupplungs-Option gibt es nichts zu wählen.
Nein, stimmt nicht. Eine für ein Elektroauto durchaus wichtige Entscheidung muss noch getroffen werden. Nämlich, ob es eine Batterie mit 75 oder 100 kW/h Kapazität sein soll. Was bei den Maximalreichweiten einen Unterschied von 135 Kilometer ausmacht, 445 Kilometer schafft der Nio mit der kleinen, bis zu 580 mit dem großen Akku. Im kommenden Jahr ergänzt dann eine 150-kW/h-Batterie das Angebot; der Semi-Feststoffakku soll Reichweiten bis an die 1.000 Kilometer ermöglichen.
Batterietausch statt Ladepause
Womit wir beim Laden wären, dem in der heutigen E-Auto-Welt vielleicht wichtigsten Thema. Und hier geht Nio einen eigenen Weg. Während der Nio 7 nämlich beim konventionellen Laden mit einer maximalen Ladeleistung von 11 kW (AC) bzw. 130 kW (DC) eher enttäuscht, bietet das Fahrzeug die bisher einzigartige Möglichkeit, die Batterie an einer sogenannten Swap-Station komplett zu wechseln.
Tausche (fast) leer gegen voll: Das funktioniert innerhalb von 5 Minuten, wie wir an einer Station in Berlin-Spandau selbst erfahren konnten. Bisher gibt es allerdings in Deutschland nur diese und eine weitere Station an der A8 in Bayern. Eine dritte in der Nähe von Düsseldorf soll folgen.
20 Wechselstationen sollen folgen
Insgesamt plant Nio noch in diesem Jahr den Bau von 20 Stationen in Europa, bis 2025 sollen es über 1.000 werden, allerdings weltweit, mit Ausnahme von China. Immerhin werden die meisten davon laut Nio-Deutschland-Geschäftsführer Ralph Kranz nach Europa und von diesen wiederum die meisten nach Deutschland kommen. Das Problem sei nicht die Technik, sondern das Auffinden geeigneter Standort vornehmlich an Autobahnen und an den Rändern großer Städte.
Steht das Netz, sollen der ET 7 sowie alle Folgemodelle lange Reisen ohne Reichweitenangst erlauben. Ein Wechsel kostet dann 10 Euro plus Stromkosten, die sich aus der Differenz des Ladezustands zwischen abgegebenem und aufgenommenem Akku ergeben.
Komfortable Abstimmung
Auf die lange Reise zumindest mit der großen Limousine darf man sich dann schon mal freuen, allerdings derzeit nur in Skandinavien, den Niederlanden und Deutschland, nur dort ist der Newcomer bisher vertreten.
Der ET 7 ist komfortabel abgestimmt, bei Bedarf sauschnell in unter 4 Sekunden auf Tempo 100 und schafft bis zu 200 km/h Spitze. Zudem ist er relativ sparsam: Auf unserer längeren Testfahrt auch mit schnellen Autobahnabschnitten blieb der Durchschnittsverbrauch bei unter 18 kW/h pro 100 Kilometer.
Auch optisch weiß der Nio 7 zu überzeugen. Die Designer haben ganze Arbeit geleistet und so wirkt das Fahrzeug trotz seiner Länge nicht wie aus den Fugen geraten. Vorne schaut die Limousine aus modisch schmalen Scheinwerfern, hinten erinnert der Chinese uns ein wenig an Audi. In der Seitenansicht wirkt der Nio mit seiner abfallenden Dachlinie schwungvoll und harmonisch. Allerdings irritieren die auf dem Dach oberhalb der Windschutzscheibe angebrachten und nachträglich aufgesetzt wirkenden Sensoren und Kameras.
Kleiner Kofferraum
Perfekt ist das Fahrzeug also nicht. Neben der für ein Auto dieser Klasse unterdurchschnittlichen Ladeleistung fiel uns auch der kleine Kofferraum mit nur 370 Litern Fassungsvermögen negativ auf. Richtig nervig und leider an Tesla erinnernd ist die Einstellung von Außenspiegeln und Lenkrad über den Touchscreen. Gewöhnen muss man sich auch an Nomi.
Zum einen war der im Testwagen noch ausschließlich Englisch sprechende Assistent noch ziemlich begriffsstutzig, zum anderen wird viele Europäer die visuelle Umsetzung irritieren. Thront doch oben auf dem Armaturenbrett eine Art Miniroboter mit kleinem Display, der mit „Augen“ und „Mund“ auf menschlich macht.
Kein Kauf möglich
Kommen wir zum Preis, ober eben auch nicht. Denn den „einen Preis“ gibt es für den ET 7 nicht, weil er schlichtweg nicht zu kaufen ist. Gewerbetreibende können ihn leasen, aber stolz ist man bei Nio vor allem auf das Abo-System. Es ist einigermaßen kompliziert, aber im Kern gibt es zwei Möglichkeiten, das Auto zu mieten. Entweder zu einem festen Preis und über einen festgelegten Zeitraum von 12 bis 60 Monaten. Oder flexibel über Zeiträume von einem bis 60 Monaten bei monatlicher Kündigung. Das kommt zunächst teurer, je länger man den ET 7 bei diesem Modell aber behält, desto niedriger werden die Raten. Mit kleiner Batterie startet das Fahrzeug im Flex-Abo bei 1.550 Euro, wer sich auf einen Zeitraum festlegt, zahlt mindestens 1.200 Euro.
Man wird sehen, wie das Abo-Modell ankommt. Grundsätzlich will Nio es auch bei allen anderen Fahrzeugen anwenden. Im Frühjahr kommt mit dem ET 5 eine Limousine der Mittelklasse und mit dem EL 7 ein SUV; immer mit den gleichen, swapfähigen Batterien. Insgesamt legt Nio mit dem ET 7 schon mal einen guten Start hin. Der technische Aufwand und die Sonderlösungen bei Technik und Vermarktung legen nah, dass die Chinesen gekommen sind, um zu bleiben. Ob das die Kunden auch so sehen, ist eine spannende Frage. Und ob er ein Konkurrent zum EQS von Mercedes ist, darf eher bezweifelt werden.