Cadillac Escalade Hybrid: Dickschiff auf Umweltkurs

Mit Zylinderabschaltung

Cadillac Escalade Hybrid: Dickschiff auf Umweltkurs
Unterwegs im Cadillac Escalade © AG/Busse

Wen im Straßenverkehr die Furcht peinigt, von anderen übersehen zu werden, für den hat Cadillac das richtige Angebot: den Escalade. Wer ihn nicht im Autogazette-Praxistest fahren darf, sondern kaufen muss, dessen Bankkonto sollte auch unübersehbar sein.

Von Axel F. Busse

In Amerika ist bekanntlich alles etwas größer. Das Selbstbewusstsein ebenso wie die Defizite, der Patriotismus ebenso wie die sozialen Unterschiede. Und die Autos natürlich auch. Das SUV Cadillac Escalade wird dort in einer Version verkauft, die 5,66 Meter lang ist. Die Europa-Version misst immerhin noch 5,14 Meter – immer noch ein bisschen mehr als Mercedes GL (5,09 m), BMW X5 (4,86 m) oder Porsche Cayenne (4,85 m). Und die gelten hierzulande als große Autos.

Umweltbewusstsein im Cadillac Escalade Hybrid

Der Escalade hat logischer Weise auch keinen kleinen Motor. In diesem Falle schnurrte ein mit sechs Litern Hubraum gesegnetes V8-Aggregat unter der gewaltigen Haube, im Jargon der US-Motorenhierarchie als "small block" bekannt. Um solch ein Ungetüm im deutschen Straßenverkehr freiwillig und kostenpflichtig zu bewegen, ist ein gewisser Geltungsdrang durchaus hilfreich. Die Testfahrt konnte dies eindrucksvoll belegen und es waren nicht immer nur die 22 Zoll großen, polierten Alufelgen, die Blicke auf sich zogen.

Auch eine Marke wie Cadillac hat ein Interesse, als umweltbewusst wahrgenommen zu werden. Deshalb gibt es den Escalade als Hybridversion, also mit zusätzlichem Elektromotor, der den Verbrauch auf ein sozial akzeptables Maß reduzieren soll. Von denen, so macht der Importeur glaubhaft, habe man gar nicht so viele aus Amerika bekommen können, als Kundennachfrage da gewesen sei. 107 Cadillac Escalade wurden laut KBA vergangenes Jahr in Deutschland neu zugelassen, der Geltungsdrang wohlhabender SUV-Kunden scheint hierzulande also überschaubar.

Cadillac Escalade mit Zylinderabschaltung

Erschwertes Eiskratzen amCadillac Escalade AG/Busse

Wer sich einen bestellt, hat gewöhnlich eine Garage. Sie sollte das Normmaß deutlich überschreiten, dann ist an winterlichen Morgenden auch kein Freikratzen der Scheibe nötig. Muss man es doch tun, sollte man außer dem Eiskratzer auch einen Hocker oder eine Trittleiter dabei haben, denn sonst bleiben wesentliche Teile der Frontschreibe ungekratzt. Die Kletterpartie auf den Lkw-hohen Fahrersessel ist ein Ereignis für sich. Elektrisch bewegliche Trittbretter erleichtern den Zustieg, umgehend stellt sich ein Gefühl der Erhabenheit ein, denn nach dem Starten des Motors verfällt der "small block" in fast lautlose Wachsamkeit. Der Achtzylinder ist, das sollte nicht unerwähnt bleiben, E85-verträglich und so abgastechnisch gesehen durchaus vorzeigbar.

Drei verschiedene Elektro-Systeme sind an Bord. Das für Antrieb und Übersetzung (300 Volt), das für die Servolenkung (42 Volt) und das für Licht und Information (12 Volt). Auch der Traditions-Motor ist technisch auf aktuellem Stand, verfügt über Zylinderabschaltung und kann deshalb bei geringer Lastanforderung mit der Hälfte der Brennräume auskommen. Die grüne Effizienzanzeige im zentralen Display legt die Vermutung nahe, dass man hier mit einem hochmodernen Fahrzeug unterwegs ist.

Vergangenheitsbewältigung im Cadillac Escalade

Komfortabler Innenraum des Cadillac Escalade Cadillac

Bis zu dem Moment, da man den Gang einlegen will. Nein, es ist nicht der Lenkradhebel. Den findet man ja auch bei Mercedes und BMW (als Friedensangebot für US-Kunden). Es ist der hakelige Einratsmodus, der daran erinnert, dass der Escalade eine Konstruktion aus der Mitte der Neunziger des vorigen Jahrhunderts ist. Immer wieder nachgerüstet und modernisiert zwar, aber in Details im Gestern stehen geblieben. Man muss viel Sympathie für die legendäre amerikanische Lebensart haben, um das als Schaltkomfort zu werten. Eher als humoristischer Beitrag ist die „+/-“-Taste auf dem Lenkstockhebel anzusehen, die zu einem manuellen Schalten des mit vier Übersetzungen ausgestatteten stufenlosen Getriebes einladen soll.

