Wirklich jetzt? Der Kia EV Niro EV wartet nur mit einer maximalen Ladeleistung von knapp über 80 kW auf. Das ist für ein aktuelles Elektroauto nicht mehr zeitgemäß.
Nein, das ist wirklich kein Tippfehler. Mit etwas mehr als 80 kW kann man die 64,8 kW starke Batterie des Niro EV an einer Schnellladestation nicht laden. Schaut man sich bei der Konkurrenz um, dann ist es deutlich mehr. Der VW ID.3 lädt mit mindestens 120 kW, beim Renault Megane Electric sind es 130 kW und beim Avenger immerhin noch 100 kW. Eigentlich das Minimum für moderne Elektroautos. Ganz zu schweigen vom großen Bruder des Niro EV, dem Kia EV6. Er lädt dank seiner 800 Volt-Architektur mit über 200 kW.
Gut, man kann einwenden, dass über 90 Prozent aller Ladevorgänge an der heimischen Wallbox stattfinden. Da spielt Zeit keine Rolle – und die Ladeleistung auch nicht, da hier ohnehin nur maximal 22 kW zur Verfügung stehen. Der Ladeanschluss am Niro EV befindet sich übrigens unter der Fronthaube.
Nur ein paar Minuten länger
Doch es gibt halt auch immer mal wieder die Situationen, in denen man mit seinem Elektroauto auf die Langstrecke geht. Und wer des dort eilig hat, der mag seine Zeit nicht unnötig an der Ladestation vertrödeln. Also ist der Niro EV ein No-Go für eine lange Tour?
Wir wollten es genau wissen und sind mit ihm von Berlin nach Österreich an den Millstätter See gereist. Eine Strecke von rund 870 Kilometer. Für sie braucht man laut Google Maps knapp über neun Stunden (ohne Ladestopps, Pausen und Staus). Rein rational betrachtet muss man festhalten, dass man – wenn man ohnehin so lange unterwegs ist – pro Ladevorgang auch ein paar Minuten länger veranschlagen kann. Schließlich setzt man seine Fahrt umso entspannter fort, je ausgedehnter die Pause war.
Laden mit über 63 kW
Doch wieviel länger braucht man nun mit dem Niro EV im Vergleich beispielsweise zum Megane Electric mit seiner 60 kW-Batterie. Das sind die Zahlen: Für die Ladung beim Franzosen mit seiner höheren Ladeleistung braucht man laut Datenblatt für 10 auf 80 Prozent 40 Minuten. Beim Kia sind es gerade einmal fünf Minuten mehr. Beides setzt Idealbedingungen voraus.
Doch welche Performance zeigt der Niro EV in der Realität. Hier startete der Koreaner bei einer vorkonditionierten (wichtig) Batterie kurzzeitig sogar mit 83,1 kW, um dann im Durchschnitt bei konstanten 63,1 kW zu laden. Bei der Betrachtung der Ladeleistung sollte man halt auch immer die Konstanz der Ladekurve im Blick haben. Doch zum Glück kommt es bei einem E-Auto nicht nur darauf an, wie schnell er lädt, sondern vor allem, wie effizient er fährt. Und hier erweist sich der Kia Niro EV als Musterschüler: Bei unserem Dauertest über drei Monate zeigte der Bordcomputer einen Verbrauch von exakt 17 kWh auf 100 Kilometern an. Ein exzellenter Wert. Und die, die vor allem in der Stadt unterwegs sind, dürfen sich freuen: hier haben wir ihn teils mit unter 13 kWh bewegt.
Nun auch mit EV-Routenplaner
Was bei unserem Testwagen indes etwas genervt hat, war das Fehlen eines dynamischen Routenplaners. Doch hier hat Kia nachgebessert und bringt mit einem kostenlosen Software-Update dieses Feature in seine E-Modelle. Damit erübrigt sich auf langen Strecken die Ladeplanung.
Nun werden bei der Zieleingabe in die Navigation automatisch Ladestopps unter Einbeziehung von Echtzeit-Fahrzeugdaten in die Route integriert. Reicht die Reichweite zum Erreichen des Ziels nicht aus, erscheint ein Pop-up mit möglichen Ladestationen. Bei Auswahl der Ladestation erfolgt zugleich eine Vorkonditionierung der Batterie.
Leistung von 204 PS
Doch kommen wir zu den Fahrleistungen und der Fahrdynamik. Auch hier zeigt sich der Koreaner in ausgezeichneter Verfassung. Seine Motorleistung von 204 PS ermöglicht in dem 1,8 Tonnen schweren E-SUV ein flottes Vorankommen. Wem diese Zahlen wichtig sind: Bis Tempo 100 vergehen gerade einmal 7,8 Sekunden und die Spitzengeschwindigkeit liegt bei 167 km/h an.
Wer es im Kia so schnell angehen lässt, der muss indes auch deutlich mehr als die 17 kWh/100 km während unseres Tests veranschlagen. Das Fahrwerk ist zwar straff abgestimmt, bietet aber ausreichend Komfort – und das auch auf schlechten Fahrbahnverhältnissen. Mit seinem Radstand von 2,72 Metern liegt gut auf der Straße.
Ansonsten erweist sich der Kia mit einer Länge von 4,42 Metern auch als familientaugliches Fahrzeug. Fahrer und Beifahrer finden ebenso wie die Passagiere im Fond ausreichend Platz vor. Und auch das Ladevolumen von 475 Litern lässt sich sehen, zudem stehen noch 20 Liter im Frunk zur Verfügung. Damit kann man auch als Kleinfamilie unproblematisch die Urlaubstour antreten.
Einstiegsversion kostet 45.690 Euro
Ach ja: statt einer klassischen und stabilen Kofferraumabdeckung bietet der Niro EV ein Ladenetz. Eine pfiffige Idee, da diese auch als Sonnenschutz an den Seitenschieben genutzt werden. Leider ist bei unserer Abdeckung die vordere Aufhängung gerissen. Kann passieren, doch etwas mehr Widerstandsfähigkeit wünscht man hier dann doch.
Doch das schmälert den guten Gesamteindruck des Niro EV nicht. Würde er mit einer höheren Ladeleistung vorfahren, wäre er ein nahezu perfektes Elektroauto. Wer Lust auf den Niro EV hat, der muss für die bereits gut ausgestattete Variante Vision mindestens 45.690 Euro auf den Tisch des Händlers legen. Die Topversion Inspiration steht mit 47.590 Euro in der Preisliste.