Was sich wie ein Widerspruch anhört, ist im Fall von Everrati keiner. Hier bauen zwei Petrolheads Oldtimer mit Verbrennungsmotor zu Elektroautos um.
Rostige Flugzeughangars, schartige Betonpisten und windschiefe Backstein-Baracken: Wer das erste Mal zu Everrati nach Bichester kommt, reibt sich zurecht die Augen. Erst recht, wenn er gleich mehrere hunderttausend Pfund für ein neues Spielzeig ausgeben will.
Denn die Zentrale eines angesagten Elektroautoherstellers hätte man sich ein wenig zukunftsorientierter vorgestellt. Doch anderseits passt der ehemalige Militärflughafen 90 Minuten nördlich von London perfekt zu der PS-Manufaktur. Und zwar nicht nur, weil es hier eine kilometerlange Startbahn als Teststrecke gibt. Sondern vor allem, weil Everrati das Zeitgefühl genauso durcheinander bringt wie die Immobilienverwaltung, die hier in den Ruinen der Royal Air-Force ein wenig Start-up-Kultur zaubern will. Denn statt neue Elektroautos zu bauen, verschaffen die Firmenchefs Justin Lunny und Nick Williams hier einer Reihe von PS-Legenden ein zweites Leben an der Ladesäule.
Petrolheads durch und durch
„Wir sind beide Petrolheads durch und durch“, sagen Lunny, der sein Geld im Silicon Valley verdient hat, und Williams, der viel durch die Marketing-Abteilungen von VW, Mercedes und Smart getingelt ist. Ihre Herzen schlagen deshalb für alte Porsche, Mercedes, Land Rover oder Jaguar und natürlich für die Italiener, von denen sie sich für ihren Firmennamen haben inspirieren lassen.
Doch zugleich machen sie sich sorgen ums Klima und das Ende der fossilen Energien, und an Ölflecken auf dem Garagenboden haben sie sich auch so langsam sattgesehen. Deshalb reiten sie nun genau wie Elon Musk oder Mate Rimac auf der Elektro-Welle, nur dass sie dafür das Auto nicht neu erfinden wollen. Stattdessen machen sie Klassiker mit einem Elektroantrieb fit für die Zukunft. „Wir haben unsere Firma 2019 mit dem Ziel gegründet, die begehrenswertesten, fortschrittlichsten, nachhaltigsten Oldtimer der Welt auf die Straße zu bringen,“ so Lunny.
Restaurierung der Originale
Dabei haben sie mit zwei Autos begonnen, die passender kaum sein könnten: Für Sportfahrer gibt es bei ihnen den Porsche 911 aus der Baureihe 964 von 1989 bis 1994 und wer entweder besonders patriotisch ist oder es ernst meint mit der Naturverbundenheit, der bekommt bei den beiden einen Land Rover aus der Serie IIa, der in den 1960ern gebaut wurde und auch als Elektro-Umbau noch besser durchs Gelände kommt als jeder Mercedes EQC oder BMW iX.
Neben der liebevollen Restaurierung der Originale, die oft besser aussehen als die Neuwagen jener Zeit, sind die beiden Briten besonders stolz auf ihre Elektrotechnik. „Denn wir schrauben nicht einfach eine E-Maschine ins Auto und packen eine Batterie in den Kofferraum“, trennt Lunny unter den mittlerweile relativ vielen Umrüstern die Spreu vom Weizen.
Entwicklung des maßgeschneiderten Antriebs
„Vielmehr entwickeln wir mit dem gleichen Anspruch und der gleichen Gründlichkeit eines klassischen Automobilzulieferers einen maßgeschneiderten Antrieb, bei dem der Charakter des Originals erhalten bleibt.“ Auch der Everrati-Porsche hat deshalb noch leicht versetzte Pedale und weil im Land Rover das Allradgetriebe und die Untersetzung erhalten blieben, rasselt der rustikale Klassiker genauso lebendig wie ein Oldtimer mit Verbrenner.
Nur wirken die E-Versionen natürlich sehr viel dynamischer als die Originale, sind spritziger und schneller. Was dem Mann ab einem gewissen Alter sein Viagra, das sind dem Oldtimer die Volt, die der E-Maschine Beine machen. Schon beim Land Rover kommt deshalb eine 150-PS-Maschine mit 300 Nm zum Einsatz und den auf Wunsch mit einer wunderbaren Widebody-Karosse aus Karbon noch bulliger gemachten Porsche bietet Everrati nicht nur mit 440, sondern sogar mit bis zu 500 PS an. Damit gelingt der Spurt auf Tempo 100 in weniger als vier Sekunden, so dass der elektrifizierte Oldtimer so machen neuen Elfer locker stehen lässt.
Porsche mit 53 kWh starker Batterie
Dazu gibt es im Porsche eine Batterie mit 53 kWh Kapazität für bis zu 250 Kilometer Reichweite und im Land Rover sorgen 60 kWh für einen Aktionsradius von immerhin 200 Kilometern. Klar ist das nicht mit modernen Elektroautos zu vergleichen, räumen die beiden Petrolheads unter Strom ein: „Aber wer einmal 100 Kilometer in einem Serie II-Land Rover unterwegs war, der braucht ohnehin eine Pause – egal ob er nun mit Sprit fährt oder mit Strom.“
Zwar verlangt Everrati für den Umbau des Land Rover mindestens 150.000 Pfund (ca. 175.500 Euro) plus Steuern und für den Porsche sogar 280.000 Pfund (ca. 327.600 Euro), doch sind die Autos beliebt und die Auftragsbücher gut gefüllt: Knapp 50 elektrifizierte Klassiker haben sie bereits eingesammelt und die ersten Autos längst von der Leine gelassen.
Während ihre Mannschaft tapfer die vielen Kundenaufträge für Land Rover und Porsche abarbeitet, was zusammen mit der Restaurierung pro Auto schon mal ein halbes Jahr pro Auto dauern kann, legen die Chefs letzte Hand an ihr neuestes Projekt und jagen dafür mit einem Ford GT über die Runway. Der Flachmann, den sie beim Replika-Hersteller Superformance als historisch inspirierten Neuwagen bestellen, rüsten sie mit zwei E-Maschinen von zusammen über 800 PS und 800 Nm auf, installieren ein 700-Volt-System und einen Akku für mehr als 200 Kilometer Reichweite.
Pagode wird elektrisch
Und das nächste Projekt haben die beiden auch schon angestoßen und eine Mercedes Pagode zum Stromer mit 180 PS und 250 Kilometern Reichweite umgerüstet, die jetzt für den stolzen Preis von fast 350.000 Euro in den Handel geht. Immerhin müssen die Kunden dabei keinen Wertverlust fürchten. „Denn alle unsere Arbeiten sind zu 100 Prozent reversibel“, verspricht Lunny. „Wer zurück zum Original will oder sein Auto verkaufen muss, der hat nach ein paar Tagen in der Werkstatt wieder einen Klassiker, der einfach frisch restauriert wurde.
Der Land Rover und der Porsche im Verkauf, der Ford GT auf der Zielgerade und die Arbeit an der Pagode in vollem Gange. Eigentlich haben Firmenchefs Justin Lunny und Nick Williams damit mehr als genug zu tun. Zumal die Entwicklung für ein neues Modell schnell mal ein Jahr dauert. Doch gehen den beiden dummerweise die Ideen nicht aus, und ihren Kunden erst recht nicht. „Unser Katalog sind die Wände unserer Kinderzimmer“, umreißt Lunny das Portfolio: „Wir sorgen dafür, dass die Traumwagen unserer Jugend auch eine Zukunft haben.“ (SP-X)