Es gibt Autos, die begeistern. Der Ferrari FF gehört dazu. Klar, er bietet Fahrleistungen wie ein rassiger Sportwagen, doch er setzt vielmehr auf Eleganz und Alltagstauglichkeit.
Von Benjamin Bissinger
Dieser Klang! Lange bevor man den Ferrari FF zum ersten Mal zu Gesicht bekommt, kann man ihn hören. Kilometerweit brüllt der Zwölfzylinder sein heiseres Lied von der Lust an der Leistung, bei dem italophile Autofans so sahnig dahinschmelzen wie weiland die Operngäste bei den Arien Pavarottis. So war es schon immer bei Ferrari und so wird es hoffentlich immer sein.
Doch was dann um die Ecke kommt, will so gar nicht zur eigenen Erwartung passen. Denn der FF ist kein reinrassiger Supersportwagen, bitterböse, brachial und rasiermesserscharf. Er ist ein großes Coupé von Eleganz und Grandezza, das man eher vor der Mailänder Scala als am Fuß der Nürburg erwartet. Und er sieht nicht nur aus wie ein gediegener Gran Tourismo, sondern hat auch dessen innere Werte: Zwei Erwachsene können vorne bequem wie in einer S-Klasse und hinten nicht schlechter als in einem BMW Sechser sitzen.
Kofferraum im Ferrari FF bietet 400 Liter Platz
Und in den Kofferraum passen bei 400 Litern Fassungsvermögen tatsächlich mehr als Kreditkarte und Kulturbeutel. Dabei schwelgt man in Lack und Leder, sucht vergebens nach dem italienischen Schlendrian, der frühere Ferraris so oft in die Werkstätten geführt hat, und stolpert stattdessen über jede Menge Extras, die man in einem Ferrari nun zu allerletzt erwartet hätte: Eine umschaltbare Frontkamera, mit der man trotz der endlos langen Haube um die Ecke schauen kann? Videobildschirme für die Fondpassagiere in den vorderen Kopfstützen? Eine Gepäckraumabdeckung wie ein Raumteiler? Oder Verzurrösen im Kofferraum? Ja bauen die Italiener jetzt plötzlich Familienkutschen?
Ja und nein. Denn dieser Widerspruch ist durchaus gewollt. Ferrari selbst spricht eher von Revolution als Evolution und rühmt den FF als einen der praktischsten Sportwagen aller Zeiten. Dass der V12-Bolide also auch für den Weg ins Büro taugt, seinen Besitzer übers Wochenende in und durch die Toskana trägt oder zur Not auch mal als Shuttle zum Kindergarten eingesetzt werden kann – das alles hatten die Magier aus Maranello durchaus auf dem Zettel.
Deshalb ist der FF auch lammfromm und handzahm, wenn man ihn mit der gebotenen Zurückhaltung bewegt. Der Zwölfzylinder säuselt so sanft und seidig, als wäre er in einer S-Klasse montiert, die an der Hinterachse angeschlagene Doppelkupplung wechselt die Gänge so schnell und spurlos, dass die Digitalanzeige kaum mitkommt, und dank des erstmals bei einem Ferrari eingebauten Allradantriebs haftet der FF mit schier magnetischer Kraft auf dem Asphalt: Wenn alle Stabilitätssysteme aktiviert sind und der Fahrer den Gasfuß ein bisschen leichter macht, kann man den Tiefflieger deshalb förmlich mit dem kleinen Finger bewegen und gewinnt den Eindruck, dass jeder Fiat Abarth giftiger ist.
Das zweite Gesicht des Ferrari FF
Doch darf man sich vom weichen Leder, der warmen Luft aus der Klimaanlage und vom sanften Säuseln des Motors nicht einlullen lassen: Ein Gasstoß genügt, und der Beau wird zu genau jenem Biest, das man von Ferrari erwartet – nicht umsonst prangt am Lenker das berühmte Manettino, nicht umsonst ist das Volant griffig wie in einem Rennwagen, und nicht umsonst flackern im Lenkkranz die roten Leuchtdioden mit dem Drehzahlmesser um die Wette.
Nur ein paar Winkelgrade mehr im Fußgelenk, dann zeigt der FF von jetzt auf sofort sein zweites Gesicht. Er wird förmlich zur Bodenrakete, die mit einem heißeren Singen auf den Horizont zufliegt. 660 PS und maximal 683 Nm – da werden selbst die 1,8 Tonnen Lebendgewicht zur Leichtigkeit, die mit einem Wimpernzucken davon fliegt. Während der Motor wütend faucht und gen 8.000 Touren dreht, die Gänge jetzt mit der Vehemenz eines Vorschlaghammers gewechselt werden und die Landschaft wie im Zeitraffer durchs Blickfeld fliegt, beschleunigt der FF in 3,7 Sekunden auf Tempo 100 und danach so mühelos weiter, dass man ihm die 335 km/h Höchstgeschwindigkeit unbesehen glauben möchte.
Dabei lässt sich auch das große und alles andere als leichte Auto spielend in der Spur halten. Mit fester Hand und starrem Blick führt man den FF so präzise über den Kurs wie ein Chirurg sein Skalpell und wartet förmlich drauf, dass irgendwann die Elektronik dem wilden Spiel an den Grenzen der Fahrphysik ein spätes Ende bereitet. Doch ist der Ferrari so gut ausbalanciert und so fein abgestimmt, dass der Fahrer früher den Mut als der Wagen die Haftung verliert.
Über Nebensächlichkeiten wie den Verbrauch darf man da allerdings nicht nachdenken. Zwar ist der gegenüber dem Vorgänger um stolze 25 Prozent gesunken. Doch schon auf dem Prüfstand gönnt sich der Zwölfzylinder im Mittel 15,4 Liter. Und wer den FF gattungsgerecht bewegt, hat schnell eine Zwei an erster Stelle. Bei einer Luxuslimousine würde man sich darüber vielleicht noch grämen, selbst wenn bei einem Grundpreis von 258.200 Euro die paar Zehner an der Tankstelle mehr oder weniger keinen Unterschied machen. Doch genau wie auf einer kurvigen Landstraße ist der FF auch an der Zapfsäule eher Sportwagen als Familienkutsche – denn nach welchem Luxusliner würden sich schon so viele Neugierige umdrehen wie hier? Bei so viel Beachtung zahlt man dem Tankwart doch gerne einen kleinen Bonus.
Der Spagat ist groß und gewagt. Und viele Ferrari-Kunden fahren lieber weiter ihren 599 und warten bis zur Markteinführung des in Genf enthüllten F12 Berlinetta. Doch für die Italiener geht die Rechnung trotzdem auf: Denn der FF ist deshalb nicht minder beliebt. Er zieht die Kunden vor allem von der Konkurrenz ab: 70 Prozent der FF-Käufer haben vorher einen Bentley oder einen Aston Martin gefahren. Und wer am Erfolg des Grenzgängers zweifelt, dem empfiehlt Ferrari ein Blick auf die Lieferfristen: Ohne ein Jahr Wartezeit geht gar nichts. Ladenhüter jedenfalls sehen anders aus. (SP-X)