Nach dem Tankunfall mit einem VW Touran ist dem Thema Erdgas wieder mehr Aufmerksamkeit zuteil geworden. Timm Kehler, Geschäftsführer von Zukunft Erdgas, spricht im Interview mit der Autogazette auch über den Startschuss von LNG, das Warten auf den Beschluss der Steuerbegünstigung und einseitige Förderungen.
Durch den Unfall bei der Betankung eines VW Touran mit Erdgas ist der alternative Kraftstoff wieder in den Blickpunkt gelangt. Die pauschale Schließung der BP-Tankstellen, zu denen die der BP-Tochter Aral zählen, regt Timm Kehler immer noch auf. «Das System ist – bis auf die Fahrzeuge, die sich im Rückruf befinden, sehr sicher. Für uns ist es deshalb nicht nachvollziehbar, wieso eine Überreaktion von BP die Folge war», sagte der Geschäftsführer von Zukunft Erdgas im Interview mit der Autogazette.
Zugleich sieht es Kehler positiv, dass Erdgas in Deutschland – wenn auch durch einen negativen Auslöser - mal wieder Aufmerksamkeit erhielt. «Mit einigen Tagen Abstand können wir aber auch sagen, dass es vielfach verstanden wurde, dass dieser Unfall auf das Fehlverhalten eines Einzelnen zurückfällt, der trotz Warnungen sein im Rückruf befindliches Fahrzeug mit Erdgas betankt hat.»
Kritik an einseitiger Förderung
Zudem kritisiert der Geschäftsführer die zögerliche Haltung der Regierung die Steuerbefreiung des alternativen Kraftstoffes, die bereits im Dezember 2014 angekündigt worden war, endgültig zu beschließen. «Da muss sich die Politik auch in Summe fragen lassen. Vor drei Jahren stand es Schwarz auf Weiß im Koalitionsvertrag.»
Und auch bei der Elektroprämie hat Kehler seine eigene Meinung. Zwar begrüßt er die Einführung der Prämie, moniert aber die Einseitigkeit der Förderung. «Ist es wirklich weises Handeln, schon jetzt einen Gewinner festzulegen, der vermeintlich im Jahr 2050 und später alles bedienen wird. Oder fällt uns auf dem Weg dahin nicht noch irgendetwas Neues ein. Ein offenes System, bei dem die unterschiedlichen Alternativen entwickelt und dann im gemeinsamen Wettbewerb zueinander stehen, wäre richtiger gewesen als den Gewinner des Jahres 2050 schon jetzt festzulegen.»
«Vor vier Jahren als Exoten belächelt»
Autogazette: Ist die Übergabe von 20 LNG-Lkw von Iveco an das Berliner Unternehmen Ludwig Meyer in dieser Woche auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover ein Meilenstein für flüssiges Erdgas in Deutschland?
Kehler: Definitiv. Vor vier Jahren wurden wir auf der IAA Nutzfahrzeuge in Hannover als Exoten belächelt. Vor zwei Jahren konnten wir die EU-Kommission für das «Blue Corridor»-Projekt überzeugen, in dem auch das flüssige Erdgas eine Rolle spielt. Iveco hat nun das Produkt entwickelt. Dass Ludwig Meyer nun 20 Lkw ordert, Uniper sich am Aufbau einer Infrastruktur beteiligt, ist das Ergebnis der Aufbauarbeit.
Autogazette: Der Startschuss ist also gefallen?
Kehler: Was wir bisher gesehen haben waren ja nur Pilotversuche. Jetzt haben wir eine neue Qualität mit dem Bau der Tankstelle und 20 Trucks erreicht.
Autogazette: Werden sich jetzt andere Nutzfahrzeughersteller mit dem Thema «LNG» stärker beschäftigen?
Kehler: Die deutschen Hersteller schauen sich das Thema sehr intensiv an. Iveco hat aber technologisch die Nase vorn. Ich bin gespannt, was die anderen Hersteller planen.
«Pauschale Schließung hat mediale Eskalation herbeigeführt»
Autogazette: Was für einen Stellenwert besitzt Erdgas denn überhaupt nach dem Tankunfall?
