Der Kia Rio ist vom hässlichen Entlein zum schönen Schwan mutiert. Dabei hat der Kleinwagen aus Korea nicht nur bei der Optik zugelegt, sondern auch unter der Motorhaube.
Von Jens Meiners
Wie schnell sich Markenimages wandeln können, ist derzeit schulbuchmäßig an Koreas Autoherstellern zu studieren - und zwar nicht nur bei neuen Modellen wie dem gehobenen Kia Optima oder dem kompakten Hochdach-Kombi Soul, sondern sogar bei einstigen Billig-Modellen wie dem Rio, der sich an der Schwelle vom Kleinwagen zur Kompaktklasse bewegt. Bisher galt dieser Typ weder als Ausweis guten Geschmacks noch besonderer Technik-Affinität - ganz im Gegenteil. Schon optisch könnte deshalb der Sprung zum aktuellen Modell kaum eindrucksvoller sein: Die von dem Italiener Massimo Frascella gezeichnete Karosserie ist ebenso muskulös wie wohlproportioniert - vielleicht gibt es in dieser Klasse kein besser geformtes Automobil.
Premium-Akzente im Kia Rio
Die schöne Form würde zwar nicht genügen, um Modell und Marke neu zu positionieren. Doch auch auf den zweiten Blick überzeugt der Rio: Fugenbild und Verarbeitung sind auch im Detail hochwertig ausgeführt; die Türgriffe liegen gut in der Hand. Und schließlich gefällt auch das Interieur, das erhebliche Einflüsse von Volkswagen und Audi erkennen lässt - kein Wunder, hat doch Kia-Chefdesigner Peter Schreyer bei diesen Marken bereits höhere Weihen erfahren, bevor er zu den Koreanern wechselte.
In der von uns gefahrenen, vollausgestatteten Top-Variante setzt Kia überall Premium-Akzente - beispielsweise mit einer Drucktasten-Klimaautomatik, einem Multifunktions-Lenkrad oder einem perfekt integrierten Navigationssystem mit Rückfahrkamera. Lediglich die Instrumentierung in Tubenoptik wirkt etwas zu gewöhnlich, und wir haben auch schon hochwertigere Sitzpolster in dieser Klasse gesehen. Schade, dass es auf dem deutschen Markt für das Interieur ausschließlich langweiliges Schwarz angeboten wird. Dennoch bleibt festzuhalten, dass Kia in einem einzigen Generationensprung die Japaner praktisch überholt - und sich bereits dem Klassenstandard, nämlich der Volkswagen-Gruppe, nähert.
Abstriche beim Fahrwerk des Kia Rio
Etwas weniger überzeugend als die optische und qualitative Anmutung nimmt sich das Fahrwerk des Rio aus. Es basiert prinzipiell noch auf dem Vorgängermodell, wurde allerdings in vielen Komponenten verstärkt. Die Karosserie ist steifer als früher, obwohl das Gewicht relativ konstant geblieben ist - allerdings auf hohem Niveau. Wunder hat man damit nicht geschafft.
Die elektrische Servolenkung vermittelt zu wenig Fahrbahnkontakt, im Grenzbereich untersteuert der Rio deutlich. Wer es weniger forciert angehen lässt, darf sich über die komfortable Federung und das niedrige Geräuschniveau freuen. Und auch das Platzangebot sorgt dafür, dass man sich im Kia Rio wohlfühlt. Auf allen Plätzen ist genügen Bewegungsfreiheit, und der Kofferraum fasst mindestens 288 Liter.
Sonne und Schatten beim Topdiesel des Kia Rio
Kultivierte Manieren legt der 1,4-Liter-Vierzylinder-Diesel an den Tag, der als Spitzenmotorisierung der Baureihe fungiert. Er leistet 66 kW/90 PS und gibt maximal 220 Nm Drehmoment ab. Das klingt gut, die Fahrleistungen lassen allerdings zu wünschen übrig: Der Sprint von 0 auf 100 km/h dauert betuliche 14,1 Sekunden, und bei knapp über 170 km/h ist Schluss mit dem Vortrieb.
Den angegebenen Durchschnittsverbrauch von 4,3 Litern pro 100 Kilometer haben wir um gut anderthalb Liter überboten. Für die Kraftübertragung sorgt ein exzellentes Sechsgang-Handschaltgetriebe.
Einstiegs-Kia Rio zum Kampfpreis
Ein vielsagendes Kapitel ist die Preispolitik. Mit dem 1,2-Liter-Einstiegs-Benziner und drei Türen steht der Rio zwar für einen Kampfpreis von 9990 Euro in der Liste - vermutlich nur, um VW zu ärgern und ein weitaus größeres und stärkeres Modell zum Tarif eines Up anzubieten. Doch eine Klimaanlage ist für dieses Modell nicht zu bekommen; seine Farbpalette beschränkt sich auf die Farbe Weiß.
Wer auf gute Ausstattung Wert legt, muss relativ tief in die Tasche greifen; das von uns getestete Spitzenmodell kommt mit den entsprechenden Optionen gar auf über 20.000 Euro. Dieser Preis ist zwar in Anbetracht des Gebotenen noch immer angemessen, aber beileibe kein Sonderangebot mehr. Dass Kia das frühere Preisdumping nicht mehr nötig hat, ist nur ein weiteres Indiz für den gelungenen Imagewandel. (SP-X)