Mercedes: Beim Stern steigt die Spannung

Elektro-Strategie der Stuttgarter

Mercedes: Beim Stern steigt die Spannung
Mit dem CLA soll die 800-Volt-Architektur bei Mercedes Einzug halten. © Mercedes

Mercedes setzt bei seinen kommenden Elektroautos auf die 800-Volt-Architektur. Daneben wird es eine unterschiedliche Zellchemie und ein Zwei-Gang-Getriebe geben.

Die Sache mit dem Stern nehmen sie in Stuttgart-Untertürkheim nur allzu gerne wörtlich. Jedenfalls dann, wenn es um Strahlkraft geht und darum, anderen den Weg zu weisen. Über die Jahrzehnte des Verbrennungsmotors hat das oft genug funktioniert.

Seit einiger Zeit aber gelten andere Maßstäbe: Reichweite, Ladetempo, Akku-Management. Die rein elektrische Fahrt begann bei Mercedes eher verhalten – dafür herrscht mittlerweile Hochspannung: Immer mehr Modelle werden im Konzern unter Strom gesetzt, da mag der amtierende Bundesverkehrsminister noch so hartnäckig für E-Fuels streiten.

Mercedes bisher nur mit 400 Volt

Gewurmt allerdings dürfte sie über die Jahre schon haben, dass die Batterie-Benze bloß mit Brot-und-Butter-Technik von 400 Volt unterwegs waren, während nicht nur die Zuffenhäuser Premium-Nachbarn mit dem Rössle im Logo von Beginn an mit doppelter Spannung protzten, sondern sogar Kompaktklässer koreanischer Provenienz. Klar, 800 Volt sind aufwändig, dafür sind die Kabel dünner, besser zu verlegen, bis zu 30 Kilo leichter – und schneller laden kann man damit auch.

Um diesen Rückstand aufzuholen, wollen sie im Stern-Zeichen jetzt klotzen. „Die Zukunft für Mercedes-Benz ist klar elektrisch“, sagt Torsten Eder, im Unternehmen verantwortlich für die Entwicklung von E-Antrieben, und bekennt sich damit ein bisschen deutlicher zur Transformation als Ober-Boss Ola Källenius, der erklärt hat, die Verbrenner-Technologie bis in die 2030er-Jahre auf Top-Niveau halten zu wollen. Mit Erfahrung aus mehr als 100 Jahren will Eder die Zukunft gestalten. Und er macht deutlich, mit welchem Anspruch. „Ich sehe uns an der Spitze des Wandels“, sagt er – und auch, wohin die Reise gehen soll: „Effizienz ist die neue Währung.“

EQXX als technisches Vorbild

Die Idee leiten sie bei Mercedes vom Vision EQXX ab. Der kompromisslos auf Aerodynamik getrimmte Silberpfeil absolvierte bei seinem Rekord auf dem Testgelände im italienischen Nardó mit 40 Ladestopps 3717 Kilometer in 24 Stunden. Und mit einer Akku-Ladung kam die graue Effizienz bei diversen Testfahrten jeweils mehr als 1000 Kilometer weit. Der Durchschnittsverbrauch auf 100 Kilometer lag bei 7,4 kWh, das entspricht umgerechnet 0,9 Liter Sprit. So etwas wie das Ein-Liter-Auto gibt es also auch im Zeitalter der E-Mobilität.

Analog zum Vision EQXX setzt Mercedes bei seinen kommenden E-Autos auf größtmögliche Effizienz. Foto: Mercedes

Der schwäbischen Sparsamkeit huldigt Mercedes gleich doppelt: Für mehr Energie-Effizienz wird Mercedes als erster Hersteller ein Zwei-Gang-Getriebe in der Kompaktklasse verbauen – und für mehr Zeit-Effizienz ermöglichen, dass bei 320 kW Ladeleistung in zehn Minuten Strom für 300 Kilometer gezapft werden. Viel länger dauert ein Sprit-Stopp samt Kaffee auch nicht. Das Ganze selbstverständlich kombiniert mit bekannten Größen wie vorausschauendes Fahren, Vorkonditionierung der Batterie und einer Routenplanung aus optimalen Ladepunkten. Premiere feiert das Paket Anfang kommenden Jahres im neuen Mercedes CLA.