Die Platinium-Aussttatungslinie des Escalade liefert ein in jeder Hinsicht luxuriöses und komfortables Fahrzeug. Sowohl die bequemen Ledersessel sind beheiz- und kühlbar als auch die Getränkehalter in der Mittelkonsole, Touchscreen-Navigation ist ebenso an Bord wie ein DVD-Entertainmentsystem mit Monitor für die Fond-Passagiere. Das Bose-Soundsystem beschallt konzertant, alles wirkt edel, aufgeräumt und hochklassig. Auf die getrennt regelbare Sitzflächen- und Lehnenheizung der Frontsitze hätte der Testfahrer gern zugunsten einer elektrischen Lenkraderwärmung verzichtet und auch das Heizungsgebläse für die Frontscheibe erwies sich angesichts der gewaltigen Fläche zuweilen als überfordert. Ein paar Abstandssensoren an der Frontstoßstange hätte man auch begrüßt, zumal sie hinten serienmäßig vorhanden sind.

Feiner Fahrkomfort im Cadillac Escalade

Bis zu sieben Passagiere haben im Cadillac Escalade Platz AG/Busse

Dass die Konstruktion des Escalade nicht aus diesem Jahrhundert stammt, ist unschwer an der Raumausnutzung zu erkennen. Zwar war dies noch nie eine Stärke von US-Autobauern, aber bei diesem Dickschiff ist es augenfällig. Trotz des üppig dimensionierten Innenraums für bis zu sieben Passagiere muss man beim Ausstieg aus der zweiten Reihe seine Füße schon genau zwischen B-Säule und Polsterkante einfädeln. Die Lücke misst nur 19 Zentimeter, da kann es ab Schuhgröße 42 eng werden. Auch die Tankklappe stammt aus einer Zeit, da der Sprit (in den USA) fast nichts kostete. Deshalb ist sie nicht mit der Zentralverriegelung verbunden und muss heutzutage per Extra-Schlüssel entriegelt werden.

Der Fahrkomfort ist vom feinsten, das bewährte Magnetic-Ride-Dämpfersystem wird seinem guten Ruf gerecht. Das Umschalten von 8- auf 4-Zylinderbetrieb geschieht ebenso unmerklich wie der Wechsel zwischen Batterie-, Hybrid oder Verbrenner-Fortbewegung. Das mittels Monitor-Animation die verschiedenen Fahrzustände visualisierbar sind, ist leicht der Ehrgeiz geweckt, möglichst oft auf die Dienste des Otto-Motors zu verzichten. In der Lenkung sind die 2,8 Tonnen Leergewicht nicht zu spüren, außer einer Tendenz zur Seitenneigung ist das Fahrzeug präzise und ausgewogen zu dirigieren.

Cadillac Escalade ohne Chance auf die Waschstraße

Feiner Fahrkomfort im Cadillac Escalade AG/Busse

Das gilt leider nicht für den Zugang zu Waschstraßen in Standardgröße. Der Testwagen wurde wegen zu breiter Spur abgewiesen und musste den Lkw-Waschplatz aufsuchen. Wer das Fitnessstudio meiden will, kann sich an den Sitzen Nr. 6 und 7 des Escalade abarbeiten. Ihr Befestigungsmechanismus ist simpel, nur wiegen die Teile leider 29 Kilo das Stück. Sind sie entfernt, kann man über eine 78 Zentimeter hohe Kante 478 Liter Volumen unterbringen, wenn man nur bis zu Höhe der Seitenscheibe belädt. Die Schluck-Qualitäten sind dank der 1,40 Meter breiten Klappenöffnung enorm und bis zu drei Kubikmeter groß, wenn man gleich hinter den Frontsitzen anfängt zu stapeln.

Am größten ist der Wohlfühlfaktor im Escalade, wenn der Tempomat eingestellt (Abstandsradar wäre wünschenswert), der Tank voll ist und die Bordanlage die Lieblingsmusik vom MP3-Player dudelt. Entspannt kann man das Verkehrsgeschehen knapp einen Meter unter sich betrachten und bei gleichbleibendem Tempo den Füllstand des Kraftstoffbehälters vorübergehend außer Acht lassen. Über die Tatsache, dass statt der offiziellen 10,9 Liter trotz zurückhaltender Fahrweise fast zwei Liter mehr je 100 km konsumiert wurden, kann nur hinwegtäuschen, dass es ohne Hybrid leicht fünf Liter mehr hätten werden können.

Cadillac Escalade 30.000 Euro teurer als in den USA

Der Cadillac Escalade beginnt bei 83.490 Euro AG/Busse

In die wuchtige Schale einer SUV-Karosse hat General Motor nach Kräften moderne Hybridtechnik gesteckt. Das dies vor allem für Kunden mit ausgeprägter Sympathie für den "American way of driving" geeignet ist, liegt auf der Hand. Das Hybridsystem ist praxistauglich und senkt den Durst des gewaltigen V8 auf ein erträgliches Maß.

Der Komfort ist auf Oberklassen-Niveau und lässt kaum Wünsche offen. Ob der Preis von 83.490 Euro trotz ungünstiger werdenden Wechselkurses rund 30.000 Euro über dem liegen muss, was der US-Händler verlangt, bleibt dem individuellen Verhandlungsgeschick überlassen.

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Thomas Flehmer
Der diplomierte Religionspädagoge arbeitete neben seiner Tätigkeit als Gemeindereferent einer katholischen Kirchengemeinde in Berlin in der Sportredaktion der dpa. Anfang des Jahrtausends wechselte er zur Netzeitung. Seine Spezialgebiete waren die Fußball-Nationalelf sowie der Wintersport. Ab 2004 kam das Autoressort hinzu, ehe er 2006 die Autogazette mitgründete. Seit 2018 ist er als freier Journalist unterwegs.

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