Kehler: Wir haben sehr viel Aufmerksamkeit erhalten. Sicherlich wird es erst einmal kritisch beobachtet, was dort passiert ist. Mit einigen Tagen Abstand können wir aber auch sagen, dass es vielfach verstanden wurde, dass dieser Unfall auf das Fehlverhalten eines Einzelnen zurückfällt, der trotz Warnungen sein im Rückruf befindliches Fahrzeug mit Erdgas betankt hat.
Autogazette: Ein Einzelner reißt mit diesem Verhalten aber eine ganze Branche in den Schlund?
Kehler: Er war sicher ein Auslöser. Denn das System ist – bis auf die Fahrzeuge, die sich im Rückruf befinden, sehr sicher. Für uns ist es deshalb nicht nachvollziehbar, wieso eine Überreaktion von BP die Folge war.
Autogazette: So hat in Deutschland die BP-Tochter Aral seinen Pächtern empfohlen überhaupt kein Erdgas mehr anzubieten . . .
Kehler: . . . die Wettbewerber von BP haben ganz anders reagiert. Doch durch die pauschale Schließung der BP-Zapfsäulen hat das Unternehmen erst die mediale Eskalation herbeigeführt.
«Thema Erdgas hat Sichtbarkeit gefehlt»
Autogazette: Abgesehen von dem Tankunfall sind aber die Verkäufe von Erdgas-Fahrzeugen nicht gestiegen. Die von Ihnen vor zwei Jahren prognostizierte Zahl von 10.000 Einheiten in Deutschland pro Jahr wird verfehlt. Wird der Tankunfall nun noch mehr Leute davon abhalten, ein Erdgasauto zu kaufen?
Kehler: Man könnte auch die Gegenthese aufstellen, dass dem Thema Erdgas in den letzten Jahren bis vor kurzem die Sichtbarkeit gefehlt hat, auch wenn sie jetzt einen negativen Auslöser hatte. Wir müssen abwarten, was passiert, aber wir bekommen nach dem Vorfall interessierte Nachfragen, an denen wir auch merken, dass viele Informationsdefizite vorherrschen.
Autogazette: Die Defizite gab es vor dem Unfall auch. Und zudem halten sich viele Vorurteile, die den Durchbruch des Kraftstoffs Erdgas verhindern. Werden wir demnächst wieder Schilder vor Parkhäusern sehen, auf denen steht, dass gasbetriebene Fahrzeuge nicht einfahren dürfen?
Kehler: Vielleicht dürfen wir demnächst auch nicht mehr im Auto rauchen, wenn es mit Benzin angetrieben wird oder müssen nach dem Brennen von Elektroautos alle Steckdosen verschließen (lacht).
«Warten tagtäglich auf positive Meldung»
Autogazette: Hinderlich wirkt sich doch bestimmt auch aus, dass die im Dezember 2014 erfolgte Ankündigung der Steuerbegünstigung für Gasfahrzeuge über das Jahr 2018 noch nicht endgültig beschlossen wurde?
Kehler: Wir haben in den letzten Wochen von zwei Staatssekretären gehört, dass die Umsetzung bevorsteht. Ich hoffe, dass das nicht zum Wahlkampfthema wird. Wir warten eigentlich täglich darauf, dass eine positive Meldung kommt.
Autogazette: Die Wartezeit ist schon ziemlich lang . . .
Kehler: . . . da muss sich die Politik auch in Summe fragen lassen. Vor drei Jahren stand es Schwarz auf Weiß im Koalitionsvertrag.
Autogazette: Macht die Elektroprämie auch noch ein paar Schwierigkeiten?
Kehler: Die Prämie sicher nicht. Es ist gut und richtig, dass der Staat alternative Antriebe fördert. Der Staat muss sich aber schon fragen lassen, ob diese einseitige Förderung die richtige ist. Ist es wirklich weises Handeln, schon jetzt einen Gewinner festzulegen, der vermeintlich im Jahr 2050 und später alles bedienen wird. Oder fällt uns auf dem Weg dahin nicht noch irgendetwas Neues ein. Ein offenes System, bei dem die unterschiedlichen Alternativen entwickelt und dann im gemeinsamen Wettbewerb zueinander stehen, wäre richtiger gewesen als den Gewinner des Jahres 2050 schon jetzt festzulegen.
Das Interview mit Timm Kehler führte Thomas Flehmer