Neue Antriebseinheit für Hinterachse

Zur neuen MMA-Plattform gehört obendrein eine komplett eigenentwickelte 200-kW-Antriebseinheit an der Hinterachse – mit Siliziumcarbid in der Leistungselektronik und einem Anteil von Seltenen Erden nahe Null. Und weil sie keine halben Sachen machen wollten, haben sie sich für eine permanenterregte Synchronmaschine entschieden, für rechteckige Kupferstäbe statt rundem Draht und eine doppelte Wicklung. Natürlich hätte es preiswerte Varianten gegeben, aber das wäre halt gekleckert gewesen…

Herzstück ist der 200 kW starke Heckmotor mit einem Zwei-Gang-Getriebe. Foto: Mercedes

Bei den normalen Modellen treibt diese Einheit alleine, bei Allrad-Modellen kommt an die Vorderachse ein weiterer PSM-Motor. Der leistet 80 kW und wurde mit einem Zulieferer entwickelt. Clou der Technik ist eine Kupplung namens „Disconnect Unit“, die den Frontmotor samt Getriebe innerhalb von 0,2 Sekunden zu- und wegschaltet. Treibt der Elektro-Benz bloß hinten, entfallen 90 Prozent des Schleppmoments an der Vorderachse. Es gibt quasi keinen Nachteil mehr bei Allrad-Betrieb.

Kein Watt soll verloren gehen

Im Alltag wird ein solcher Wagen mit Kraft an beiden Achsen starten, um Schlupf zu vermeiden und ziemlich schnell auf Heckantrieb umschalten. Sogar Segeln mit zwei stromlosen Motoren ist möglich. Und per Rekuperation sollen 99 Prozent der Bremsenergie wieder eingesammelt werden. „Wir wollen kein Watt liegenlassen“, so das Credo.

Und doch ist die Technik nur die halbe Miete. Auch an der Batterie haben die Benz-Ingenieure getüftelt. Zur Wahl stehen künftig auf identischem Bauraum ein Performance-Akku (Nickel-Mangan-Kobalt) mit 85 kWh und ein preiswerterer, aber eben auch schwächerer Lithium-Eisenphosphat-Speicher mit 58 kWh. Diese Wahl ermöglicht Vielfalt eben nicht nur über die Größe der Batterie, sondern auch über die Zellen.

„Wichtig ist, dass wir die Chemie verstehen, um die richtigen Schlüsse zu ziehen“, sagt Uwe Keller, verantwortlich für die Batterie-Entwicklung. Erfahrung mit Plus und Minus hat das Unternehmen seit 1970 – und mittlerweile Kompetenz bei 48 Volt, Plug-in-Modellen, Stromspeichern, Zellen und selbst entwickelter Software. Es tut sich reichlich im Electric Software Hub in Sindelfingen. Aktuell setzten sie dort noch auf Silizium-Anoden, doch am Horizont sehen sie womöglich schon die Festkörper-Batterie – den „Heiligen Gral“ der E-Mobilität.

Zehnkampf in der Entwicklung

Vorerst warten noch die Mühen der Ebene. Das tägliche Tarieren zwischen Form, Reichweite, Leistung, Ladetempo, Gewicht und Kosten. Eine Art „Zehnkampf“, wie Keller die Tüftelei an den Batterien nennt. Alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Unverhandelbar seien allein Nachhaltigkeit, Zuverlässigkeit und Sicherheit, sagt der Chefentwickler. Deswegen treibe Mercedes auch so viel Forschung und kaufe nicht einfach nur von Lieferanten zu. Sichtbarer Erfolg: Der Speicher für die MMA-Plattform hat 30 Prozent weniger Volumen als der Vorgänger und ist 30 Prozent billiger.

Schon lange bevor die Akkus im sächsischen Kamenz zusammengefügt werden, haben sich kluge Köpfe Gedanken gemacht über das Design der Batterie, welche Ressourcen gebraucht werden und woher, dass möglichst umweltfreundlich produziert wird, wie ein Leben nach dem Auto aussieht – und was ganz am Ende das Recycling bringt. Im baden-württembergischen Kuppenheim werden aktuell 96 Prozent der Materialien zurückgewonnen. Auch hier gibt es einen Traum: eine frische Zelle rein aus Recyclaten.

Auch Hybrid spielt wichtige Rolle

Der Akku lässt sich künftig über Größe und Zellchemie variieren. Foto: Mercedes

Noch aber gibt es genügend Kunden, die pure E-Mobilität so gar nicht spannend finden. Für die hat Mercedes eine Hybrid-Version mit 48 Volt entwickelt. Einem neu entwickelten Vierzylinder-Turbo mit 1,6 Litern Hubraum und – je nach Ausführung – 136, 163 und 190 PS drückt ein E-Motor zusätzliche 20 kW (27 PS) ins achtstufige Doppelkupplungsgetriebe. Der Strom kommt aus einer 1,3-kWh-Batterie unter dem Beifahrersitz. Geladen wird rein über Rekuperation. Die funktioniert – wie auch die kurzzeitig rein elektrische Fahrt – in allen Gängen.

Trotzdem: Auf der MMA-Plattform gilt „Electric First“. Soll heißen: Vorrang bei allem hat das Strom-Modell, Verbrenner-Derivate müssen sich diesen Vorgaben fügen. Das gilt auch für einen Shooting Brake und zwei SUV, die auf dieser Basis entstehen sollen. Es sieht ganz so aus, als wollten sie nicht länger E-Autos bauen, auf denen Mercedes steht, sondern Mercedes-Modelle mit Elektroantrieb.

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